Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.vom Elend deutscher Theaterkritik nur ohne die geringste Sachkenntnis. Außerdem: das Publikum folgt den wenigen Gregori wünscht als Voraussetzung für eine kritische Betätigung den Nachweis An den Redaktionen liegt es also zunächst, dem jammervollen Elend zu Hilfe Und endlich mag die Zunft der Kritiker selbst für ihr Heil sorgen. Heute Außer dieser Qualitätsbesserung hätte eine solche Organisation noch einen vom Elend deutscher Theaterkritik nur ohne die geringste Sachkenntnis. Außerdem: das Publikum folgt den wenigen Gregori wünscht als Voraussetzung für eine kritische Betätigung den Nachweis An den Redaktionen liegt es also zunächst, dem jammervollen Elend zu Hilfe Und endlich mag die Zunft der Kritiker selbst für ihr Heil sorgen. Heute Außer dieser Qualitätsbesserung hätte eine solche Organisation noch einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327562"/> <fw type="header" place="top"> vom Elend deutscher Theaterkritik</fw><lb/> <p xml:id="ID_343" prev="#ID_342"> nur ohne die geringste Sachkenntnis. Außerdem: das Publikum folgt den wenigen<lb/> guten Kritikern, über die wir heute verfügen, ganz ausgezeichnet. Ihre Arbeiten<lb/> sind durchaus nicht nur für Fachmänner geschrieben, im Gegenteil: sie tun das,<lb/> was der deutschen Bühne in ihrem Elend aufhelfen kann, sie erziehen nach einer<lb/> Zeit seltsamer, selbstverschuldeter Theaterfremdheit das Publikum wieder zum rich¬<lb/> tigen Verständnis, zur richtigen Bewertung der Bühnenkunst. So hat auch die<lb/> Bühne selbst ein Interesse an einer sachgemäßen Kritik.</p><lb/> <p xml:id="ID_344"> Gregori wünscht als Voraussetzung für eine kritische Betätigung den Nachweis<lb/> einer bestimmten Volontärzeit in einem Theaterverband. Gewiß! Nur ist das<lb/> wirklich das Allernotdürstigste, was hier verlangt werden kann. Wer nicht von<lb/> vornherein das hat, was das ^ und das 0 aller Erfolge im Bannkreise des<lb/> Theaters ist, den eigenartigen Theaterinstinkt — der wird auch kraft dieser Volontär¬<lb/> zeit seiner Aufgabe nicht gerecht werden, wird aber immerhin vor den größten<lb/> Torheiten bewahrt bleiben. Und wer jenen Instinkt hat, wird sich die Kenntnis<lb/> technischer Dinge, den nötigen Scharfblick für verborgene Fehler in wenigen Wochen<lb/> aneignen.</p><lb/> <p xml:id="ID_345"> An den Redaktionen liegt es also zunächst, dem jammervollen Elend zu Hilfe<lb/> zu kommen. Sie mögen sich der erwähnten Tatsache bewußt werden, wie sehr die<lb/> Theaterkritik ein ganz eigenartiges Talent voraussetzt, mögen nicht ein für allemal<lb/> ihre Feuilletonredakteure auf die Komödie loslassen, sollen Leute erspähen, die als<lb/> dramatische Autoren, als Bühnenschriftsteller jenes Talent erwiesen haben. Die<lb/> geringe Mehrausgabe wird am Ende ihre Früchte tragen. Man soll sich nur<lb/> darüber klar werden, daß Theaterkritiken mehr Leser haben als Börsenberichte.</p><lb/> <p xml:id="ID_346"> Und endlich mag die Zunft der Kritiker selbst für ihr Heil sorgen. Heute<lb/> trägt auch der, der kraft seines Könnens und seiner Erfahrung ein Urteil fällen<lb/> kann, das deutscher Bühnenkunst frommt, seine Richterschaft als einen Makel, der<lb/> ihm früher oder später das Handwerk leidet. Auch sie könnten sich, wie die<lb/> Musikkritiker, zu einer Vereinigung zusammentun, die die Aufnahme von ein paar<lb/> Arbeiten abhängig machte. Von einigen Arbeiten, produktiven oder kritischen, die<lb/> erwiesen, ob der, der sich zum Richten erbietet, zum Nichten berufen ist. Und ein¬<lb/> gedenk des Nutzens, den eine leidlich sachkundige Kritik der Bühne leistet, könnten<lb/> Intendanzen und Bühnenleitungen ein Übriges tun: könnten Freiplätze nur<lb/> solchen Redaktionen überlassen, die nachweisen, daß ihre Kritiker dieser Vereinigung<lb/> angehören. Auf die Dauer wäre der Kauf der Plätze den Zeitungsverlageu, die<lb/> für ihre Rezensenten nicht mehr aufwenden als für einen guten Jnseratensammler.<lb/> am Ende doch zu teuer.</p><lb/> <p xml:id="ID_347" next="#ID_348"> Außer dieser Qualitätsbesserung hätte eine solche Organisation noch einen<lb/> besonderen Wert: sie würde der Kritik endlich eine Waffe gegen törichte Forderungen<lb/> der Verlage nicht nur. sondern auch des Publikums geben. Über den Unfug der<lb/> Nachtrezensionen ist genug geschrieben worden. Und daß man nicht am Ende eines<lb/> Tages den Geist sprühen lassen kann, ohne daß das Feuer mit Alkaloiden genährt wird,<lb/> brauche ich nicht erst nachzuweisen. Daß es aber auch ohne Nachtkritiken geht,<lb/> beweisen die großen Münchener Blätter, die ihre vorzüglichen Kritiker nicht zur<lb/> nächtlichen Nervenhatz mißbrauchen, die oft sogar größere Werke am übernächsten<lb/> Morgen rezenficren. Wer verlangt denn eigentlich die Nachtkritik? Scheinbar der<lb/> Spießer, der sich gedankenlos daran gewöhnt hat, ohne daß er weiß, wie vielen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
vom Elend deutscher Theaterkritik
nur ohne die geringste Sachkenntnis. Außerdem: das Publikum folgt den wenigen
guten Kritikern, über die wir heute verfügen, ganz ausgezeichnet. Ihre Arbeiten
sind durchaus nicht nur für Fachmänner geschrieben, im Gegenteil: sie tun das,
was der deutschen Bühne in ihrem Elend aufhelfen kann, sie erziehen nach einer
Zeit seltsamer, selbstverschuldeter Theaterfremdheit das Publikum wieder zum rich¬
tigen Verständnis, zur richtigen Bewertung der Bühnenkunst. So hat auch die
Bühne selbst ein Interesse an einer sachgemäßen Kritik.
Gregori wünscht als Voraussetzung für eine kritische Betätigung den Nachweis
einer bestimmten Volontärzeit in einem Theaterverband. Gewiß! Nur ist das
wirklich das Allernotdürstigste, was hier verlangt werden kann. Wer nicht von
vornherein das hat, was das ^ und das 0 aller Erfolge im Bannkreise des
Theaters ist, den eigenartigen Theaterinstinkt — der wird auch kraft dieser Volontär¬
zeit seiner Aufgabe nicht gerecht werden, wird aber immerhin vor den größten
Torheiten bewahrt bleiben. Und wer jenen Instinkt hat, wird sich die Kenntnis
technischer Dinge, den nötigen Scharfblick für verborgene Fehler in wenigen Wochen
aneignen.
An den Redaktionen liegt es also zunächst, dem jammervollen Elend zu Hilfe
zu kommen. Sie mögen sich der erwähnten Tatsache bewußt werden, wie sehr die
Theaterkritik ein ganz eigenartiges Talent voraussetzt, mögen nicht ein für allemal
ihre Feuilletonredakteure auf die Komödie loslassen, sollen Leute erspähen, die als
dramatische Autoren, als Bühnenschriftsteller jenes Talent erwiesen haben. Die
geringe Mehrausgabe wird am Ende ihre Früchte tragen. Man soll sich nur
darüber klar werden, daß Theaterkritiken mehr Leser haben als Börsenberichte.
Und endlich mag die Zunft der Kritiker selbst für ihr Heil sorgen. Heute
trägt auch der, der kraft seines Könnens und seiner Erfahrung ein Urteil fällen
kann, das deutscher Bühnenkunst frommt, seine Richterschaft als einen Makel, der
ihm früher oder später das Handwerk leidet. Auch sie könnten sich, wie die
Musikkritiker, zu einer Vereinigung zusammentun, die die Aufnahme von ein paar
Arbeiten abhängig machte. Von einigen Arbeiten, produktiven oder kritischen, die
erwiesen, ob der, der sich zum Richten erbietet, zum Nichten berufen ist. Und ein¬
gedenk des Nutzens, den eine leidlich sachkundige Kritik der Bühne leistet, könnten
Intendanzen und Bühnenleitungen ein Übriges tun: könnten Freiplätze nur
solchen Redaktionen überlassen, die nachweisen, daß ihre Kritiker dieser Vereinigung
angehören. Auf die Dauer wäre der Kauf der Plätze den Zeitungsverlageu, die
für ihre Rezensenten nicht mehr aufwenden als für einen guten Jnseratensammler.
am Ende doch zu teuer.
Außer dieser Qualitätsbesserung hätte eine solche Organisation noch einen
besonderen Wert: sie würde der Kritik endlich eine Waffe gegen törichte Forderungen
der Verlage nicht nur. sondern auch des Publikums geben. Über den Unfug der
Nachtrezensionen ist genug geschrieben worden. Und daß man nicht am Ende eines
Tages den Geist sprühen lassen kann, ohne daß das Feuer mit Alkaloiden genährt wird,
brauche ich nicht erst nachzuweisen. Daß es aber auch ohne Nachtkritiken geht,
beweisen die großen Münchener Blätter, die ihre vorzüglichen Kritiker nicht zur
nächtlichen Nervenhatz mißbrauchen, die oft sogar größere Werke am übernächsten
Morgen rezenficren. Wer verlangt denn eigentlich die Nachtkritik? Scheinbar der
Spießer, der sich gedankenlos daran gewöhnt hat, ohne daß er weiß, wie vielen
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