Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Realpolitik im Mittelmeer Selbstbewußtsein verliehen, das früher nur wenige ihrer Führer, zumal Crispi, Es war die letzte dieser beiden Reden, die den Tcmps zu der eingangs England hat zurzeit keinen einzigen Gegner im Mittelmeer, und im Mittel- Die englische Mittelmeerpolitik ist seit alter Zeit darauf gerichtet gewesen, Realpolitik im Mittelmeer Selbstbewußtsein verliehen, das früher nur wenige ihrer Führer, zumal Crispi, Es war die letzte dieser beiden Reden, die den Tcmps zu der eingangs England hat zurzeit keinen einzigen Gegner im Mittelmeer, und im Mittel- Die englische Mittelmeerpolitik ist seit alter Zeit darauf gerichtet gewesen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327545"/> <fw type="header" place="top"> Realpolitik im Mittelmeer</fw><lb/> <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> Selbstbewußtsein verliehen, das früher nur wenige ihrer Führer, zumal Crispi,<lb/> besessen hatten, und den entschiedenen Willen, die einmal errungene Stellung<lb/> zu behaupten. Dazu kommt weiter, daß der Balkankrieg Italien und Österreich-<lb/> Ungarn wieder eng zusammengeführt hat, und daß durch die Schaffung eines<lb/> selbständigen Albaniens das politische Gleichgewicht in der Adria zeitweilig her¬<lb/> gestellt worden ist. Die künftige Aufgabe Italiens ist, wie der Marquis ti San<lb/> Giulio.no in seinen beiden letzten Kammerreden vom 26. Februar und von:<lb/> 16. Dezember 1913 erklärte, den status quo und das Gleichgewicht im Mittel¬<lb/> meer zu erhalten. Keine Nation, sagte der Minister, dürfe fernerhin das<lb/> Mittelmeer als „msre nostrum" bezeichnen. Auch der Status amo in Nord¬<lb/> afrika und im östlichen Mittelmeer müsse erhalten bleiben, und eine Voraus¬<lb/> setzung dafür sei das Fortbestehen des türkischen Reiches.</p><lb/> <p xml:id="ID_224"> Es war die letzte dieser beiden Reden, die den Tcmps zu der eingangs<lb/> erwähnten Feststellung veranlaßte, daß die Entente zwischen Frankreich und<lb/> Italien zu Ende sei. Wenn aber die Beziehungen zwischen Italien und Frank¬<lb/> reich diese Veränderung erfahren haben, ist es um so wichtiger, festzustellen,<lb/> welches die Beziehungen beider Länder als Mittelmeerstaaten zu England sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_225"> England hat zurzeit keinen einzigen Gegner im Mittelmeer, und im Mittel-<lb/> meergebiet stehen einander auch keine gegnerischen oder rivalisierenden Mächte¬<lb/> gruppen gegenüber. Österreich-Ungarn hatte 1887 gemeinsam mit England<lb/> den Italienern die Erhaltung des status quo im Mittelmeer garantiert.<lb/> Aber später entstand ein nicht unerheblicher Streit zwischen Österreich-<lb/> Ungarn und Italien über das Gleichgewicht in der Adria; und wenn dieser<lb/> Streit auch jetzt beigelegt ist, so ist doch nicht bekannt, ob jene Abmachung<lb/> von 1887 heute noch gilt, oder ob sie erneuert worden ist. Vor allem aber ist<lb/> zu berücksichtigen, daß der nasus ioecieris für Italien nicht gegeben ist, wenn<lb/> Deutschland sich in einem Kriege mit England befände. Eine Bündnispflicht,<lb/> die gegen England gerichtet wäre, hätte Italien niemals auf sich nehmen können.<lb/> Bismcuck hat wiederholt betont, daß Italien von England so abhängig sei.<lb/> daß sein ganzes Verbleiben im Dreibund in den Händen Englands läge. Wenn<lb/> daher in der englischen und der französischen Presse die Streitkräfte, die einer¬<lb/> seits Österreich-Ungarn und Italien und anderseits England und Frankreich im<lb/> Mittelmeer haben, einander als die Seemacht des Dreibundes und der Triple-<lb/> Entente gegenübergestellt werden, so fehlt dafür jede tatsächliche Begründung.<lb/> Ebensowenig wie die beiden Dreibundmächte bilden die beiden Mächte der Triple-<lb/> Entente im Mittelmeer eine politische Einheit. Die Entente cordiale hat sich<lb/> in keinem Augenblick auf die Mittelmeeipolitik erstreckt.</p><lb/> <p xml:id="ID_226" next="#ID_227"> Die englische Mittelmeerpolitik ist seit alter Zeit darauf gerichtet gewesen,<lb/> dort den status quo und das Gleichgewicht zu erhalten. Nun nimmt Frankreich<lb/> mit seinem großen nordafrikanischen Besitz und mit seinen, Kranz von Häfen:<lb/> Toulon, Marseille. Ajaccio. Porto Vecchio. Mers-el°K?dir. Algier, Oran undBiserta,<lb/> eine sehr starke Stellung im westlichen Mittelmeer ein. Wenn England im</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
Realpolitik im Mittelmeer
Selbstbewußtsein verliehen, das früher nur wenige ihrer Führer, zumal Crispi,
besessen hatten, und den entschiedenen Willen, die einmal errungene Stellung
zu behaupten. Dazu kommt weiter, daß der Balkankrieg Italien und Österreich-
Ungarn wieder eng zusammengeführt hat, und daß durch die Schaffung eines
selbständigen Albaniens das politische Gleichgewicht in der Adria zeitweilig her¬
gestellt worden ist. Die künftige Aufgabe Italiens ist, wie der Marquis ti San
Giulio.no in seinen beiden letzten Kammerreden vom 26. Februar und von:
16. Dezember 1913 erklärte, den status quo und das Gleichgewicht im Mittel¬
meer zu erhalten. Keine Nation, sagte der Minister, dürfe fernerhin das
Mittelmeer als „msre nostrum" bezeichnen. Auch der Status amo in Nord¬
afrika und im östlichen Mittelmeer müsse erhalten bleiben, und eine Voraus¬
setzung dafür sei das Fortbestehen des türkischen Reiches.
Es war die letzte dieser beiden Reden, die den Tcmps zu der eingangs
erwähnten Feststellung veranlaßte, daß die Entente zwischen Frankreich und
Italien zu Ende sei. Wenn aber die Beziehungen zwischen Italien und Frank¬
reich diese Veränderung erfahren haben, ist es um so wichtiger, festzustellen,
welches die Beziehungen beider Länder als Mittelmeerstaaten zu England sind.
England hat zurzeit keinen einzigen Gegner im Mittelmeer, und im Mittel-
meergebiet stehen einander auch keine gegnerischen oder rivalisierenden Mächte¬
gruppen gegenüber. Österreich-Ungarn hatte 1887 gemeinsam mit England
den Italienern die Erhaltung des status quo im Mittelmeer garantiert.
Aber später entstand ein nicht unerheblicher Streit zwischen Österreich-
Ungarn und Italien über das Gleichgewicht in der Adria; und wenn dieser
Streit auch jetzt beigelegt ist, so ist doch nicht bekannt, ob jene Abmachung
von 1887 heute noch gilt, oder ob sie erneuert worden ist. Vor allem aber ist
zu berücksichtigen, daß der nasus ioecieris für Italien nicht gegeben ist, wenn
Deutschland sich in einem Kriege mit England befände. Eine Bündnispflicht,
die gegen England gerichtet wäre, hätte Italien niemals auf sich nehmen können.
Bismcuck hat wiederholt betont, daß Italien von England so abhängig sei.
daß sein ganzes Verbleiben im Dreibund in den Händen Englands läge. Wenn
daher in der englischen und der französischen Presse die Streitkräfte, die einer¬
seits Österreich-Ungarn und Italien und anderseits England und Frankreich im
Mittelmeer haben, einander als die Seemacht des Dreibundes und der Triple-
Entente gegenübergestellt werden, so fehlt dafür jede tatsächliche Begründung.
Ebensowenig wie die beiden Dreibundmächte bilden die beiden Mächte der Triple-
Entente im Mittelmeer eine politische Einheit. Die Entente cordiale hat sich
in keinem Augenblick auf die Mittelmeeipolitik erstreckt.
Die englische Mittelmeerpolitik ist seit alter Zeit darauf gerichtet gewesen,
dort den status quo und das Gleichgewicht zu erhalten. Nun nimmt Frankreich
mit seinem großen nordafrikanischen Besitz und mit seinen, Kranz von Häfen:
Toulon, Marseille. Ajaccio. Porto Vecchio. Mers-el°K?dir. Algier, Oran undBiserta,
eine sehr starke Stellung im westlichen Mittelmeer ein. Wenn England im
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |