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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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mannigfach entdeckten altheidnischen Bildwerke gehörnter "Götter"*) kannte,
vielleicht war ihm auch der deutsche Namen "Hornaffe" für das französische
Gebäck "cornuet" nicht fremd, ein Namen, der ihm wohl ebenso rätselhaft
erschien, wie denen, die für dasselbe Gebäck den Namen Hornaffe in Deutsch¬
land brauchten, und der ihn dahin führen konnte, unter seine Fabeltiere auch
Gestalten des Affeninpus mit einem Horne aufzunehmen.

Das 1811 bis 1813 erschienene damalige beste, auf das älctionairs der
Akademie von 1802 gegründete französische Wörterbuch, das der Ubbo Mozin.
Lehrer am Ludwigsburger Lyzeum, im Cottaschen Verlag herausgab, führt das
Wort cornuet als "eine Art Gebackenes in Form zweier Hörnchen" auf und die
Worte "Hornaffe", wie "Hornkuchen" als eine "an manchen Orten" vorkommende
"Art gekrümmten Backwerkes in Gestalt zweier aneinander gefügter Hörner".
Ausweislich des Lompletc-neue ein äiLtioimire cle I'aLcrclemie von 1866 ist
sodann der cornuet eine Art Gebäck, "hus I'on kalt principalLment en
LtmmpAZnL." In der Champagne hat sich demnach ein dem Hornaffen gleiches
Gebäck bis zur Neuzeit erhalten. Die Champagne war seit 570 ein eigenes
Herzogtun:, das durch Heirat erst 1284 an den König von Frankreich fiel und
im vierzehnten Jahrhundert einverleibt wurde; an den Grenzen dieses Herzogtums
lagen deutsche Besitzungen (nördlich Luxemburg, östlich Lothringen). Dadurch
wurde in der Champagne die Möglichkeit der Erhaltung altgermanischer Bräuche
gefördert. Im Namen deS Horngebäcks dessen Offenheit ausdrücklich hervor¬
zuheben, wie es der Deutsche tat, hielt der Franzose für entbehrlich; er begnügte
sich, seinem Worte corn (--- Horn) eine unschuldige Silbe anzuhängen, um sein
Gebäck zweier zusammengefügter Hörner von jedem sonstigen Horn zu unter¬
scheiden. Gegenwärtig ist das Wort cornuet in Reims, Trovcs und Epcinay
nicht mehr im Gebrauch, ja gänzlich unbekannt geworden, wohl aber kennt man
die "Hörnchen" unter dem Namen eroiZsants, und man kennt in der Um¬
gegend von Reims pain tencZu ("gespaltenes Brot") als gangbarstes Weißbrot
von zwei bis sechs, früher sogar bis zwölf Pfund in der Form des deutschen
Hornaffen (gegensätzlich zu dem ebenwohl üblichen Weißbrotring, dem deutschen
Kringel), der den Namen Louronne führt. ^)

Frankreich lernen wir hiermit als das Land kennen, wo sich neben dein ring¬
förmigen Offenhörncrgebück, für das in Deutschland der Name Hornaffe gebräuchlich
ist. das Steinbild eines gehörnten Affen findet, und zwar außen an Notre Dame,
wo 1710 der Altar des Cernunnos mit seinen Ringen und Hörnern ausgegraben
wurde. So brachte es der Weltenlauf mit sich, daß nach mehr als einem Jahr¬
tausend das in der Erde Tiefe versunkene altheidnische Götterbild des Cernunnos
hoch und direkt über seiner Fundstelle in freier Luft eine Art von Metamorphose als
Fabelbild eines gehörnten Affen am Turni einer christlichen HaupMrche erlebte.




") Siehe Heft 47, Seite 351 ff.
Gefüllige Ermitlluna, des Herrn Generalkonsuls imm Jccklin M Paris.

mannigfach entdeckten altheidnischen Bildwerke gehörnter „Götter"*) kannte,
vielleicht war ihm auch der deutsche Namen „Hornaffe" für das französische
Gebäck „cornuet" nicht fremd, ein Namen, der ihm wohl ebenso rätselhaft
erschien, wie denen, die für dasselbe Gebäck den Namen Hornaffe in Deutsch¬
land brauchten, und der ihn dahin führen konnte, unter seine Fabeltiere auch
Gestalten des Affeninpus mit einem Horne aufzunehmen.

Das 1811 bis 1813 erschienene damalige beste, auf das älctionairs der
Akademie von 1802 gegründete französische Wörterbuch, das der Ubbo Mozin.
Lehrer am Ludwigsburger Lyzeum, im Cottaschen Verlag herausgab, führt das
Wort cornuet als „eine Art Gebackenes in Form zweier Hörnchen" auf und die
Worte „Hornaffe", wie „Hornkuchen" als eine „an manchen Orten" vorkommende
„Art gekrümmten Backwerkes in Gestalt zweier aneinander gefügter Hörner".
Ausweislich des Lompletc-neue ein äiLtioimire cle I'aLcrclemie von 1866 ist
sodann der cornuet eine Art Gebäck, „hus I'on kalt principalLment en
LtmmpAZnL." In der Champagne hat sich demnach ein dem Hornaffen gleiches
Gebäck bis zur Neuzeit erhalten. Die Champagne war seit 570 ein eigenes
Herzogtun:, das durch Heirat erst 1284 an den König von Frankreich fiel und
im vierzehnten Jahrhundert einverleibt wurde; an den Grenzen dieses Herzogtums
lagen deutsche Besitzungen (nördlich Luxemburg, östlich Lothringen). Dadurch
wurde in der Champagne die Möglichkeit der Erhaltung altgermanischer Bräuche
gefördert. Im Namen deS Horngebäcks dessen Offenheit ausdrücklich hervor¬
zuheben, wie es der Deutsche tat, hielt der Franzose für entbehrlich; er begnügte
sich, seinem Worte corn (--- Horn) eine unschuldige Silbe anzuhängen, um sein
Gebäck zweier zusammengefügter Hörner von jedem sonstigen Horn zu unter¬
scheiden. Gegenwärtig ist das Wort cornuet in Reims, Trovcs und Epcinay
nicht mehr im Gebrauch, ja gänzlich unbekannt geworden, wohl aber kennt man
die „Hörnchen" unter dem Namen eroiZsants, und man kennt in der Um¬
gegend von Reims pain tencZu („gespaltenes Brot") als gangbarstes Weißbrot
von zwei bis sechs, früher sogar bis zwölf Pfund in der Form des deutschen
Hornaffen (gegensätzlich zu dem ebenwohl üblichen Weißbrotring, dem deutschen
Kringel), der den Namen Louronne führt. ^)

Frankreich lernen wir hiermit als das Land kennen, wo sich neben dein ring¬
förmigen Offenhörncrgebück, für das in Deutschland der Name Hornaffe gebräuchlich
ist. das Steinbild eines gehörnten Affen findet, und zwar außen an Notre Dame,
wo 1710 der Altar des Cernunnos mit seinen Ringen und Hörnern ausgegraben
wurde. So brachte es der Weltenlauf mit sich, daß nach mehr als einem Jahr¬
tausend das in der Erde Tiefe versunkene altheidnische Götterbild des Cernunnos
hoch und direkt über seiner Fundstelle in freier Luft eine Art von Metamorphose als
Fabelbild eines gehörnten Affen am Turni einer christlichen HaupMrche erlebte.




") Siehe Heft 47, Seite 351 ff.
Gefüllige Ermitlluna, des Herrn Generalkonsuls imm Jccklin M Paris.
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[0071] mannigfach entdeckten altheidnischen Bildwerke gehörnter „Götter"*) kannte, vielleicht war ihm auch der deutsche Namen „Hornaffe" für das französische Gebäck „cornuet" nicht fremd, ein Namen, der ihm wohl ebenso rätselhaft erschien, wie denen, die für dasselbe Gebäck den Namen Hornaffe in Deutsch¬ land brauchten, und der ihn dahin führen konnte, unter seine Fabeltiere auch Gestalten des Affeninpus mit einem Horne aufzunehmen. Das 1811 bis 1813 erschienene damalige beste, auf das älctionairs der Akademie von 1802 gegründete französische Wörterbuch, das der Ubbo Mozin. Lehrer am Ludwigsburger Lyzeum, im Cottaschen Verlag herausgab, führt das Wort cornuet als „eine Art Gebackenes in Form zweier Hörnchen" auf und die Worte „Hornaffe", wie „Hornkuchen" als eine „an manchen Orten" vorkommende „Art gekrümmten Backwerkes in Gestalt zweier aneinander gefügter Hörner". Ausweislich des Lompletc-neue ein äiLtioimire cle I'aLcrclemie von 1866 ist sodann der cornuet eine Art Gebäck, „hus I'on kalt principalLment en LtmmpAZnL." In der Champagne hat sich demnach ein dem Hornaffen gleiches Gebäck bis zur Neuzeit erhalten. Die Champagne war seit 570 ein eigenes Herzogtun:, das durch Heirat erst 1284 an den König von Frankreich fiel und im vierzehnten Jahrhundert einverleibt wurde; an den Grenzen dieses Herzogtums lagen deutsche Besitzungen (nördlich Luxemburg, östlich Lothringen). Dadurch wurde in der Champagne die Möglichkeit der Erhaltung altgermanischer Bräuche gefördert. Im Namen deS Horngebäcks dessen Offenheit ausdrücklich hervor¬ zuheben, wie es der Deutsche tat, hielt der Franzose für entbehrlich; er begnügte sich, seinem Worte corn (--- Horn) eine unschuldige Silbe anzuhängen, um sein Gebäck zweier zusammengefügter Hörner von jedem sonstigen Horn zu unter¬ scheiden. Gegenwärtig ist das Wort cornuet in Reims, Trovcs und Epcinay nicht mehr im Gebrauch, ja gänzlich unbekannt geworden, wohl aber kennt man die „Hörnchen" unter dem Namen eroiZsants, und man kennt in der Um¬ gegend von Reims pain tencZu („gespaltenes Brot") als gangbarstes Weißbrot von zwei bis sechs, früher sogar bis zwölf Pfund in der Form des deutschen Hornaffen (gegensätzlich zu dem ebenwohl üblichen Weißbrotring, dem deutschen Kringel), der den Namen Louronne führt. ^) Frankreich lernen wir hiermit als das Land kennen, wo sich neben dein ring¬ förmigen Offenhörncrgebück, für das in Deutschland der Name Hornaffe gebräuchlich ist. das Steinbild eines gehörnten Affen findet, und zwar außen an Notre Dame, wo 1710 der Altar des Cernunnos mit seinen Ringen und Hörnern ausgegraben wurde. So brachte es der Weltenlauf mit sich, daß nach mehr als einem Jahr¬ tausend das in der Erde Tiefe versunkene altheidnische Götterbild des Cernunnos hoch und direkt über seiner Fundstelle in freier Luft eine Art von Metamorphose als Fabelbild eines gehörnten Affen am Turni einer christlichen HaupMrche erlebte. ") Siehe Heft 47, Seite 351 ff. Gefüllige Ermitlluna, des Herrn Generalkonsuls imm Jccklin M Paris.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/71>, abgerufen am 04.01.2025.