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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Hier, in der Herberge, kam ein Prinz Bentheim zum Herzog, ein alter Freund
und Waffengenosse. Der war eben am Rhein gewesen und berichtete, wie die
Franzosen dort hausten. Ein Vetter von ihm war bei Andernach begütert,
und mußte zu ihm nach Westfalen fliehen, weil die Franzosen ihn sonst wohl
getötet hätten, wie sie viele Männer, Frauen und Kinder töteten, ohne Ansehen
der Person noch des Standes. Eine rohe Bande focht unter dem Lilienbanner.
Söldlinge aus aller Herren Länder, welsche Zigeuner, Schweizer und Engländer.
Von allem der Abschaum, und dieser Abschaum hatte wieder mit eisernen Tritten
das blühende Land zerstampft. Was der Prinz berichtete, klang erbarmungs¬
würdig; er ging jetzt nach dem Rhein, um seinem armen Vetter zu helfen, sein
zerstörtes Haus wieder aufzubauen, ihm Geld zu leihen und ihm über die erste
schwere Zeit hinwegzuhelfen.

"Gotts Tod!" Der Herzog fluchte, trotz des ernsten Blickes seiner Ge¬
mahlin. "Wenn wir diese Hundsfötter doch alle aufhängen könnten!"

"Hilft nix, Euer Liebden!" erwiderte der Prinz. "Hundert macht Ihr
tot von diesem Geschmeiß, zweihundert stehen wieder auf. Wo die katholische
Majestät diese Bande herkriegt, der Allmächtige magh wissen. Nun, ich möchte
nicht in seiner Haut stecken, wenn er auch gar mächtig ist und für unsereins
keinen Blick übrig hat. Aber sterben muß er auch einmal und ich glaub nicht,
daß der Allmächtige sich freut, ihn zu sehen!"

Der Prinz war ein kleiner vertrockneter Herr mit einer Hakennase und
scharfen Augen. Er setzte noch einige bittere Worte hinzu und rieb dann vor¬
sichtig an einem Blutfleck in seinem grauen Habit.

"Dies ist mir angeflogen, wie ich vor etlichen Tagen vom Rhein kam.
Da war eine Gesellschaft Armseliger, die der Feind aus ihren Hütten vertrieben
hatte und die nun nirgends Unterkunft finden konnten. Ich konnte nicht viel
tun, aber ich zeigte ihnen ein Kloster, wo die Feinde noch nicht hinfanden.
Und ich trug ein Mägdelein, dem ein Soldat den Arm abgeschlagen hatte. Sie
war nur notdürftig verbunden und sie wird sterben. Aber sie schlief auf meinen
Armen ein."

Der Herzog stand auf.

"Ich will einmal hin und sehen, ob ich vielleicht helfen kann!"

"Euer Liebden wird nicht viel helfen können," erwiderte sein Standes¬
genosse, "aber ich würde mich Eurer Gesellschaft freuen. Ich meine, den Arm¬
seligen müßt es gut tun, wenn sie sehen, daß andere ihrer gedenken!"

So also fuhren die Wagen am andern Tage nicht gen Köln, sondern gen
Koblenz, und es dauerte nicht allzulange, da sahen die Reisenden die blauen
Berge des linken Rheinufers, die zerstörten Weinberge und Ortschaften. Im
letzten Spätherbst waren die französischen Scharen, aus der Pfalz kommend,
in das Rheinland gezogen; einmal verschwanden sie, dann kehrten sie wieder.
Das Heidelberger Schloß war in die Luft gesprengt und nun scheute sich kein
Anführer mehr, an die altehrwürdigen Burgen und Klöster die Hand zu legen.


Die Hexe von Mayen

Hier, in der Herberge, kam ein Prinz Bentheim zum Herzog, ein alter Freund
und Waffengenosse. Der war eben am Rhein gewesen und berichtete, wie die
Franzosen dort hausten. Ein Vetter von ihm war bei Andernach begütert,
und mußte zu ihm nach Westfalen fliehen, weil die Franzosen ihn sonst wohl
getötet hätten, wie sie viele Männer, Frauen und Kinder töteten, ohne Ansehen
der Person noch des Standes. Eine rohe Bande focht unter dem Lilienbanner.
Söldlinge aus aller Herren Länder, welsche Zigeuner, Schweizer und Engländer.
Von allem der Abschaum, und dieser Abschaum hatte wieder mit eisernen Tritten
das blühende Land zerstampft. Was der Prinz berichtete, klang erbarmungs¬
würdig; er ging jetzt nach dem Rhein, um seinem armen Vetter zu helfen, sein
zerstörtes Haus wieder aufzubauen, ihm Geld zu leihen und ihm über die erste
schwere Zeit hinwegzuhelfen.

„Gotts Tod!" Der Herzog fluchte, trotz des ernsten Blickes seiner Ge¬
mahlin. „Wenn wir diese Hundsfötter doch alle aufhängen könnten!"

„Hilft nix, Euer Liebden!" erwiderte der Prinz. „Hundert macht Ihr
tot von diesem Geschmeiß, zweihundert stehen wieder auf. Wo die katholische
Majestät diese Bande herkriegt, der Allmächtige magh wissen. Nun, ich möchte
nicht in seiner Haut stecken, wenn er auch gar mächtig ist und für unsereins
keinen Blick übrig hat. Aber sterben muß er auch einmal und ich glaub nicht,
daß der Allmächtige sich freut, ihn zu sehen!"

Der Prinz war ein kleiner vertrockneter Herr mit einer Hakennase und
scharfen Augen. Er setzte noch einige bittere Worte hinzu und rieb dann vor¬
sichtig an einem Blutfleck in seinem grauen Habit.

„Dies ist mir angeflogen, wie ich vor etlichen Tagen vom Rhein kam.
Da war eine Gesellschaft Armseliger, die der Feind aus ihren Hütten vertrieben
hatte und die nun nirgends Unterkunft finden konnten. Ich konnte nicht viel
tun, aber ich zeigte ihnen ein Kloster, wo die Feinde noch nicht hinfanden.
Und ich trug ein Mägdelein, dem ein Soldat den Arm abgeschlagen hatte. Sie
war nur notdürftig verbunden und sie wird sterben. Aber sie schlief auf meinen
Armen ein."

Der Herzog stand auf.

„Ich will einmal hin und sehen, ob ich vielleicht helfen kann!"

„Euer Liebden wird nicht viel helfen können," erwiderte sein Standes¬
genosse, „aber ich würde mich Eurer Gesellschaft freuen. Ich meine, den Arm¬
seligen müßt es gut tun, wenn sie sehen, daß andere ihrer gedenken!"

So also fuhren die Wagen am andern Tage nicht gen Köln, sondern gen
Koblenz, und es dauerte nicht allzulange, da sahen die Reisenden die blauen
Berge des linken Rheinufers, die zerstörten Weinberge und Ortschaften. Im
letzten Spätherbst waren die französischen Scharen, aus der Pfalz kommend,
in das Rheinland gezogen; einmal verschwanden sie, dann kehrten sie wieder.
Das Heidelberger Schloß war in die Luft gesprengt und nun scheute sich kein
Anführer mehr, an die altehrwürdigen Burgen und Klöster die Hand zu legen.


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[0187] Die Hexe von Mayen Hier, in der Herberge, kam ein Prinz Bentheim zum Herzog, ein alter Freund und Waffengenosse. Der war eben am Rhein gewesen und berichtete, wie die Franzosen dort hausten. Ein Vetter von ihm war bei Andernach begütert, und mußte zu ihm nach Westfalen fliehen, weil die Franzosen ihn sonst wohl getötet hätten, wie sie viele Männer, Frauen und Kinder töteten, ohne Ansehen der Person noch des Standes. Eine rohe Bande focht unter dem Lilienbanner. Söldlinge aus aller Herren Länder, welsche Zigeuner, Schweizer und Engländer. Von allem der Abschaum, und dieser Abschaum hatte wieder mit eisernen Tritten das blühende Land zerstampft. Was der Prinz berichtete, klang erbarmungs¬ würdig; er ging jetzt nach dem Rhein, um seinem armen Vetter zu helfen, sein zerstörtes Haus wieder aufzubauen, ihm Geld zu leihen und ihm über die erste schwere Zeit hinwegzuhelfen. „Gotts Tod!" Der Herzog fluchte, trotz des ernsten Blickes seiner Ge¬ mahlin. „Wenn wir diese Hundsfötter doch alle aufhängen könnten!" „Hilft nix, Euer Liebden!" erwiderte der Prinz. „Hundert macht Ihr tot von diesem Geschmeiß, zweihundert stehen wieder auf. Wo die katholische Majestät diese Bande herkriegt, der Allmächtige magh wissen. Nun, ich möchte nicht in seiner Haut stecken, wenn er auch gar mächtig ist und für unsereins keinen Blick übrig hat. Aber sterben muß er auch einmal und ich glaub nicht, daß der Allmächtige sich freut, ihn zu sehen!" Der Prinz war ein kleiner vertrockneter Herr mit einer Hakennase und scharfen Augen. Er setzte noch einige bittere Worte hinzu und rieb dann vor¬ sichtig an einem Blutfleck in seinem grauen Habit. „Dies ist mir angeflogen, wie ich vor etlichen Tagen vom Rhein kam. Da war eine Gesellschaft Armseliger, die der Feind aus ihren Hütten vertrieben hatte und die nun nirgends Unterkunft finden konnten. Ich konnte nicht viel tun, aber ich zeigte ihnen ein Kloster, wo die Feinde noch nicht hinfanden. Und ich trug ein Mägdelein, dem ein Soldat den Arm abgeschlagen hatte. Sie war nur notdürftig verbunden und sie wird sterben. Aber sie schlief auf meinen Armen ein." Der Herzog stand auf. „Ich will einmal hin und sehen, ob ich vielleicht helfen kann!" „Euer Liebden wird nicht viel helfen können," erwiderte sein Standes¬ genosse, „aber ich würde mich Eurer Gesellschaft freuen. Ich meine, den Arm¬ seligen müßt es gut tun, wenn sie sehen, daß andere ihrer gedenken!" So also fuhren die Wagen am andern Tage nicht gen Köln, sondern gen Koblenz, und es dauerte nicht allzulange, da sahen die Reisenden die blauen Berge des linken Rheinufers, die zerstörten Weinberge und Ortschaften. Im letzten Spätherbst waren die französischen Scharen, aus der Pfalz kommend, in das Rheinland gezogen; einmal verschwanden sie, dann kehrten sie wieder. Das Heidelberger Schloß war in die Luft gesprengt und nun scheute sich kein Anführer mehr, an die altehrwürdigen Burgen und Klöster die Hand zu legen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/187>, abgerufen am 21.06.2024.