Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.vom Lieut deutscher Theaterkritik unserer Tage und über die Bühnen selbst das große Elend gekommen: dadurch, Und nun schaue man sich einmal die Theaterkritiken der Herren an. Zu drei Spricht der literarische Kritiker von der Regie, so meint er zunächst meist die Man mag mir erwidern, auf das alles einzugehen sei unnötig, das Publikumfolge 6*
vom Lieut deutscher Theaterkritik unserer Tage und über die Bühnen selbst das große Elend gekommen: dadurch, Und nun schaue man sich einmal die Theaterkritiken der Herren an. Zu drei Spricht der literarische Kritiker von der Regie, so meint er zunächst meist die Man mag mir erwidern, auf das alles einzugehen sei unnötig, das Publikumfolge 6*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327561"/> <fw type="header" place="top"> vom Lieut deutscher Theaterkritik</fw><lb/> <p xml:id="ID_339" prev="#ID_338"> unserer Tage und über die Bühnen selbst das große Elend gekommen: dadurch,<lb/> daß man Annahme oder Ablehnung von Bühnenwerken allzusehr von den Meinungs¬<lb/> äußerungen höchst professoraler Literaien abhängig machte, daß der Literatenklüngel<lb/> fortgesetzt alles, was den Willen zur Bühnenwirkung irgendwie verriet, mit dem<lb/> Vorwurf der Kulissenreißerei abtat, gerade dadurch haben wir das „stagnierende<lb/> Drama" erhalten, das auf der Bühne die Langweile, im Zuschauerraum die<lb/> gähnende Leere geschaffen hat. Das ist der Typus, der heute verächtlich über manches<lb/> dramatisch fest und knapp gefügte Werk des frühen Naturalismus die Nase rümpft,<lb/> dessen eigene dramatische Kinder aber noch überall, wo wir sie auf der Bühne<lb/> erlebten, als klägliche Mißgeburten einem frühen Ende entgegentamnelten.</p><lb/> <p xml:id="ID_340"> Und nun schaue man sich einmal die Theaterkritiken der Herren an. Zu drei<lb/> Vierteln ein literarischer Essay über das Werk. Hinterher als mikroskopisch kleines<lb/> Anhängsel die eigentliche Kritik des Spieles, der Regie usw. Wenigstens das, was<lb/> sie eine Kritik nennen. In der Regel vertuscht auch hier ein dem Impressionismus<lb/> entlehntes Schlagwort die Unwissenheit und Hilflosigkeit des Urteils. „Herr X.<lb/> zeichnete den Hamlet in einer seltsamen, wirren Linie." „Fräulein I. flocht in den<lb/> Kranz ihrer keuschen Frauengestalten eine weitere Blüte" (beides Originale aus<lb/> einer höchst angesehenen Wiener Tageszeitung). Der Schauspieler, der vorwärts<lb/> will, fängt damit gar nichts an. Er will, wenn er an sich arbeitet, meist wissen,<lb/> ob er mit der Dynamik seiner Sprache das Rechte traf, ob er die vorteilhafteste<lb/> Lage seiner Stimme gefunden hat. Ob seine Bewegungen zu unruhig, das Tempo<lb/> seines Spieles zu übersetzt, zu schläfrig war. Er will wissen, ob er sich in ein<lb/> gegebenes Ensemble hineinfügte. Und er verlangt, daß der Kritiker an dieser oder<lb/> jener Hauptstation seiner Rolle Halt macht und ihn auf typische Schwächen oder<lb/> Vorzüge seines Spieles hinweist. Man sehe sich es einmal an, wie sich bei Otto<lb/> Vrahms schon in seinen frühen Kritiken in dieser Richtung der Thcaterinstinkt<lb/> äußert.</p><lb/> <p xml:id="ID_341"> Spricht der literarische Kritiker von der Regie, so meint er zunächst meist die<lb/> Inszenierung. „Die meisterliche Regie des Herrn Z.", ein derartiger Satz sagt<lb/> nur, daß die Bühnenbilder des Herrn Z. dem Gelehrten gefallen haben. Daß<lb/> der Regisseur oft gar nicht für die (womöglich vor seiner Tätigkeit an der<lb/> betreffenden Bühne angeschafften) Ausstattungen verantwortlich ist, daß vor allem<lb/> heute fast jedes Theatermännlein soviel Geschmack hat, in der Wahl von Bühnen¬<lb/> bildern Kitsch von Schönem sondern zu können, das alles ahnt er nicht.<lb/> Uno auf die angebliche „Regie" wird oft genug auch ein Lobeshymnus gesungen,<lb/> wenn von einer Regie überhaupt keine Rede gewesen war: wenn ein scharf zu-<lb/> gespitzter Dialog wie ein Gummiband zu faber Langweile gedehnt ward, wenn<lb/> im Gespräch oder in der Handlung Wendungen, auf die der Autor berechtigte<lb/> Hoffnungen setzte, überhaupt nicht herausgearbeitet wurden, wenn im Gehen und<lb/> Kommen der Spieler Verzögerungen eintraten, wo Straffheit und Knappheit<lb/> herrschen mußten. Von allen Dingen ahnt der typische Kritiker nichts, weil er<lb/> das mühevolle Werden einer Aufführung in den verschiedenen Stadien ihrer Vor-<lb/> bereitung nicht kennt und auf diese Weise überhaupt nicht weiß, was eigentlich<lb/> Regie ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_342" next="#ID_343"> Man mag mir erwidern, auf das alles einzugehen sei unnötig, das Publikumfolge<lb/> dem gar nicht. Nun, man geht ja auch bellte zuweilen auf diese Dinge ein, leider</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 6*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
vom Lieut deutscher Theaterkritik
unserer Tage und über die Bühnen selbst das große Elend gekommen: dadurch,
daß man Annahme oder Ablehnung von Bühnenwerken allzusehr von den Meinungs¬
äußerungen höchst professoraler Literaien abhängig machte, daß der Literatenklüngel
fortgesetzt alles, was den Willen zur Bühnenwirkung irgendwie verriet, mit dem
Vorwurf der Kulissenreißerei abtat, gerade dadurch haben wir das „stagnierende
Drama" erhalten, das auf der Bühne die Langweile, im Zuschauerraum die
gähnende Leere geschaffen hat. Das ist der Typus, der heute verächtlich über manches
dramatisch fest und knapp gefügte Werk des frühen Naturalismus die Nase rümpft,
dessen eigene dramatische Kinder aber noch überall, wo wir sie auf der Bühne
erlebten, als klägliche Mißgeburten einem frühen Ende entgegentamnelten.
Und nun schaue man sich einmal die Theaterkritiken der Herren an. Zu drei
Vierteln ein literarischer Essay über das Werk. Hinterher als mikroskopisch kleines
Anhängsel die eigentliche Kritik des Spieles, der Regie usw. Wenigstens das, was
sie eine Kritik nennen. In der Regel vertuscht auch hier ein dem Impressionismus
entlehntes Schlagwort die Unwissenheit und Hilflosigkeit des Urteils. „Herr X.
zeichnete den Hamlet in einer seltsamen, wirren Linie." „Fräulein I. flocht in den
Kranz ihrer keuschen Frauengestalten eine weitere Blüte" (beides Originale aus
einer höchst angesehenen Wiener Tageszeitung). Der Schauspieler, der vorwärts
will, fängt damit gar nichts an. Er will, wenn er an sich arbeitet, meist wissen,
ob er mit der Dynamik seiner Sprache das Rechte traf, ob er die vorteilhafteste
Lage seiner Stimme gefunden hat. Ob seine Bewegungen zu unruhig, das Tempo
seines Spieles zu übersetzt, zu schläfrig war. Er will wissen, ob er sich in ein
gegebenes Ensemble hineinfügte. Und er verlangt, daß der Kritiker an dieser oder
jener Hauptstation seiner Rolle Halt macht und ihn auf typische Schwächen oder
Vorzüge seines Spieles hinweist. Man sehe sich es einmal an, wie sich bei Otto
Vrahms schon in seinen frühen Kritiken in dieser Richtung der Thcaterinstinkt
äußert.
Spricht der literarische Kritiker von der Regie, so meint er zunächst meist die
Inszenierung. „Die meisterliche Regie des Herrn Z.", ein derartiger Satz sagt
nur, daß die Bühnenbilder des Herrn Z. dem Gelehrten gefallen haben. Daß
der Regisseur oft gar nicht für die (womöglich vor seiner Tätigkeit an der
betreffenden Bühne angeschafften) Ausstattungen verantwortlich ist, daß vor allem
heute fast jedes Theatermännlein soviel Geschmack hat, in der Wahl von Bühnen¬
bildern Kitsch von Schönem sondern zu können, das alles ahnt er nicht.
Uno auf die angebliche „Regie" wird oft genug auch ein Lobeshymnus gesungen,
wenn von einer Regie überhaupt keine Rede gewesen war: wenn ein scharf zu-
gespitzter Dialog wie ein Gummiband zu faber Langweile gedehnt ward, wenn
im Gespräch oder in der Handlung Wendungen, auf die der Autor berechtigte
Hoffnungen setzte, überhaupt nicht herausgearbeitet wurden, wenn im Gehen und
Kommen der Spieler Verzögerungen eintraten, wo Straffheit und Knappheit
herrschen mußten. Von allen Dingen ahnt der typische Kritiker nichts, weil er
das mühevolle Werden einer Aufführung in den verschiedenen Stadien ihrer Vor-
bereitung nicht kennt und auf diese Weise überhaupt nicht weiß, was eigentlich
Regie ist.
Man mag mir erwidern, auf das alles einzugehen sei unnötig, das Publikumfolge
dem gar nicht. Nun, man geht ja auch bellte zuweilen auf diese Dinge ein, leider
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