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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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und für mich wird es gut und nützlich sein, ein armes Menschenkind zum Tode
vorzubereiten. Dieweil die Zeit wahrlich ernsthaft ist und jeder gut tut, an
sein Ende zu denkenI"

Er verstand zu reden, der künftige Domherr, und der Pfarrer hatte seineu
kleinen Pfeil abgeschossen und mochte nicht mehr streiten. Gleichmütig wandte
er sich ab.

"Schon gut. Wenn mir der Stadtschreiber Botschaft schickt, daß das
Mägdlein geistlichen Trost bedcirf, so werde ich Euch rufen lassen!"

In diesem Augenblick öffnete die Schaffnerin die Tür und brachte eine
dampfende Einbrennsuppe herein. Denn es war gegen elf Uhr vormittags
geworden und die Mittagmahlzeit mußte eingenommen werden, sofern man es
dazu hatte. Die Suppe strömte einen köstlichen Duft aus, und Sebastian
dachte einen Augenblick, wie herrlich es sein müßte, vom Pfarrer zum Essen
eingeladen zu werden. Der aber machte nur eine entlassende Handbewegung,
und der Herr von Wiltberg stand bald wieder in seinem kleinen Hause und
dachte darüber nach, was ihm seine Kätha wohl heute bringen würde. Aber
sie kam gar nicht, und obgleich er sich allerhand guten Gedanken ergab, sich
bemühte, an die heilige Genooeva und auch an den heiligen Sebastian zu
denken, der sein Schutzpatron war und von dem er ein Bild in seinem Zimmer
hängen hatte, so wurde er doch allmählich so hungrig, daß er sich aufmachte,
um Kätha zu suchen. Sie wohnte nicht allzuweit von ihm in einer kleinen
Gasse, deren Ende ein mächtiger Turm bildete. Trotzig und ungeschlacht ragte
er in die Lust, und auf seinem Dach stand eine alte Kanone, die zur Ver
teidigung dienen sollte. Der Turm selbst war das Gefängnis der Stadt Manen.
Hier saßen die Bürger, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten; hier
hatten auch ehemals einige rheinische Ritter gesessen, die sich mit den Mayenern
Bürgern erzürnt hatten. Ein Wiltberg war darunter, der einen Mayener auf
offener Straße totgeschlagen und ausgeraubt hatte, und auch ein Solemacher
war wegen ähnlicher Missetat eingesponnen gewesen. Beide Herren kamen
wieder frei, weil ihre Schuld nicht nachzuweisen war; aber Sebastian von
Wiltberg ärgerte sich doch immer, wenn er an seinen Ahnherrn dachte. Er
war für den Edelmut und die Gerechtigkeit: Verbrechen waren ihm ein Greuel,
und daher hatte er schon manches Gebet für den Willberg gesprochen, der
vielleicht noch immer in der Hölle saß und seine irdischen Sünden in der Ver¬
dammnis büßte.

An den Turm lehnte sich ein Häuschen, in dem Jupp Rappich. der Büttel,
und seine Tochter wohnten. Sebastian hatte sich noch nie in das düstere Loch
gewagt, aber heute trat er in eine kleine Vordiele, auf der ein Herd stand, der
warm gewesen zu sein schien. Vor dem Herd stand ein grober Tisch, und hier
saß der Stadtbüttel vor einem Zinnkrug und einem Becher, den er gerade hin¬
setzte, als der junge Mann eintrat. Er erhob sich ein wenig und blinzelte aus
kleinen weinseligen Augen.


und für mich wird es gut und nützlich sein, ein armes Menschenkind zum Tode
vorzubereiten. Dieweil die Zeit wahrlich ernsthaft ist und jeder gut tut, an
sein Ende zu denkenI"

Er verstand zu reden, der künftige Domherr, und der Pfarrer hatte seineu
kleinen Pfeil abgeschossen und mochte nicht mehr streiten. Gleichmütig wandte
er sich ab.

„Schon gut. Wenn mir der Stadtschreiber Botschaft schickt, daß das
Mägdlein geistlichen Trost bedcirf, so werde ich Euch rufen lassen!"

In diesem Augenblick öffnete die Schaffnerin die Tür und brachte eine
dampfende Einbrennsuppe herein. Denn es war gegen elf Uhr vormittags
geworden und die Mittagmahlzeit mußte eingenommen werden, sofern man es
dazu hatte. Die Suppe strömte einen köstlichen Duft aus, und Sebastian
dachte einen Augenblick, wie herrlich es sein müßte, vom Pfarrer zum Essen
eingeladen zu werden. Der aber machte nur eine entlassende Handbewegung,
und der Herr von Wiltberg stand bald wieder in seinem kleinen Hause und
dachte darüber nach, was ihm seine Kätha wohl heute bringen würde. Aber
sie kam gar nicht, und obgleich er sich allerhand guten Gedanken ergab, sich
bemühte, an die heilige Genooeva und auch an den heiligen Sebastian zu
denken, der sein Schutzpatron war und von dem er ein Bild in seinem Zimmer
hängen hatte, so wurde er doch allmählich so hungrig, daß er sich aufmachte,
um Kätha zu suchen. Sie wohnte nicht allzuweit von ihm in einer kleinen
Gasse, deren Ende ein mächtiger Turm bildete. Trotzig und ungeschlacht ragte
er in die Lust, und auf seinem Dach stand eine alte Kanone, die zur Ver
teidigung dienen sollte. Der Turm selbst war das Gefängnis der Stadt Manen.
Hier saßen die Bürger, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten; hier
hatten auch ehemals einige rheinische Ritter gesessen, die sich mit den Mayenern
Bürgern erzürnt hatten. Ein Wiltberg war darunter, der einen Mayener auf
offener Straße totgeschlagen und ausgeraubt hatte, und auch ein Solemacher
war wegen ähnlicher Missetat eingesponnen gewesen. Beide Herren kamen
wieder frei, weil ihre Schuld nicht nachzuweisen war; aber Sebastian von
Wiltberg ärgerte sich doch immer, wenn er an seinen Ahnherrn dachte. Er
war für den Edelmut und die Gerechtigkeit: Verbrechen waren ihm ein Greuel,
und daher hatte er schon manches Gebet für den Willberg gesprochen, der
vielleicht noch immer in der Hölle saß und seine irdischen Sünden in der Ver¬
dammnis büßte.

An den Turm lehnte sich ein Häuschen, in dem Jupp Rappich. der Büttel,
und seine Tochter wohnten. Sebastian hatte sich noch nie in das düstere Loch
gewagt, aber heute trat er in eine kleine Vordiele, auf der ein Herd stand, der
warm gewesen zu sein schien. Vor dem Herd stand ein grober Tisch, und hier
saß der Stadtbüttel vor einem Zinnkrug und einem Becher, den er gerade hin¬
setzte, als der junge Mann eintrat. Er erhob sich ein wenig und blinzelte aus
kleinen weinseligen Augen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/84>, abgerufen am 01.01.2025.