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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die liczc von Mayen

Tief ging es an einer Seite hinab in die Erde, während an der anderen
steiler Wald anwuchs. Hier lag eine tote Ziege und eine Frau kniete vor
ihr, um sich ein Stück Fleisch vom Tier zu schneiden. Sie ging auch nicht
aus dem Wege, als Josias ihr dies zurief, gleichmütig arbeitete sie weiter an
dem mageren Tier, und der JuntVr mußte absteigen, da sein Pferd nicht weiter¬
wollte.

Zornig packte er die Frau an und erkannte Grill.

Sie war verwildert und zerlumpt, sie zeigte die Zähne, wie ein ver¬
hungertes Tier, und stieß einen krächzenden Laut aus, als der Junker ihren
Namen rief.

"Weg mit dir, Teufel!" schrie sie. "Ich will essen und meine
Kinder auch?"

"Grill!" Josias hielt die Frau fest.

"Du sollst hängen!" setzte er triumphierend hinzu. "Seine Gnaden werden
sich freuen!"

Er band ihr einen Strick um den Hals wie ehemals, und als er es tat,
mußte er an den Abend vor etlichen Monden denken, wo er dasselbe tat, und
die Frau mit sich nahm auf Geheiß des Herzogs.

Und es war nichts danach gekommen als Elend und Verrat.

Finster sah er in das Gesicht des Weibes, das ihn auch erkannte.

"Feiner Junker!" sagte sie höhnend. "Was hast du an mir? Bin nix
sür dich! Laß mich sterben, wo ich liege!"

Wie er dies Jammerbild sah, kam es doch über ihn wie Mitleid. Was
nützte es ihm, wenn sie am Galgen hing. Was nützte es dem Herzog?

Grill mußte seine Gedanken ahnen; sie nahm den Strick vom Hals und
kniete wieder neben die Ziege.

"Ich hab sie gefunden und will auf ihr reiten!" kicherte sie. "Andere tun
es auf einem Besen, das mag ich nit, muß ein feiner Bock sein! Willst du
mit, mein Feiner? Wir reiten schnell, ganz schnell!"

Josias stieg wieder auf und jagte eilig davon. Er wollte nicht an Hexen
glauben, aber ihn überkam doch ein Schauder. Ehemals war diese Frau ver¬
nünftig gewesen, nun hatte der Böse sie gepackt zur Strafe für ihre Sünden
und sie mußte in der Hölle brennen. Und es fiel ihm nicht ein, daß dies
arme Weib, durch harte Trübsal und Gefahr ihren kleinen Verstand ver¬
loren hatte.

Im Zimmer des Junkers von Wiltberg stand Josias in steifer Haltung,
während Sebastian sich erhob und seinen Gast höflich zum Sitzen
einlud. Die Tür nach dem Garten stand offen, und hier waren Mauertrümmer
und Spuren der Tritte beseitigt. Aus dem Rasen Sproß wieder einiges Grün,
und über dem Loch in der Mauer, obwohl es viel größer geworden war,
spielten die Efeuranken in der Sonne.


Die liczc von Mayen

Tief ging es an einer Seite hinab in die Erde, während an der anderen
steiler Wald anwuchs. Hier lag eine tote Ziege und eine Frau kniete vor
ihr, um sich ein Stück Fleisch vom Tier zu schneiden. Sie ging auch nicht
aus dem Wege, als Josias ihr dies zurief, gleichmütig arbeitete sie weiter an
dem mageren Tier, und der JuntVr mußte absteigen, da sein Pferd nicht weiter¬
wollte.

Zornig packte er die Frau an und erkannte Grill.

Sie war verwildert und zerlumpt, sie zeigte die Zähne, wie ein ver¬
hungertes Tier, und stieß einen krächzenden Laut aus, als der Junker ihren
Namen rief.

„Weg mit dir, Teufel!" schrie sie. „Ich will essen und meine
Kinder auch?"

„Grill!" Josias hielt die Frau fest.

„Du sollst hängen!" setzte er triumphierend hinzu. „Seine Gnaden werden
sich freuen!"

Er band ihr einen Strick um den Hals wie ehemals, und als er es tat,
mußte er an den Abend vor etlichen Monden denken, wo er dasselbe tat, und
die Frau mit sich nahm auf Geheiß des Herzogs.

Und es war nichts danach gekommen als Elend und Verrat.

Finster sah er in das Gesicht des Weibes, das ihn auch erkannte.

„Feiner Junker!" sagte sie höhnend. „Was hast du an mir? Bin nix
sür dich! Laß mich sterben, wo ich liege!"

Wie er dies Jammerbild sah, kam es doch über ihn wie Mitleid. Was
nützte es ihm, wenn sie am Galgen hing. Was nützte es dem Herzog?

Grill mußte seine Gedanken ahnen; sie nahm den Strick vom Hals und
kniete wieder neben die Ziege.

„Ich hab sie gefunden und will auf ihr reiten!" kicherte sie. „Andere tun
es auf einem Besen, das mag ich nit, muß ein feiner Bock sein! Willst du
mit, mein Feiner? Wir reiten schnell, ganz schnell!"

Josias stieg wieder auf und jagte eilig davon. Er wollte nicht an Hexen
glauben, aber ihn überkam doch ein Schauder. Ehemals war diese Frau ver¬
nünftig gewesen, nun hatte der Böse sie gepackt zur Strafe für ihre Sünden
und sie mußte in der Hölle brennen. Und es fiel ihm nicht ein, daß dies
arme Weib, durch harte Trübsal und Gefahr ihren kleinen Verstand ver¬
loren hatte.

Im Zimmer des Junkers von Wiltberg stand Josias in steifer Haltung,
während Sebastian sich erhob und seinen Gast höflich zum Sitzen
einlud. Die Tür nach dem Garten stand offen, und hier waren Mauertrümmer
und Spuren der Tritte beseitigt. Aus dem Rasen Sproß wieder einiges Grün,
und über dem Loch in der Mauer, obwohl es viel größer geworden war,
spielten die Efeuranken in der Sonne.


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[0611] Die liczc von Mayen Tief ging es an einer Seite hinab in die Erde, während an der anderen steiler Wald anwuchs. Hier lag eine tote Ziege und eine Frau kniete vor ihr, um sich ein Stück Fleisch vom Tier zu schneiden. Sie ging auch nicht aus dem Wege, als Josias ihr dies zurief, gleichmütig arbeitete sie weiter an dem mageren Tier, und der JuntVr mußte absteigen, da sein Pferd nicht weiter¬ wollte. Zornig packte er die Frau an und erkannte Grill. Sie war verwildert und zerlumpt, sie zeigte die Zähne, wie ein ver¬ hungertes Tier, und stieß einen krächzenden Laut aus, als der Junker ihren Namen rief. „Weg mit dir, Teufel!" schrie sie. „Ich will essen und meine Kinder auch?" „Grill!" Josias hielt die Frau fest. „Du sollst hängen!" setzte er triumphierend hinzu. „Seine Gnaden werden sich freuen!" Er band ihr einen Strick um den Hals wie ehemals, und als er es tat, mußte er an den Abend vor etlichen Monden denken, wo er dasselbe tat, und die Frau mit sich nahm auf Geheiß des Herzogs. Und es war nichts danach gekommen als Elend und Verrat. Finster sah er in das Gesicht des Weibes, das ihn auch erkannte. „Feiner Junker!" sagte sie höhnend. „Was hast du an mir? Bin nix sür dich! Laß mich sterben, wo ich liege!" Wie er dies Jammerbild sah, kam es doch über ihn wie Mitleid. Was nützte es ihm, wenn sie am Galgen hing. Was nützte es dem Herzog? Grill mußte seine Gedanken ahnen; sie nahm den Strick vom Hals und kniete wieder neben die Ziege. „Ich hab sie gefunden und will auf ihr reiten!" kicherte sie. „Andere tun es auf einem Besen, das mag ich nit, muß ein feiner Bock sein! Willst du mit, mein Feiner? Wir reiten schnell, ganz schnell!" Josias stieg wieder auf und jagte eilig davon. Er wollte nicht an Hexen glauben, aber ihn überkam doch ein Schauder. Ehemals war diese Frau ver¬ nünftig gewesen, nun hatte der Böse sie gepackt zur Strafe für ihre Sünden und sie mußte in der Hölle brennen. Und es fiel ihm nicht ein, daß dies arme Weib, durch harte Trübsal und Gefahr ihren kleinen Verstand ver¬ loren hatte. Im Zimmer des Junkers von Wiltberg stand Josias in steifer Haltung, während Sebastian sich erhob und seinen Gast höflich zum Sitzen einlud. Die Tür nach dem Garten stand offen, und hier waren Mauertrümmer und Spuren der Tritte beseitigt. Aus dem Rasen Sproß wieder einiges Grün, und über dem Loch in der Mauer, obwohl es viel größer geworden war, spielten die Efeuranken in der Sonne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/611>, abgerufen am 01.01.2025.