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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

verteidigen, oder uns schmachvoll zu ergeben, falls nicht Hülfe kommt. Und
da sollten wir noch ein Mägdlein aburteilen, das uns gar nichts angeht?"

Der Pfarrer schlug auf den Tisch und Sebastian, der noch immer vor
seinem Stuhl gestanden hatte, setzte sich vor lauter Erstaunen.

"Die himmlischen Güter sind besser als die irdischen!" begann er. "Bedenkt,
Ehrwürdiger, daß es vielleicht dieses Geschöpf ist, das das große Elend über
uns gebracht hat. Wenn wir sie bekehren und eines christlichen Feuertodes
sterben lassen, dann wird König Ludwig vielleicht andern Sinnes werden und
seine Scharen heimziehen lassen. Man hat doch Beispiele in der Geschichte,
daß ein verderbtes Weib voni Satan angestiftet wurde, die Welt zu verderben,
und in der Offenbarung Sankt Johannes --"

Er hielt inne, denn der Pfarrer stand auf und sah ihm gerade ins Gesicht.

"Habt Ihr schon einmal eine Hexe brennen sehen?"

"Noch nicht, aber --"

"So freut Euch!" Michael Kohlbaum tat einen tiefen Atemzug und strich
sich mit der Hand über die Stirn.

"Ich Habs gesehen, lieber Junker, und habe genug für alle Zeiten! Damals
sprach ich auch so wie Ihr und meinte, Beelzebub hätte sich ein arm Mägdlein
erkoren um die Menschen unglücklich zu machen! Ich glands nicht mehr und
wenns nach mir geht, soll dies arme Kind nicht brennen!" Sein Ton war
so bestimmt, daß Sebastian keine Widerrede fand. Ader er mußte doch fragen.

"Ihr habt sie natürlich gesehen, Ehrwürdiger?"

Nein!" Der Pfarrer wandte sich halb ab. "Ich weiß nur, daß sie ein¬
gebracht ist und daß der Stadtschreiber sie in Verwahrsam gegeben hat. Er
hat noch nicht nach mir gesandt, und wenn ers tut, dann werd ich einen Kaplan
beauftragen. Zum Augenblick ist keiner hier; einen mußt ich an die Ahr schicken,
weil die Franzosen den Pfarrer in Mencchr tot geschlagen haben; der andere
ist mit Briefen nach Ehrenbreitsiein zum Kurfürsten. Aber, wenn Beide heil
wiederkehren und wir dann noch leben, soll einer von ihnen in den Turm,
zu dem armen Kinde. Sofern sie noch da ist."

Diesen letzten Satz aber sprach er so leise, daß Sebastian ihn nicht hörte;
den umflatterten einige Gedanken wie linde Schmetterlingsflügel.

"Wie wäre es, Ehrwürden, wenn Ihr mir gestattet, der Verblendeten
zuzureden?"

Michael Kohlbaum öffnete weit seine kleinen Augen.

"Ihr seid kein Diener des Höchsten!" sagte er kurz, und stach mit diesen
Worten dem armen Sebastian einen Dolch ins Herz. Aber er faßte sich gleich
und richtete sich in seiner schlanken Höhe auf."

"Es ist nicht meine Schuld, daß ich bis äato die Weihen nicht empfing!
sagte er trotzig. "Wäre der Krieg nicht gekommen und Trier nicht in den
Händen der Feinde, ich würde mein Gelübde getan und die Priesterweihen
empfangen haben. Auch werde ich sie erhalten, sobald die Zeilen besser werden.


Die Hexe von Mayen

verteidigen, oder uns schmachvoll zu ergeben, falls nicht Hülfe kommt. Und
da sollten wir noch ein Mägdlein aburteilen, das uns gar nichts angeht?"

Der Pfarrer schlug auf den Tisch und Sebastian, der noch immer vor
seinem Stuhl gestanden hatte, setzte sich vor lauter Erstaunen.

„Die himmlischen Güter sind besser als die irdischen!" begann er. „Bedenkt,
Ehrwürdiger, daß es vielleicht dieses Geschöpf ist, das das große Elend über
uns gebracht hat. Wenn wir sie bekehren und eines christlichen Feuertodes
sterben lassen, dann wird König Ludwig vielleicht andern Sinnes werden und
seine Scharen heimziehen lassen. Man hat doch Beispiele in der Geschichte,
daß ein verderbtes Weib voni Satan angestiftet wurde, die Welt zu verderben,
und in der Offenbarung Sankt Johannes —"

Er hielt inne, denn der Pfarrer stand auf und sah ihm gerade ins Gesicht.

„Habt Ihr schon einmal eine Hexe brennen sehen?"

„Noch nicht, aber —"

„So freut Euch!" Michael Kohlbaum tat einen tiefen Atemzug und strich
sich mit der Hand über die Stirn.

„Ich Habs gesehen, lieber Junker, und habe genug für alle Zeiten! Damals
sprach ich auch so wie Ihr und meinte, Beelzebub hätte sich ein arm Mägdlein
erkoren um die Menschen unglücklich zu machen! Ich glands nicht mehr und
wenns nach mir geht, soll dies arme Kind nicht brennen!" Sein Ton war
so bestimmt, daß Sebastian keine Widerrede fand. Ader er mußte doch fragen.

„Ihr habt sie natürlich gesehen, Ehrwürdiger?"

Nein!" Der Pfarrer wandte sich halb ab. „Ich weiß nur, daß sie ein¬
gebracht ist und daß der Stadtschreiber sie in Verwahrsam gegeben hat. Er
hat noch nicht nach mir gesandt, und wenn ers tut, dann werd ich einen Kaplan
beauftragen. Zum Augenblick ist keiner hier; einen mußt ich an die Ahr schicken,
weil die Franzosen den Pfarrer in Mencchr tot geschlagen haben; der andere
ist mit Briefen nach Ehrenbreitsiein zum Kurfürsten. Aber, wenn Beide heil
wiederkehren und wir dann noch leben, soll einer von ihnen in den Turm,
zu dem armen Kinde. Sofern sie noch da ist."

Diesen letzten Satz aber sprach er so leise, daß Sebastian ihn nicht hörte;
den umflatterten einige Gedanken wie linde Schmetterlingsflügel.

„Wie wäre es, Ehrwürden, wenn Ihr mir gestattet, der Verblendeten
zuzureden?"

Michael Kohlbaum öffnete weit seine kleinen Augen.

„Ihr seid kein Diener des Höchsten!" sagte er kurz, und stach mit diesen
Worten dem armen Sebastian einen Dolch ins Herz. Aber er faßte sich gleich
und richtete sich in seiner schlanken Höhe auf."

„Es ist nicht meine Schuld, daß ich bis äato die Weihen nicht empfing!
sagte er trotzig. „Wäre der Krieg nicht gekommen und Trier nicht in den
Händen der Feinde, ich würde mein Gelübde getan und die Priesterweihen
empfangen haben. Auch werde ich sie erhalten, sobald die Zeilen besser werden.


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[0083] Die Hexe von Mayen verteidigen, oder uns schmachvoll zu ergeben, falls nicht Hülfe kommt. Und da sollten wir noch ein Mägdlein aburteilen, das uns gar nichts angeht?" Der Pfarrer schlug auf den Tisch und Sebastian, der noch immer vor seinem Stuhl gestanden hatte, setzte sich vor lauter Erstaunen. „Die himmlischen Güter sind besser als die irdischen!" begann er. „Bedenkt, Ehrwürdiger, daß es vielleicht dieses Geschöpf ist, das das große Elend über uns gebracht hat. Wenn wir sie bekehren und eines christlichen Feuertodes sterben lassen, dann wird König Ludwig vielleicht andern Sinnes werden und seine Scharen heimziehen lassen. Man hat doch Beispiele in der Geschichte, daß ein verderbtes Weib voni Satan angestiftet wurde, die Welt zu verderben, und in der Offenbarung Sankt Johannes —" Er hielt inne, denn der Pfarrer stand auf und sah ihm gerade ins Gesicht. „Habt Ihr schon einmal eine Hexe brennen sehen?" „Noch nicht, aber —" „So freut Euch!" Michael Kohlbaum tat einen tiefen Atemzug und strich sich mit der Hand über die Stirn. „Ich Habs gesehen, lieber Junker, und habe genug für alle Zeiten! Damals sprach ich auch so wie Ihr und meinte, Beelzebub hätte sich ein arm Mägdlein erkoren um die Menschen unglücklich zu machen! Ich glands nicht mehr und wenns nach mir geht, soll dies arme Kind nicht brennen!" Sein Ton war so bestimmt, daß Sebastian keine Widerrede fand. Ader er mußte doch fragen. „Ihr habt sie natürlich gesehen, Ehrwürdiger?" Nein!" Der Pfarrer wandte sich halb ab. „Ich weiß nur, daß sie ein¬ gebracht ist und daß der Stadtschreiber sie in Verwahrsam gegeben hat. Er hat noch nicht nach mir gesandt, und wenn ers tut, dann werd ich einen Kaplan beauftragen. Zum Augenblick ist keiner hier; einen mußt ich an die Ahr schicken, weil die Franzosen den Pfarrer in Mencchr tot geschlagen haben; der andere ist mit Briefen nach Ehrenbreitsiein zum Kurfürsten. Aber, wenn Beide heil wiederkehren und wir dann noch leben, soll einer von ihnen in den Turm, zu dem armen Kinde. Sofern sie noch da ist." Diesen letzten Satz aber sprach er so leise, daß Sebastian ihn nicht hörte; den umflatterten einige Gedanken wie linde Schmetterlingsflügel. „Wie wäre es, Ehrwürden, wenn Ihr mir gestattet, der Verblendeten zuzureden?" Michael Kohlbaum öffnete weit seine kleinen Augen. „Ihr seid kein Diener des Höchsten!" sagte er kurz, und stach mit diesen Worten dem armen Sebastian einen Dolch ins Herz. Aber er faßte sich gleich und richtete sich in seiner schlanken Höhe auf." „Es ist nicht meine Schuld, daß ich bis äato die Weihen nicht empfing! sagte er trotzig. „Wäre der Krieg nicht gekommen und Trier nicht in den Händen der Feinde, ich würde mein Gelübde getan und die Priesterweihen empfangen haben. Auch werde ich sie erhalten, sobald die Zeilen besser werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/83>, abgerufen am 29.12.2024.