Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

älteren Schrifttums." (Wiesbaden 1013,
Heinrich Staate. 93 S, 8°,) Bevor Sternberg
sich an sein Beginnen wagte, hätte er über
die methodische Schwierigkeit einer Stammcs-
Literaturgeschichte sich klar werden sollen
und dabei gut getan, das wegweisende Werk
von Josef Nadler, "Literaturgeschichte der
deutschen Stämme und Landschaften" (ver¬
gleiche meine Besprechung des Buches in
Heft 12 des Jahrgangs 1913 der "Grenzboten")
zu Rate zu ziehen. Aber er hat keine Ahnung
von den Problemen, die dabei in Betracht
kommen; mit vornehmer Gebärde lehnt er es
ab, sich in eine Untersuchung einzulassen, "inwie¬
weit jene Einflüsse (der nassauischen Landschaft
und Kultur) die Gestalt der literarischen Er¬
zeugnisse tatsächlich bestimmt haben"; das sei
Sache der Einzelforschung. Also gerade
das, was man von einer landschaftlichen
Litemtnrgeschichte verlangt, unterläßt der
Verfasser. Mit derselben Ahnnngslosigkeit tritt
Sternberg nun an sein Thema heran; er
scheint es auch der Einzelforschung überlassen
zu wollen, diesen Wust und dieses Durch¬
einander von Namen und Schriftwerken zu
sichten, das er als Nassauisches geistiges Leben
im Mittelalter auftischt. Nicht besser sind die
folgenden Abschnitte, die sich mit dem
18. und der ersten Hälfte des 19. Jahr¬
hunderts beschäftigen. Dann kommt Stern¬
berg an sein Hauptthema, die Gegenwart,
und hier wird wahllos jeder Poet und
Schriftsteller verzeichnet, der zufällig im
Nassauischen, besonders in Wiesbaden, gelebt
hat oder lebt. Gegen Schluß der Schrift
bemerkt der Verfasser, daß "das ganze geistige
Leben Nassaus am Dilettantismus förmlich
krankt;" er selbst hat den besten Beweis dafür
geliefert!

Von der Reformation bis zum 19. Jahr¬
hundert führt uns eine wertvolle Sammlung
von Aufsätzen, die dankbare Schüler ihrem
verehrten Lehrer gewidmet haben: Studien
zur Literaturgeschichte, Albert Köster zum
7. November 1912 überreicht. (Leipzig 1912,
Insel-Verlag. 264 S. 8°). In inter¬
essanten und überzeugenden Ausführungen
weist Alfred Götze nach, daß von einem
"Untergang des Volksliedes", Wie er seit
Jahrhunderten beklagt worden ist, keine
Rede sein kann. Paul Merker bespricht in

[Spaltenumbruch]

einem methodisch wichtigen, gehaltvollen Aufsatze
"den Verfasser des anonymen Reformations¬
dialogs: Eyn Wegsprech gen Regenspurg zu
ynß Concilium" und kommt zu dem sicheren
Schlüsse, daß er dem Reformator von Se.
Gallen Joachim Vadicm angehöre, und damit
noch fünf andere Prosaflngschristen, die in
enger Verwandtschaft mit der erwähnten stehen.
Über einen deutschenSPäthumanistenMaternuS
Steyndorffer, handelt kurz Hans Kleinstück,
und Carl Kaulfuß-Dieses verfolgt die dra¬
matische Behandlung der italienischen Novelle
Bandellos "Timbreo und Fenicia" durch das
17. Jahrhundert. Ebenfalls mit der Theater¬
geschichte beschäftigt sich Conrad Höfer, der
einen wichtigen Aufsatz "Vom ältesten Weimari-
schen Hoftheater. Ein Beitrag zur Lebens¬
geschichte von Carl Theophilus Doebbelin"
beigesteuert hat; er enthüllt uns die Kämpfe,
die ein Prinzipal des 18. Jahrhunderts mit
Hof, Magistrat und intriganten eigenen
Truppen angehörigen zu führen hatte. Kurz¬
weilig und amon liest sich die Geschichte des
Streites zwischen Haller und Lamettrie, für
die Ernst Bergmann neues Material ver¬
arbeitet hat; es ist ein Kampf zwischen skrupel¬
losem, aber espritvollem gallischem Witz und
schwerfälliger deutscher Gelehrsamkeit, in wel¬
chem letztere nicht gerade zu ihrem Vorteil ab¬
schneidet. Einen traurigen Blick in die geistigen
Bedürfnisse des deutschen Mittelstandes einer
Residenzstadt im Zeitalter der Aufklärung
gewährt uns Walther Hofstaetter, wenn er
aufschlußreich und belehrend "Die literarische
Bedeutung der Dresdner Zeitschriften im acht¬
zehnten Jahrhundert" behandelt; die litera¬
rische Ausbeute ist gering, und die breiten
Massen des sächsischen Publikums waren mit
sehr minderwertiger geistiger Kost im allge¬
meinen zufrieden. Scharfsinnig untersucht
Robert Niemann die Frage nach "Kassierten
Kapiteln" deS Urmeisters und macht u. a.
recht einleuchtend, daß die von Goethe in das
"Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" einge¬
arbeitete parodistische Alexandriner-Tragödie
eine Parodie seiner selbst ist, eine Parodie
der in Leipzig einst entstandenen "Königlichen
Einsiedlerin", von welcher Proben im "Ur-
meister" mitgeteilt sind, und welche dem be¬
rühmten Autodafö vom Herbst 17S7 ent¬
gangen war. Julius Petersen erörtert sorg-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

älteren Schrifttums." (Wiesbaden 1013,
Heinrich Staate. 93 S, 8°,) Bevor Sternberg
sich an sein Beginnen wagte, hätte er über
die methodische Schwierigkeit einer Stammcs-
Literaturgeschichte sich klar werden sollen
und dabei gut getan, das wegweisende Werk
von Josef Nadler, „Literaturgeschichte der
deutschen Stämme und Landschaften" (ver¬
gleiche meine Besprechung des Buches in
Heft 12 des Jahrgangs 1913 der „Grenzboten")
zu Rate zu ziehen. Aber er hat keine Ahnung
von den Problemen, die dabei in Betracht
kommen; mit vornehmer Gebärde lehnt er es
ab, sich in eine Untersuchung einzulassen, „inwie¬
weit jene Einflüsse (der nassauischen Landschaft
und Kultur) die Gestalt der literarischen Er¬
zeugnisse tatsächlich bestimmt haben"; das sei
Sache der Einzelforschung. Also gerade
das, was man von einer landschaftlichen
Litemtnrgeschichte verlangt, unterläßt der
Verfasser. Mit derselben Ahnnngslosigkeit tritt
Sternberg nun an sein Thema heran; er
scheint es auch der Einzelforschung überlassen
zu wollen, diesen Wust und dieses Durch¬
einander von Namen und Schriftwerken zu
sichten, das er als Nassauisches geistiges Leben
im Mittelalter auftischt. Nicht besser sind die
folgenden Abschnitte, die sich mit dem
18. und der ersten Hälfte des 19. Jahr¬
hunderts beschäftigen. Dann kommt Stern¬
berg an sein Hauptthema, die Gegenwart,
und hier wird wahllos jeder Poet und
Schriftsteller verzeichnet, der zufällig im
Nassauischen, besonders in Wiesbaden, gelebt
hat oder lebt. Gegen Schluß der Schrift
bemerkt der Verfasser, daß „das ganze geistige
Leben Nassaus am Dilettantismus förmlich
krankt;" er selbst hat den besten Beweis dafür
geliefert!

Von der Reformation bis zum 19. Jahr¬
hundert führt uns eine wertvolle Sammlung
von Aufsätzen, die dankbare Schüler ihrem
verehrten Lehrer gewidmet haben: Studien
zur Literaturgeschichte, Albert Köster zum
7. November 1912 überreicht. (Leipzig 1912,
Insel-Verlag. 264 S. 8°). In inter¬
essanten und überzeugenden Ausführungen
weist Alfred Götze nach, daß von einem
„Untergang des Volksliedes", Wie er seit
Jahrhunderten beklagt worden ist, keine
Rede sein kann. Paul Merker bespricht in

[Spaltenumbruch]

einem methodisch wichtigen, gehaltvollen Aufsatze
„den Verfasser des anonymen Reformations¬
dialogs: Eyn Wegsprech gen Regenspurg zu
ynß Concilium" und kommt zu dem sicheren
Schlüsse, daß er dem Reformator von Se.
Gallen Joachim Vadicm angehöre, und damit
noch fünf andere Prosaflngschristen, die in
enger Verwandtschaft mit der erwähnten stehen.
Über einen deutschenSPäthumanistenMaternuS
Steyndorffer, handelt kurz Hans Kleinstück,
und Carl Kaulfuß-Dieses verfolgt die dra¬
matische Behandlung der italienischen Novelle
Bandellos „Timbreo und Fenicia" durch das
17. Jahrhundert. Ebenfalls mit der Theater¬
geschichte beschäftigt sich Conrad Höfer, der
einen wichtigen Aufsatz „Vom ältesten Weimari-
schen Hoftheater. Ein Beitrag zur Lebens¬
geschichte von Carl Theophilus Doebbelin"
beigesteuert hat; er enthüllt uns die Kämpfe,
die ein Prinzipal des 18. Jahrhunderts mit
Hof, Magistrat und intriganten eigenen
Truppen angehörigen zu führen hatte. Kurz¬
weilig und amon liest sich die Geschichte des
Streites zwischen Haller und Lamettrie, für
die Ernst Bergmann neues Material ver¬
arbeitet hat; es ist ein Kampf zwischen skrupel¬
losem, aber espritvollem gallischem Witz und
schwerfälliger deutscher Gelehrsamkeit, in wel¬
chem letztere nicht gerade zu ihrem Vorteil ab¬
schneidet. Einen traurigen Blick in die geistigen
Bedürfnisse des deutschen Mittelstandes einer
Residenzstadt im Zeitalter der Aufklärung
gewährt uns Walther Hofstaetter, wenn er
aufschlußreich und belehrend „Die literarische
Bedeutung der Dresdner Zeitschriften im acht¬
zehnten Jahrhundert" behandelt; die litera¬
rische Ausbeute ist gering, und die breiten
Massen des sächsischen Publikums waren mit
sehr minderwertiger geistiger Kost im allge¬
meinen zufrieden. Scharfsinnig untersucht
Robert Niemann die Frage nach „Kassierten
Kapiteln" deS Urmeisters und macht u. a.
recht einleuchtend, daß die von Goethe in das
„Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" einge¬
arbeitete parodistische Alexandriner-Tragödie
eine Parodie seiner selbst ist, eine Parodie
der in Leipzig einst entstandenen „Königlichen
Einsiedlerin", von welcher Proben im „Ur-
meister" mitgeteilt sind, und welche dem be¬
rühmten Autodafö vom Herbst 17S7 ent¬
gangen war. Julius Petersen erörtert sorg-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328300"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_877" prev="#ID_876"> älteren Schrifttums." (Wiesbaden 1013,<lb/>
Heinrich Staate. 93 S, 8°,) Bevor Sternberg<lb/>
sich an sein Beginnen wagte, hätte er über<lb/>
die methodische Schwierigkeit einer Stammcs-<lb/>
Literaturgeschichte sich klar werden sollen<lb/>
und dabei gut getan, das wegweisende Werk<lb/>
von Josef Nadler, &#x201E;Literaturgeschichte der<lb/>
deutschen Stämme und Landschaften" (ver¬<lb/>
gleiche meine Besprechung des Buches in<lb/>
Heft 12 des Jahrgangs 1913 der &#x201E;Grenzboten")<lb/>
zu Rate zu ziehen. Aber er hat keine Ahnung<lb/>
von den Problemen, die dabei in Betracht<lb/>
kommen; mit vornehmer Gebärde lehnt er es<lb/>
ab, sich in eine Untersuchung einzulassen, &#x201E;inwie¬<lb/>
weit jene Einflüsse (der nassauischen Landschaft<lb/>
und Kultur) die Gestalt der literarischen Er¬<lb/>
zeugnisse tatsächlich bestimmt haben"; das sei<lb/>
Sache der Einzelforschung. Also gerade<lb/>
das, was man von einer landschaftlichen<lb/>
Litemtnrgeschichte verlangt, unterläßt der<lb/>
Verfasser. Mit derselben Ahnnngslosigkeit tritt<lb/>
Sternberg nun an sein Thema heran; er<lb/>
scheint es auch der Einzelforschung überlassen<lb/>
zu wollen, diesen Wust und dieses Durch¬<lb/>
einander von Namen und Schriftwerken zu<lb/>
sichten, das er als Nassauisches geistiges Leben<lb/>
im Mittelalter auftischt. Nicht besser sind die<lb/>
folgenden Abschnitte, die sich mit dem<lb/>
18. und der ersten Hälfte des 19. Jahr¬<lb/>
hunderts beschäftigen. Dann kommt Stern¬<lb/>
berg an sein Hauptthema, die Gegenwart,<lb/>
und hier wird wahllos jeder Poet und<lb/>
Schriftsteller verzeichnet, der zufällig im<lb/>
Nassauischen, besonders in Wiesbaden, gelebt<lb/>
hat oder lebt. Gegen Schluß der Schrift<lb/>
bemerkt der Verfasser, daß &#x201E;das ganze geistige<lb/>
Leben Nassaus am Dilettantismus förmlich<lb/>
krankt;" er selbst hat den besten Beweis dafür<lb/>
geliefert!</p>
            <p xml:id="ID_878" next="#ID_879"> Von der Reformation bis zum 19. Jahr¬<lb/>
hundert führt uns eine wertvolle Sammlung<lb/>
von Aufsätzen, die dankbare Schüler ihrem<lb/>
verehrten Lehrer gewidmet haben: Studien<lb/>
zur Literaturgeschichte, Albert Köster zum<lb/>
7. November 1912 überreicht. (Leipzig 1912,<lb/>
Insel-Verlag. 264 S. 8°). In inter¬<lb/>
essanten und überzeugenden Ausführungen<lb/>
weist Alfred Götze nach, daß von einem<lb/>
&#x201E;Untergang des Volksliedes", Wie er seit<lb/>
Jahrhunderten beklagt worden ist, keine<lb/>
Rede sein kann. Paul Merker bespricht in</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878" next="#ID_880"> einem methodisch wichtigen, gehaltvollen Aufsatze<lb/>
&#x201E;den Verfasser des anonymen Reformations¬<lb/>
dialogs: Eyn Wegsprech gen Regenspurg zu<lb/>
ynß Concilium" und kommt zu dem sicheren<lb/>
Schlüsse, daß er dem Reformator von Se.<lb/>
Gallen Joachim Vadicm angehöre, und damit<lb/>
noch fünf andere Prosaflngschristen, die in<lb/>
enger Verwandtschaft mit der erwähnten stehen.<lb/>
Über einen deutschenSPäthumanistenMaternuS<lb/>
Steyndorffer, handelt kurz Hans Kleinstück,<lb/>
und Carl Kaulfuß-Dieses verfolgt die dra¬<lb/>
matische Behandlung der italienischen Novelle<lb/>
Bandellos &#x201E;Timbreo und Fenicia" durch das<lb/>
17. Jahrhundert. Ebenfalls mit der Theater¬<lb/>
geschichte beschäftigt sich Conrad Höfer, der<lb/>
einen wichtigen Aufsatz &#x201E;Vom ältesten Weimari-<lb/>
schen Hoftheater. Ein Beitrag zur Lebens¬<lb/>
geschichte von Carl Theophilus Doebbelin"<lb/>
beigesteuert hat; er enthüllt uns die Kämpfe,<lb/>
die ein Prinzipal des 18. Jahrhunderts mit<lb/>
Hof, Magistrat und intriganten eigenen<lb/>
Truppen angehörigen zu führen hatte. Kurz¬<lb/>
weilig und amon liest sich die Geschichte des<lb/>
Streites zwischen Haller und Lamettrie, für<lb/>
die Ernst Bergmann neues Material ver¬<lb/>
arbeitet hat; es ist ein Kampf zwischen skrupel¬<lb/>
losem, aber espritvollem gallischem Witz und<lb/>
schwerfälliger deutscher Gelehrsamkeit, in wel¬<lb/>
chem letztere nicht gerade zu ihrem Vorteil ab¬<lb/>
schneidet. Einen traurigen Blick in die geistigen<lb/>
Bedürfnisse des deutschen Mittelstandes einer<lb/>
Residenzstadt im Zeitalter der Aufklärung<lb/>
gewährt uns Walther Hofstaetter, wenn er<lb/>
aufschlußreich und belehrend &#x201E;Die literarische<lb/>
Bedeutung der Dresdner Zeitschriften im acht¬<lb/>
zehnten Jahrhundert" behandelt; die litera¬<lb/>
rische Ausbeute ist gering, und die breiten<lb/>
Massen des sächsischen Publikums waren mit<lb/>
sehr minderwertiger geistiger Kost im allge¬<lb/>
meinen zufrieden. Scharfsinnig untersucht<lb/>
Robert Niemann die Frage nach &#x201E;Kassierten<lb/>
Kapiteln" deS Urmeisters und macht u. a.<lb/>
recht einleuchtend, daß die von Goethe in das<lb/>
&#x201E;Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" einge¬<lb/>
arbeitete parodistische Alexandriner-Tragödie<lb/>
eine Parodie seiner selbst ist, eine Parodie<lb/>
der in Leipzig einst entstandenen &#x201E;Königlichen<lb/>
Einsiedlerin", von welcher Proben im &#x201E;Ur-<lb/>
meister" mitgeteilt sind, und welche dem be¬<lb/>
rühmten Autodafö vom Herbst 17S7 ent¬<lb/>
gangen war. Julius Petersen erörtert sorg-</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0200] Maßgebliches und Unmaßgebliches älteren Schrifttums." (Wiesbaden 1013, Heinrich Staate. 93 S, 8°,) Bevor Sternberg sich an sein Beginnen wagte, hätte er über die methodische Schwierigkeit einer Stammcs- Literaturgeschichte sich klar werden sollen und dabei gut getan, das wegweisende Werk von Josef Nadler, „Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften" (ver¬ gleiche meine Besprechung des Buches in Heft 12 des Jahrgangs 1913 der „Grenzboten") zu Rate zu ziehen. Aber er hat keine Ahnung von den Problemen, die dabei in Betracht kommen; mit vornehmer Gebärde lehnt er es ab, sich in eine Untersuchung einzulassen, „inwie¬ weit jene Einflüsse (der nassauischen Landschaft und Kultur) die Gestalt der literarischen Er¬ zeugnisse tatsächlich bestimmt haben"; das sei Sache der Einzelforschung. Also gerade das, was man von einer landschaftlichen Litemtnrgeschichte verlangt, unterläßt der Verfasser. Mit derselben Ahnnngslosigkeit tritt Sternberg nun an sein Thema heran; er scheint es auch der Einzelforschung überlassen zu wollen, diesen Wust und dieses Durch¬ einander von Namen und Schriftwerken zu sichten, das er als Nassauisches geistiges Leben im Mittelalter auftischt. Nicht besser sind die folgenden Abschnitte, die sich mit dem 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahr¬ hunderts beschäftigen. Dann kommt Stern¬ berg an sein Hauptthema, die Gegenwart, und hier wird wahllos jeder Poet und Schriftsteller verzeichnet, der zufällig im Nassauischen, besonders in Wiesbaden, gelebt hat oder lebt. Gegen Schluß der Schrift bemerkt der Verfasser, daß „das ganze geistige Leben Nassaus am Dilettantismus förmlich krankt;" er selbst hat den besten Beweis dafür geliefert! Von der Reformation bis zum 19. Jahr¬ hundert führt uns eine wertvolle Sammlung von Aufsätzen, die dankbare Schüler ihrem verehrten Lehrer gewidmet haben: Studien zur Literaturgeschichte, Albert Köster zum 7. November 1912 überreicht. (Leipzig 1912, Insel-Verlag. 264 S. 8°). In inter¬ essanten und überzeugenden Ausführungen weist Alfred Götze nach, daß von einem „Untergang des Volksliedes", Wie er seit Jahrhunderten beklagt worden ist, keine Rede sein kann. Paul Merker bespricht in einem methodisch wichtigen, gehaltvollen Aufsatze „den Verfasser des anonymen Reformations¬ dialogs: Eyn Wegsprech gen Regenspurg zu ynß Concilium" und kommt zu dem sicheren Schlüsse, daß er dem Reformator von Se. Gallen Joachim Vadicm angehöre, und damit noch fünf andere Prosaflngschristen, die in enger Verwandtschaft mit der erwähnten stehen. Über einen deutschenSPäthumanistenMaternuS Steyndorffer, handelt kurz Hans Kleinstück, und Carl Kaulfuß-Dieses verfolgt die dra¬ matische Behandlung der italienischen Novelle Bandellos „Timbreo und Fenicia" durch das 17. Jahrhundert. Ebenfalls mit der Theater¬ geschichte beschäftigt sich Conrad Höfer, der einen wichtigen Aufsatz „Vom ältesten Weimari- schen Hoftheater. Ein Beitrag zur Lebens¬ geschichte von Carl Theophilus Doebbelin" beigesteuert hat; er enthüllt uns die Kämpfe, die ein Prinzipal des 18. Jahrhunderts mit Hof, Magistrat und intriganten eigenen Truppen angehörigen zu führen hatte. Kurz¬ weilig und amon liest sich die Geschichte des Streites zwischen Haller und Lamettrie, für die Ernst Bergmann neues Material ver¬ arbeitet hat; es ist ein Kampf zwischen skrupel¬ losem, aber espritvollem gallischem Witz und schwerfälliger deutscher Gelehrsamkeit, in wel¬ chem letztere nicht gerade zu ihrem Vorteil ab¬ schneidet. Einen traurigen Blick in die geistigen Bedürfnisse des deutschen Mittelstandes einer Residenzstadt im Zeitalter der Aufklärung gewährt uns Walther Hofstaetter, wenn er aufschlußreich und belehrend „Die literarische Bedeutung der Dresdner Zeitschriften im acht¬ zehnten Jahrhundert" behandelt; die litera¬ rische Ausbeute ist gering, und die breiten Massen des sächsischen Publikums waren mit sehr minderwertiger geistiger Kost im allge¬ meinen zufrieden. Scharfsinnig untersucht Robert Niemann die Frage nach „Kassierten Kapiteln" deS Urmeisters und macht u. a. recht einleuchtend, daß die von Goethe in das „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" einge¬ arbeitete parodistische Alexandriner-Tragödie eine Parodie seiner selbst ist, eine Parodie der in Leipzig einst entstandenen „Königlichen Einsiedlerin", von welcher Proben im „Ur- meister" mitgeteilt sind, und welche dem be¬ rühmten Autodafö vom Herbst 17S7 ent¬ gangen war. Julius Petersen erörtert sorg-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/200
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/200>, abgerufen am 23.06.2024.