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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

sam die Quelle, aus der Schiller die Schil¬
derung der "Minneburg" in dem zweiten Akte
der "Maria Stuart" schöpfte, und kommt
nach reicher Übersicht über die Verwendung
des Stoffes seit dem Mittelalter zu dem
Schluß, daß John Nichols in seiner Samm¬
lung "1"ne proAresses an6 publie proces-
sions or ()nem Lu^sbetn" (London 1788)
eine zeitgenössische Schilderung eines gleichen
Elisabethanischen Festes neudruckte, die dem
Dichter Wohl durch Mr. Gore zugänglich
wurde und ihm die ziemlich genau benutzten
Unterlagen für seine Schilderung lieferte.
"Nadziwills Privataufführungen von Goethes
.Faust' in Berlin" bespricht eingehend, unter
Zuhilfenahme zeitgenössischer Illustrationen,
Franz Ulvrich. Werner Dectjen hat zwei
Paralipomena zu Jean Pauls Altersroman
"Der Komet" entdeckt und teilt sie in sorg¬
samen Abdruck mit"); Deetjcn macht darauf
aufmerksam, daß durch diesen wichtigen Fund
der Zusammenhang zwischen Jean Paul und
dem schwäbischen Dichter Friedrich Theodor
Bischer enger als zuvor geworden ist, denn
ohne Zweifel hat das eine Fragment dem
Helden des Romans "Auch Einer" Züge ge¬
liehen. Den "romantischen Geniebegriff"
sucht Friedrich Schulze rasch zu skizzieren,
Elfe Riemlmn gibt eine feinsinnige und för¬
dernde Untersuchung von "Theodor Storms
Bemerkungen zur Theorie der Novelle" und
verbindet mit den theoretischen Erörterungen
des Dichters die Entwicklung seiner Novellistik,
und als abschließenden Aufsatz behandelt
Reinhard Buchwald "Praktische Grundlagen
und Ziele der Literaturwissenschaft"; kann ich
mich auch mit manchen seiner Ausführungen
(besonders über die "Grundlagen") nicht ganz
einverstanden erklären, so werden sie doch
jeden fördern, welcher bei der Beschäftigung mit
Einzelheiten nicht den Blick für das Ganze
der Wissenschaft verloren hat. Alle in dem
stattlichen, vornehm gedruckten Bande ver¬
einigten Arbeiten legen ein schönes Zeugnis

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ab für die Schulung, die im Leipziger literar¬
historischen Seminar ihre Verfasser empfangen
haben, und werden die Wissenschaft noch lange
Zeit beschäftigen.

"Das Leben Friedrich vo" Mntthissons",
des einstmaligen lyrischen Modedichters um
die Wende der beiden vorigen Jahrhunderte,
hat Alois Heers in einer gut ausgestatteten
Schrift (Leipzig 1913, Xenien-Verlag.
127 S. 8°) dargestellt. Das Biographische tritt
in den Vordergrund, die literarhistoriischen
Probleme sind kaum gestreift*) und, wenn der
Verfasser auf sie eingeht, recht ungenügend
behandelt. Wo Heers große Zusammen¬
hänge und Überblicke geben will, wird
er oberflächlich und arbeitet mit Schlagworten
und leeren Phrasen, ohne in das Wesen der
Dinge einzudringen; auch mancherlei tatsäch¬
liche Irrtümer laufen mit unter. Zu loben
ist der Abschnitt über Schillers Rezension;
hier bringt Heers neue und förderliche Ge¬
danken, die für die Erkenntnis von Schillers
kritischer Arbeitsweise mit Erfolg verwendet
werden können. Den Mangel einer Disposition
ersetzt das gute und zuverlässige Register.

Wichtig wegen der Beibringung und Ver¬
arbeitung neuen Materials ist die Schrift von
Paul Heidelbach über den Stammsitz der
Familie von der Malsburg-Escheberg bei
Kassel und seine Gäste: "Deutsche Dichter
und Künstler in Escheverg und Beziehungen
der Familie von der Malsvurg - Escheberg
zu den Familien Tieck und Geibel" (Mit
34 Abbildungen. Marburg 1913, N. G. Elwert.
IX, 244 S. 8°). Ein Hauch von der
Gastfreiheit und Ritterlichkeit des Schloßherrn
weht uns aus den Blättern des anmutig und
liebenswürdig geschriebenen Buches entgegen,
und vorzügliche Abbildungen des reizvoll und
romantisch gelegenen Schlosses verstärken den
sympathischen Eindruck, den man aus der
Lektüre empfängt. Aus eigenen und frem¬
den Briefen wie aus Abbildungen der

[Ende Spaltensatz]
* Einige kleine Emendationen zu dem
verderbten Texte seien hier gestattet: S. 226,
Z. 1S9 statt des sinnlosen "Wasserreise" ist
Wohl zu lesen. "Was erweise" oder ähnlich;
Z. 160 muß es statt "namentlich" unbedingt
"nämlich" lauten.
") Diese sind weit besser behandelt in der
wertvollen Schrift von Walter Krebs, Fried¬
rich Matthisson (1761 bis 1331), ein Beitrag
zur Geistes- und Literaturgeschichte deS aus¬
gehenden achtzehnten und beginnenden neun¬
zehnten Jahrhunderts. (Berlin 1912, Mayer
u. Müller. 197 S. 8°.)
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sam die Quelle, aus der Schiller die Schil¬
derung der „Minneburg" in dem zweiten Akte
der „Maria Stuart" schöpfte, und kommt
nach reicher Übersicht über die Verwendung
des Stoffes seit dem Mittelalter zu dem
Schluß, daß John Nichols in seiner Samm¬
lung „1"ne proAresses an6 publie proces-
sions or ()nem Lu^sbetn" (London 1788)
eine zeitgenössische Schilderung eines gleichen
Elisabethanischen Festes neudruckte, die dem
Dichter Wohl durch Mr. Gore zugänglich
wurde und ihm die ziemlich genau benutzten
Unterlagen für seine Schilderung lieferte.
„Nadziwills Privataufführungen von Goethes
.Faust' in Berlin" bespricht eingehend, unter
Zuhilfenahme zeitgenössischer Illustrationen,
Franz Ulvrich. Werner Dectjen hat zwei
Paralipomena zu Jean Pauls Altersroman
„Der Komet" entdeckt und teilt sie in sorg¬
samen Abdruck mit"); Deetjcn macht darauf
aufmerksam, daß durch diesen wichtigen Fund
der Zusammenhang zwischen Jean Paul und
dem schwäbischen Dichter Friedrich Theodor
Bischer enger als zuvor geworden ist, denn
ohne Zweifel hat das eine Fragment dem
Helden des Romans „Auch Einer" Züge ge¬
liehen. Den „romantischen Geniebegriff"
sucht Friedrich Schulze rasch zu skizzieren,
Elfe Riemlmn gibt eine feinsinnige und för¬
dernde Untersuchung von „Theodor Storms
Bemerkungen zur Theorie der Novelle" und
verbindet mit den theoretischen Erörterungen
des Dichters die Entwicklung seiner Novellistik,
und als abschließenden Aufsatz behandelt
Reinhard Buchwald „Praktische Grundlagen
und Ziele der Literaturwissenschaft"; kann ich
mich auch mit manchen seiner Ausführungen
(besonders über die „Grundlagen") nicht ganz
einverstanden erklären, so werden sie doch
jeden fördern, welcher bei der Beschäftigung mit
Einzelheiten nicht den Blick für das Ganze
der Wissenschaft verloren hat. Alle in dem
stattlichen, vornehm gedruckten Bande ver¬
einigten Arbeiten legen ein schönes Zeugnis

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ab für die Schulung, die im Leipziger literar¬
historischen Seminar ihre Verfasser empfangen
haben, und werden die Wissenschaft noch lange
Zeit beschäftigen.

„Das Leben Friedrich vo» Mntthissons",
des einstmaligen lyrischen Modedichters um
die Wende der beiden vorigen Jahrhunderte,
hat Alois Heers in einer gut ausgestatteten
Schrift (Leipzig 1913, Xenien-Verlag.
127 S. 8°) dargestellt. Das Biographische tritt
in den Vordergrund, die literarhistoriischen
Probleme sind kaum gestreift*) und, wenn der
Verfasser auf sie eingeht, recht ungenügend
behandelt. Wo Heers große Zusammen¬
hänge und Überblicke geben will, wird
er oberflächlich und arbeitet mit Schlagworten
und leeren Phrasen, ohne in das Wesen der
Dinge einzudringen; auch mancherlei tatsäch¬
liche Irrtümer laufen mit unter. Zu loben
ist der Abschnitt über Schillers Rezension;
hier bringt Heers neue und förderliche Ge¬
danken, die für die Erkenntnis von Schillers
kritischer Arbeitsweise mit Erfolg verwendet
werden können. Den Mangel einer Disposition
ersetzt das gute und zuverlässige Register.

Wichtig wegen der Beibringung und Ver¬
arbeitung neuen Materials ist die Schrift von
Paul Heidelbach über den Stammsitz der
Familie von der Malsburg-Escheberg bei
Kassel und seine Gäste: „Deutsche Dichter
und Künstler in Escheverg und Beziehungen
der Familie von der Malsvurg - Escheberg
zu den Familien Tieck und Geibel" (Mit
34 Abbildungen. Marburg 1913, N. G. Elwert.
IX, 244 S. 8°). Ein Hauch von der
Gastfreiheit und Ritterlichkeit des Schloßherrn
weht uns aus den Blättern des anmutig und
liebenswürdig geschriebenen Buches entgegen,
und vorzügliche Abbildungen des reizvoll und
romantisch gelegenen Schlosses verstärken den
sympathischen Eindruck, den man aus der
Lektüre empfängt. Aus eigenen und frem¬
den Briefen wie aus Abbildungen der

[Ende Spaltensatz]
* Einige kleine Emendationen zu dem
verderbten Texte seien hier gestattet: S. 226,
Z. 1S9 statt des sinnlosen „Wasserreise" ist
Wohl zu lesen. „Was erweise" oder ähnlich;
Z. 160 muß es statt „namentlich" unbedingt
„nämlich" lauten.
") Diese sind weit besser behandelt in der
wertvollen Schrift von Walter Krebs, Fried¬
rich Matthisson (1761 bis 1331), ein Beitrag
zur Geistes- und Literaturgeschichte deS aus¬
gehenden achtzehnten und beginnenden neun¬
zehnten Jahrhunderts. (Berlin 1912, Mayer
u. Müller. 197 S. 8°.)
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[0201] Maßgebliches und Unmaßgebliches sam die Quelle, aus der Schiller die Schil¬ derung der „Minneburg" in dem zweiten Akte der „Maria Stuart" schöpfte, und kommt nach reicher Übersicht über die Verwendung des Stoffes seit dem Mittelalter zu dem Schluß, daß John Nichols in seiner Samm¬ lung „1"ne proAresses an6 publie proces- sions or ()nem Lu^sbetn" (London 1788) eine zeitgenössische Schilderung eines gleichen Elisabethanischen Festes neudruckte, die dem Dichter Wohl durch Mr. Gore zugänglich wurde und ihm die ziemlich genau benutzten Unterlagen für seine Schilderung lieferte. „Nadziwills Privataufführungen von Goethes .Faust' in Berlin" bespricht eingehend, unter Zuhilfenahme zeitgenössischer Illustrationen, Franz Ulvrich. Werner Dectjen hat zwei Paralipomena zu Jean Pauls Altersroman „Der Komet" entdeckt und teilt sie in sorg¬ samen Abdruck mit"); Deetjcn macht darauf aufmerksam, daß durch diesen wichtigen Fund der Zusammenhang zwischen Jean Paul und dem schwäbischen Dichter Friedrich Theodor Bischer enger als zuvor geworden ist, denn ohne Zweifel hat das eine Fragment dem Helden des Romans „Auch Einer" Züge ge¬ liehen. Den „romantischen Geniebegriff" sucht Friedrich Schulze rasch zu skizzieren, Elfe Riemlmn gibt eine feinsinnige und för¬ dernde Untersuchung von „Theodor Storms Bemerkungen zur Theorie der Novelle" und verbindet mit den theoretischen Erörterungen des Dichters die Entwicklung seiner Novellistik, und als abschließenden Aufsatz behandelt Reinhard Buchwald „Praktische Grundlagen und Ziele der Literaturwissenschaft"; kann ich mich auch mit manchen seiner Ausführungen (besonders über die „Grundlagen") nicht ganz einverstanden erklären, so werden sie doch jeden fördern, welcher bei der Beschäftigung mit Einzelheiten nicht den Blick für das Ganze der Wissenschaft verloren hat. Alle in dem stattlichen, vornehm gedruckten Bande ver¬ einigten Arbeiten legen ein schönes Zeugnis ab für die Schulung, die im Leipziger literar¬ historischen Seminar ihre Verfasser empfangen haben, und werden die Wissenschaft noch lange Zeit beschäftigen. „Das Leben Friedrich vo» Mntthissons", des einstmaligen lyrischen Modedichters um die Wende der beiden vorigen Jahrhunderte, hat Alois Heers in einer gut ausgestatteten Schrift (Leipzig 1913, Xenien-Verlag. 127 S. 8°) dargestellt. Das Biographische tritt in den Vordergrund, die literarhistoriischen Probleme sind kaum gestreift*) und, wenn der Verfasser auf sie eingeht, recht ungenügend behandelt. Wo Heers große Zusammen¬ hänge und Überblicke geben will, wird er oberflächlich und arbeitet mit Schlagworten und leeren Phrasen, ohne in das Wesen der Dinge einzudringen; auch mancherlei tatsäch¬ liche Irrtümer laufen mit unter. Zu loben ist der Abschnitt über Schillers Rezension; hier bringt Heers neue und förderliche Ge¬ danken, die für die Erkenntnis von Schillers kritischer Arbeitsweise mit Erfolg verwendet werden können. Den Mangel einer Disposition ersetzt das gute und zuverlässige Register. Wichtig wegen der Beibringung und Ver¬ arbeitung neuen Materials ist die Schrift von Paul Heidelbach über den Stammsitz der Familie von der Malsburg-Escheberg bei Kassel und seine Gäste: „Deutsche Dichter und Künstler in Escheverg und Beziehungen der Familie von der Malsvurg - Escheberg zu den Familien Tieck und Geibel" (Mit 34 Abbildungen. Marburg 1913, N. G. Elwert. IX, 244 S. 8°). Ein Hauch von der Gastfreiheit und Ritterlichkeit des Schloßherrn weht uns aus den Blättern des anmutig und liebenswürdig geschriebenen Buches entgegen, und vorzügliche Abbildungen des reizvoll und romantisch gelegenen Schlosses verstärken den sympathischen Eindruck, den man aus der Lektüre empfängt. Aus eigenen und frem¬ den Briefen wie aus Abbildungen der * Einige kleine Emendationen zu dem verderbten Texte seien hier gestattet: S. 226, Z. 1S9 statt des sinnlosen „Wasserreise" ist Wohl zu lesen. „Was erweise" oder ähnlich; Z. 160 muß es statt „namentlich" unbedingt „nämlich" lauten. ") Diese sind weit besser behandelt in der wertvollen Schrift von Walter Krebs, Fried¬ rich Matthisson (1761 bis 1331), ein Beitrag zur Geistes- und Literaturgeschichte deS aus¬ gehenden achtzehnten und beginnenden neun¬ zehnten Jahrhunderts. (Berlin 1912, Mayer u. Müller. 197 S. 8°.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/201>, abgerufen am 28.06.2024.