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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayer

Wein rührte er nicht an, der noch immer vor ihm stand, und er vergaß seinen
leeren Magen.

"Ihr habt gestern eine Hexe eingebracht und ich will sie sehen!"
sagte er.

"Eine Hexe?" Jupp warf dem Junker einen spöttischen Blick zu. "Ich
hab' sie den Kottenheiniern abgejagt, -- schon recht: was sollen die mit einer
Gefangenen, da sie nit einmal einen guten Turm haben, sie zu verwahren?
Und die glaubten natürlich, sie wäre eine Hexe, da sie ihre Sprache nit ver¬
stehen konnten. Aber da saß keine Katze neben ihr, noch roch es nach Schwefel.
Eine Hexe wird sie schon nit sein, aber sie ist grade so schlimm, wenn nit
schlimmer: ich meine, sie ist eine Ketzerin! Sie betet nit den Rosenkranz, weiß
nix von unsern Heiligen und hat spöttisch gelächelt, als der Herr Stadtschreiber
sie heute verhörte."

Sebastian hörte atemlos zu.

"So wird sie auch brennen müssen!" entfuhr es ihm und der Büttel wiegte
den großen Kopf.

"Wohl, wohl, Junker! An mir soll es nit liegen. Ich laß sie schon
brennen und daher hat meine Käiha ihr Supp gebracht, weil ich Mitleid
spüre. Das aber ist der Teufel, der mir zusetzt, ich weiß es wohl und wenn
es ankommt, unserm Glauben zu dienen, so tu ich alles, was von mir verlangt
wird. Es ist nur --" Er hielt inne und lauschte nach der dunkelsten Ecke
des Zimmers. Ein lautes Geheul kam von dorther und Jupp stand langsam
auf, öffnete eine Tür und rief Flüche hinein.

"Willst still sein, Vermaledeiter! Ich hau dich sonst, ich hau dich!"

"Warum sperrt Ihr den armen Köler ein?" fragte Sebastian. Denn es
war ein Hund, der so heulte.

"Der sitzt doch seine Straf ab!" belehrte ihn der Büttel. "Der hat doch
im vorigen Winter die Frau Bürgermeister in die Wade gebissen und das
Gericht hat ihn zum lebenslänglichen Kerker verurteilt. Unten im Turm ist
sein Loch: aber gestern ist ein gelber Kater eingeliefert worden, der gleichfalls
eine Missetat begangen hat. Und die Zwei haben einen so höllischen Lärm
vollführt, daß man beiden den Satan anmerkte. Also nahm Kätha den Hund
zu uns; denn im Kerker muß es fein ruhig sein, auf daß der Böse sein Wesen
nicht noch mehr treibe!"

"Unvernünftige Tiere muß man nicht einsperren!" sagte Sebastian und
Jupp kratzte seinen struppigen Kopf.

"Redet nit so laut, Junker! Der kaiserliche Rat aus Koblenz ist eigens
gekommen, um im vorigen Jahr allerhand Malefizleute zu richten und den
Hund obendrein. Aber wenn Ihr ihn mir ein wenig abnehmen wollt soll es
mir recht sein und es wird wohl niemand danach fragen. Denn die Frau
Bürgermeister liegt einmal wieder in Wochen und der Bürgermeister hat das
Podagra und die Angst vor den Franzosen. Und mein Schwein, das hinten


Die Hexe von Mayer

Wein rührte er nicht an, der noch immer vor ihm stand, und er vergaß seinen
leeren Magen.

„Ihr habt gestern eine Hexe eingebracht und ich will sie sehen!"
sagte er.

„Eine Hexe?" Jupp warf dem Junker einen spöttischen Blick zu. „Ich
hab' sie den Kottenheiniern abgejagt, — schon recht: was sollen die mit einer
Gefangenen, da sie nit einmal einen guten Turm haben, sie zu verwahren?
Und die glaubten natürlich, sie wäre eine Hexe, da sie ihre Sprache nit ver¬
stehen konnten. Aber da saß keine Katze neben ihr, noch roch es nach Schwefel.
Eine Hexe wird sie schon nit sein, aber sie ist grade so schlimm, wenn nit
schlimmer: ich meine, sie ist eine Ketzerin! Sie betet nit den Rosenkranz, weiß
nix von unsern Heiligen und hat spöttisch gelächelt, als der Herr Stadtschreiber
sie heute verhörte."

Sebastian hörte atemlos zu.

„So wird sie auch brennen müssen!" entfuhr es ihm und der Büttel wiegte
den großen Kopf.

„Wohl, wohl, Junker! An mir soll es nit liegen. Ich laß sie schon
brennen und daher hat meine Käiha ihr Supp gebracht, weil ich Mitleid
spüre. Das aber ist der Teufel, der mir zusetzt, ich weiß es wohl und wenn
es ankommt, unserm Glauben zu dienen, so tu ich alles, was von mir verlangt
wird. Es ist nur —" Er hielt inne und lauschte nach der dunkelsten Ecke
des Zimmers. Ein lautes Geheul kam von dorther und Jupp stand langsam
auf, öffnete eine Tür und rief Flüche hinein.

„Willst still sein, Vermaledeiter! Ich hau dich sonst, ich hau dich!"

„Warum sperrt Ihr den armen Köler ein?" fragte Sebastian. Denn es
war ein Hund, der so heulte.

„Der sitzt doch seine Straf ab!" belehrte ihn der Büttel. „Der hat doch
im vorigen Winter die Frau Bürgermeister in die Wade gebissen und das
Gericht hat ihn zum lebenslänglichen Kerker verurteilt. Unten im Turm ist
sein Loch: aber gestern ist ein gelber Kater eingeliefert worden, der gleichfalls
eine Missetat begangen hat. Und die Zwei haben einen so höllischen Lärm
vollführt, daß man beiden den Satan anmerkte. Also nahm Kätha den Hund
zu uns; denn im Kerker muß es fein ruhig sein, auf daß der Böse sein Wesen
nicht noch mehr treibe!"

„Unvernünftige Tiere muß man nicht einsperren!" sagte Sebastian und
Jupp kratzte seinen struppigen Kopf.

„Redet nit so laut, Junker! Der kaiserliche Rat aus Koblenz ist eigens
gekommen, um im vorigen Jahr allerhand Malefizleute zu richten und den
Hund obendrein. Aber wenn Ihr ihn mir ein wenig abnehmen wollt soll es
mir recht sein und es wird wohl niemand danach fragen. Denn die Frau
Bürgermeister liegt einmal wieder in Wochen und der Bürgermeister hat das
Podagra und die Angst vor den Franzosen. Und mein Schwein, das hinten


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[0086] Die Hexe von Mayer Wein rührte er nicht an, der noch immer vor ihm stand, und er vergaß seinen leeren Magen. „Ihr habt gestern eine Hexe eingebracht und ich will sie sehen!" sagte er. „Eine Hexe?" Jupp warf dem Junker einen spöttischen Blick zu. „Ich hab' sie den Kottenheiniern abgejagt, — schon recht: was sollen die mit einer Gefangenen, da sie nit einmal einen guten Turm haben, sie zu verwahren? Und die glaubten natürlich, sie wäre eine Hexe, da sie ihre Sprache nit ver¬ stehen konnten. Aber da saß keine Katze neben ihr, noch roch es nach Schwefel. Eine Hexe wird sie schon nit sein, aber sie ist grade so schlimm, wenn nit schlimmer: ich meine, sie ist eine Ketzerin! Sie betet nit den Rosenkranz, weiß nix von unsern Heiligen und hat spöttisch gelächelt, als der Herr Stadtschreiber sie heute verhörte." Sebastian hörte atemlos zu. „So wird sie auch brennen müssen!" entfuhr es ihm und der Büttel wiegte den großen Kopf. „Wohl, wohl, Junker! An mir soll es nit liegen. Ich laß sie schon brennen und daher hat meine Käiha ihr Supp gebracht, weil ich Mitleid spüre. Das aber ist der Teufel, der mir zusetzt, ich weiß es wohl und wenn es ankommt, unserm Glauben zu dienen, so tu ich alles, was von mir verlangt wird. Es ist nur —" Er hielt inne und lauschte nach der dunkelsten Ecke des Zimmers. Ein lautes Geheul kam von dorther und Jupp stand langsam auf, öffnete eine Tür und rief Flüche hinein. „Willst still sein, Vermaledeiter! Ich hau dich sonst, ich hau dich!" „Warum sperrt Ihr den armen Köler ein?" fragte Sebastian. Denn es war ein Hund, der so heulte. „Der sitzt doch seine Straf ab!" belehrte ihn der Büttel. „Der hat doch im vorigen Winter die Frau Bürgermeister in die Wade gebissen und das Gericht hat ihn zum lebenslänglichen Kerker verurteilt. Unten im Turm ist sein Loch: aber gestern ist ein gelber Kater eingeliefert worden, der gleichfalls eine Missetat begangen hat. Und die Zwei haben einen so höllischen Lärm vollführt, daß man beiden den Satan anmerkte. Also nahm Kätha den Hund zu uns; denn im Kerker muß es fein ruhig sein, auf daß der Böse sein Wesen nicht noch mehr treibe!" „Unvernünftige Tiere muß man nicht einsperren!" sagte Sebastian und Jupp kratzte seinen struppigen Kopf. „Redet nit so laut, Junker! Der kaiserliche Rat aus Koblenz ist eigens gekommen, um im vorigen Jahr allerhand Malefizleute zu richten und den Hund obendrein. Aber wenn Ihr ihn mir ein wenig abnehmen wollt soll es mir recht sein und es wird wohl niemand danach fragen. Denn die Frau Bürgermeister liegt einmal wieder in Wochen und der Bürgermeister hat das Podagra und die Angst vor den Franzosen. Und mein Schwein, das hinten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/86>, abgerufen am 06.01.2025.