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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"El, der Herr Junker! Es ist eine üble Zeit, nit wahr? da muß man
halt mal trinken!"

Er langte hinter sich, holte einen zweiten Becher vom Bort und schenkte ein.

"Es ist eine üble Zeit!" wiederholte er. "Jeden Tag können die Franz¬
männer kommen und die heilige Jungfrau mag wissen, wie es dann mit uns
geht! Da muß man eins trinken!"

Er hatte den Becher vollgeschenkt und hielt ihn Sebastian hin. Dieser
zögerte einen Augenblick: dann schüttelte er den Kopf.

"Ich suche die Kätha, sie hat mir meine Suppe nicht gebracht!"

Der Stadtbüttel lachte behaglich.

"Die Kätha hat halt ein weiches Herz, Herr Junker! Grad wie auch ich
nit bös bin. Das kleine Mägdlein war arg verhungert, da hat die Kätha ihr
die Supp gebracht. Ihr müßt es nit übel vermerken, Junker! Die Kätha hat
auch schon lang keinen Gulden von Euch gesehen!"

Mit diesen Worten nahm Jupp noch einen langen Schluck und schob den
anderen Becher Sebastian hin.

"Nichts für ungut, Junker! Ich weiß, daß die Zeiten mager sind, und
Färber Lehnharts, der Euch fünfzig Gulden lieh, wartet noch immer auf sein
Geld! Gestern hat er es mir grad geklagt. Aber Ihr könnt nix davor, ich
weiß es. Seid nit an Arbeiten gewöhnt und wartet, daß die Goldvögel auf
Euch niederstiegen."

"Wenn ich erst Domherr bin, werde ich alle meine Schulden bezahlen!"
rief Sebastian mit heißen Wangen, und der Büttel schenkte sich wieder ein.

"Trinkt doch auch, Junker! Es ist Euch gegönnt! Der Weiße ist in Laach
gewachsen, und die frommen Brüder haben ihn fein gekeltert und zusammen¬
gegossen, daß er stark ist, wie Rheinwein! Der Bruder Pförtner ist ein Vetter
von mir, und da hat er mir ein Fäßlein billig gelassen! Seid Ihr noch nit
in Laach gewesen, Junker? Ist ein gar feines Kloster, und die Brüder vom
heiligen Beuediktus pflanzen und säen, graben und ackern. Und dann lesen sie
in großen Büchern, und schreiben auch welche. Gerade, so wie Ihr. -- Die
Kätha hat mir davon erzählt. Den ganzen Tag sitzt Ihr vor dem Pult, oder
steht im Garten und sinnieret. Muß ein gut Leben sein! Da merkt man
nichts von Krieg und Frieden und Schießen. In Koltenheim haben sie gestern
erzählt, die Fmnzen brennten jedes Dorf auf, das sie zu sehen kriegten, und
die Soldaten stechen die kleinen Kinder tot. Euch werden sie wohl nichts tun,
da Ihr von Adel seid und ein gelehrter Herr. Aber wir, die wir nur simpel
sind, und wenig von den heiligen Büchern verstehen, wir --" Jupp wischte
sich plötzlich die Augen und begann zu schluchzen, denn er hatte schon den
halben Krug ausgetrunken und wurde gerührt.

Sebastian hatte ihn reden lassen. El' wußte, daß ein Mann, wie dieser
Büttel ihn nicht beleidigen konnte, und er kannte zudem seine Reden. Den


Die Hexe von Mayen

„El, der Herr Junker! Es ist eine üble Zeit, nit wahr? da muß man
halt mal trinken!"

Er langte hinter sich, holte einen zweiten Becher vom Bort und schenkte ein.

„Es ist eine üble Zeit!" wiederholte er. „Jeden Tag können die Franz¬
männer kommen und die heilige Jungfrau mag wissen, wie es dann mit uns
geht! Da muß man eins trinken!"

Er hatte den Becher vollgeschenkt und hielt ihn Sebastian hin. Dieser
zögerte einen Augenblick: dann schüttelte er den Kopf.

„Ich suche die Kätha, sie hat mir meine Suppe nicht gebracht!"

Der Stadtbüttel lachte behaglich.

„Die Kätha hat halt ein weiches Herz, Herr Junker! Grad wie auch ich
nit bös bin. Das kleine Mägdlein war arg verhungert, da hat die Kätha ihr
die Supp gebracht. Ihr müßt es nit übel vermerken, Junker! Die Kätha hat
auch schon lang keinen Gulden von Euch gesehen!"

Mit diesen Worten nahm Jupp noch einen langen Schluck und schob den
anderen Becher Sebastian hin.

„Nichts für ungut, Junker! Ich weiß, daß die Zeiten mager sind, und
Färber Lehnharts, der Euch fünfzig Gulden lieh, wartet noch immer auf sein
Geld! Gestern hat er es mir grad geklagt. Aber Ihr könnt nix davor, ich
weiß es. Seid nit an Arbeiten gewöhnt und wartet, daß die Goldvögel auf
Euch niederstiegen."

„Wenn ich erst Domherr bin, werde ich alle meine Schulden bezahlen!"
rief Sebastian mit heißen Wangen, und der Büttel schenkte sich wieder ein.

„Trinkt doch auch, Junker! Es ist Euch gegönnt! Der Weiße ist in Laach
gewachsen, und die frommen Brüder haben ihn fein gekeltert und zusammen¬
gegossen, daß er stark ist, wie Rheinwein! Der Bruder Pförtner ist ein Vetter
von mir, und da hat er mir ein Fäßlein billig gelassen! Seid Ihr noch nit
in Laach gewesen, Junker? Ist ein gar feines Kloster, und die Brüder vom
heiligen Beuediktus pflanzen und säen, graben und ackern. Und dann lesen sie
in großen Büchern, und schreiben auch welche. Gerade, so wie Ihr. — Die
Kätha hat mir davon erzählt. Den ganzen Tag sitzt Ihr vor dem Pult, oder
steht im Garten und sinnieret. Muß ein gut Leben sein! Da merkt man
nichts von Krieg und Frieden und Schießen. In Koltenheim haben sie gestern
erzählt, die Fmnzen brennten jedes Dorf auf, das sie zu sehen kriegten, und
die Soldaten stechen die kleinen Kinder tot. Euch werden sie wohl nichts tun,
da Ihr von Adel seid und ein gelehrter Herr. Aber wir, die wir nur simpel
sind, und wenig von den heiligen Büchern verstehen, wir —" Jupp wischte
sich plötzlich die Augen und begann zu schluchzen, denn er hatte schon den
halben Krug ausgetrunken und wurde gerührt.

Sebastian hatte ihn reden lassen. El' wußte, daß ein Mann, wie dieser
Büttel ihn nicht beleidigen konnte, und er kannte zudem seine Reden. Den


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[0085] Die Hexe von Mayen „El, der Herr Junker! Es ist eine üble Zeit, nit wahr? da muß man halt mal trinken!" Er langte hinter sich, holte einen zweiten Becher vom Bort und schenkte ein. „Es ist eine üble Zeit!" wiederholte er. „Jeden Tag können die Franz¬ männer kommen und die heilige Jungfrau mag wissen, wie es dann mit uns geht! Da muß man eins trinken!" Er hatte den Becher vollgeschenkt und hielt ihn Sebastian hin. Dieser zögerte einen Augenblick: dann schüttelte er den Kopf. „Ich suche die Kätha, sie hat mir meine Suppe nicht gebracht!" Der Stadtbüttel lachte behaglich. „Die Kätha hat halt ein weiches Herz, Herr Junker! Grad wie auch ich nit bös bin. Das kleine Mägdlein war arg verhungert, da hat die Kätha ihr die Supp gebracht. Ihr müßt es nit übel vermerken, Junker! Die Kätha hat auch schon lang keinen Gulden von Euch gesehen!" Mit diesen Worten nahm Jupp noch einen langen Schluck und schob den anderen Becher Sebastian hin. „Nichts für ungut, Junker! Ich weiß, daß die Zeiten mager sind, und Färber Lehnharts, der Euch fünfzig Gulden lieh, wartet noch immer auf sein Geld! Gestern hat er es mir grad geklagt. Aber Ihr könnt nix davor, ich weiß es. Seid nit an Arbeiten gewöhnt und wartet, daß die Goldvögel auf Euch niederstiegen." „Wenn ich erst Domherr bin, werde ich alle meine Schulden bezahlen!" rief Sebastian mit heißen Wangen, und der Büttel schenkte sich wieder ein. „Trinkt doch auch, Junker! Es ist Euch gegönnt! Der Weiße ist in Laach gewachsen, und die frommen Brüder haben ihn fein gekeltert und zusammen¬ gegossen, daß er stark ist, wie Rheinwein! Der Bruder Pförtner ist ein Vetter von mir, und da hat er mir ein Fäßlein billig gelassen! Seid Ihr noch nit in Laach gewesen, Junker? Ist ein gar feines Kloster, und die Brüder vom heiligen Beuediktus pflanzen und säen, graben und ackern. Und dann lesen sie in großen Büchern, und schreiben auch welche. Gerade, so wie Ihr. — Die Kätha hat mir davon erzählt. Den ganzen Tag sitzt Ihr vor dem Pult, oder steht im Garten und sinnieret. Muß ein gut Leben sein! Da merkt man nichts von Krieg und Frieden und Schießen. In Koltenheim haben sie gestern erzählt, die Fmnzen brennten jedes Dorf auf, das sie zu sehen kriegten, und die Soldaten stechen die kleinen Kinder tot. Euch werden sie wohl nichts tun, da Ihr von Adel seid und ein gelehrter Herr. Aber wir, die wir nur simpel sind, und wenig von den heiligen Büchern verstehen, wir —" Jupp wischte sich plötzlich die Augen und begann zu schluchzen, denn er hatte schon den halben Krug ausgetrunken und wurde gerührt. Sebastian hatte ihn reden lassen. El' wußte, daß ein Mann, wie dieser Büttel ihn nicht beleidigen konnte, und er kannte zudem seine Reden. Den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/85>, abgerufen am 04.01.2025.