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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Ihr möget allein reisen!" sagte Heilwig zu ihrem Gatten. Dieser aber
schüttelte den Kopf.

"Niemals, so Ihr nicht mitgeht."

"Ich kann meine kleine Heilwig nicht allein hier lassen!"

"So nehmt sie mit!"

"Kinder dürfen nicht reisen!" erwiderte sie erschrocken. Aber da bewies ihr
Josias, daß ein Fräulein des Herzogs, das jüngste Prinzeßlein, gleichfalls die
Reise mitmachen sollte.

Der Herzog wollte seine zwei jüngsten Kinder, einen Prinzen und ein Prin-
zeßlein, mitnehmen.

Noch zögerte Heilwig, dann aber kam ein Schreiben der Herzogin, das sie
freundlich aufforderte, sich an der Reise zu beteiligen, und damit waren eigentlich
alle Hindernisse beseitigt. Denn eine solche Jnvitation, selbst wenn sie
kostspielig war, durfte man nicht ablehnen. Besonders nicht unter den augen¬
blicklichen Verhältnissen. Zwar hatte das Raunen der Hörigen, daß Frau
Heilwig einstmals eine Zauberin gewesen war, aufgehört, aber es konnte immer
einmal wieder beginnen. Und das sicherste Mittel gegen allen Klatsch war die
Freundschaft und Huld einer so ausgezeichneten Fürstin, wie Dorothea Sophie
es war.

Gegen Ende des Februarmonats fuhr seine fürstliche Gnaden Hans Adolf
von Plön mit Gemahlin, zwei Kindern und einem Leibjäger gen Hamburg,
und im anderen Wagen fuhren in submisser Entfernung der Herr von Sehestedt
mit Frau Eheliebster und kleiner Tochter. Die submisse Entfernung aber dauerte
nicht lange. Bald fuhr die Herzogin mit Frau Heilwig zusammen, die fürst¬
lichen Kinder spielten mit klein Heilwig, und die Herren fuhren zusammen oder
ritten auf den von einigen Knechten geleiteten Pferden.

Die Herzogin und Frau von Sehestedt konnten sich gut unterhalten über
Hausfrauen- und Kindersorgen, über allerhand, was damals die Frauen beschäftigte.
Und wenn die Herzogin von manchen Dingen berichtete, an die sie dachte, und
die nicht immer von Einkochen und Fleischverwahrung handelten, dann sah sie
Frau Heilwigs blaue Augen aufmerksam auf sich gerichtet, und es kam ihr in
den Sinn, ob der Herr Josias wohl immer über seine Gemahlin nachgedacht
hatte? Da waren gar feine Saiten in ihrem Herzen aufgespannt -- hatte Herr
Josias jemals versucht, sie klingen zu machen? Ihr kam ein junger länderloser
Prinz in den Sinn, den sie einstmals am Hofe ihres Vaters kannte, und der
dann auf einmal abreisen mußte. Damals hatte sie sehr geweint: aber dann
kam Hans Adolf von Plön und sie wurde sein Gemahl. Es ging alles, wie
es gehen mußte und sie war sehr zufrieden. Aber es war ihr doch, als hätte
auch Heilwig von einem Prinzen berichten können, der in ihrem Herzen einst¬
mals wohnte. Und sie wurde immer liebevoller.

Die Reise ging ohne Unfall von statten. In Lüneburg und Hannover,
bei den Verwandten der Herzogin, wurde gerastet, dann ging es nach Münster.


Die Hexe von Mayen

„Ihr möget allein reisen!" sagte Heilwig zu ihrem Gatten. Dieser aber
schüttelte den Kopf.

„Niemals, so Ihr nicht mitgeht."

„Ich kann meine kleine Heilwig nicht allein hier lassen!"

„So nehmt sie mit!"

„Kinder dürfen nicht reisen!" erwiderte sie erschrocken. Aber da bewies ihr
Josias, daß ein Fräulein des Herzogs, das jüngste Prinzeßlein, gleichfalls die
Reise mitmachen sollte.

Der Herzog wollte seine zwei jüngsten Kinder, einen Prinzen und ein Prin-
zeßlein, mitnehmen.

Noch zögerte Heilwig, dann aber kam ein Schreiben der Herzogin, das sie
freundlich aufforderte, sich an der Reise zu beteiligen, und damit waren eigentlich
alle Hindernisse beseitigt. Denn eine solche Jnvitation, selbst wenn sie
kostspielig war, durfte man nicht ablehnen. Besonders nicht unter den augen¬
blicklichen Verhältnissen. Zwar hatte das Raunen der Hörigen, daß Frau
Heilwig einstmals eine Zauberin gewesen war, aufgehört, aber es konnte immer
einmal wieder beginnen. Und das sicherste Mittel gegen allen Klatsch war die
Freundschaft und Huld einer so ausgezeichneten Fürstin, wie Dorothea Sophie
es war.

Gegen Ende des Februarmonats fuhr seine fürstliche Gnaden Hans Adolf
von Plön mit Gemahlin, zwei Kindern und einem Leibjäger gen Hamburg,
und im anderen Wagen fuhren in submisser Entfernung der Herr von Sehestedt
mit Frau Eheliebster und kleiner Tochter. Die submisse Entfernung aber dauerte
nicht lange. Bald fuhr die Herzogin mit Frau Heilwig zusammen, die fürst¬
lichen Kinder spielten mit klein Heilwig, und die Herren fuhren zusammen oder
ritten auf den von einigen Knechten geleiteten Pferden.

Die Herzogin und Frau von Sehestedt konnten sich gut unterhalten über
Hausfrauen- und Kindersorgen, über allerhand, was damals die Frauen beschäftigte.
Und wenn die Herzogin von manchen Dingen berichtete, an die sie dachte, und
die nicht immer von Einkochen und Fleischverwahrung handelten, dann sah sie
Frau Heilwigs blaue Augen aufmerksam auf sich gerichtet, und es kam ihr in
den Sinn, ob der Herr Josias wohl immer über seine Gemahlin nachgedacht
hatte? Da waren gar feine Saiten in ihrem Herzen aufgespannt — hatte Herr
Josias jemals versucht, sie klingen zu machen? Ihr kam ein junger länderloser
Prinz in den Sinn, den sie einstmals am Hofe ihres Vaters kannte, und der
dann auf einmal abreisen mußte. Damals hatte sie sehr geweint: aber dann
kam Hans Adolf von Plön und sie wurde sein Gemahl. Es ging alles, wie
es gehen mußte und sie war sehr zufrieden. Aber es war ihr doch, als hätte
auch Heilwig von einem Prinzen berichten können, der in ihrem Herzen einst¬
mals wohnte. Und sie wurde immer liebevoller.

Die Reise ging ohne Unfall von statten. In Lüneburg und Hannover,
bei den Verwandten der Herzogin, wurde gerastet, dann ging es nach Münster.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/186>, abgerufen am 25.07.2024.