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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Werter Junker, ich komme im Auftrag meiner Base, des Fräulein von
Sehestedt."

Josias Stimme klang ihm selbst fremd, aber anders hätte er nicht sprechen
können. "Meine Base, das roohlgeborene Fräulein Sehestedt --" die Gedanken
verwirrten sich ihm, denn des Wiltberg blasses Gesicht ärgerte ihn. Er brauchte
nicht weiter zu sprechen: aus dem Garten kam eine schwarze Frauengestalt und
Frau von Kolben redete, als hätte er an sie das Wort gerichtet.

"Es freut mich, Junker, daß die Jungfrau endlich hat von sich hören
lassen. Da doch mein Bruder sie aus schlimmer Gefahr errettet und auch seine
Reputation dabei aufs Spiel setzte, denn in dieser Stadt gehen böse Gerüchte,
und es sind mancherlei Dinge geschehen, die auch verwunderlich sind. Wir
aber denken, daß es besser ist, wenn die Jungfrau mit mir nach Andernach
geht, da sie denn auch gleich in der heiligen römischen Kirche Unterweisung
erhalten und bald ihren Irrglauben abschwören kann. Denn da sie meinen
Bruder vor allem Volk umhalst und geküßt hat. wird sie ihn natürlich heiraten
wollen. Wogegen mein Gemahl und ich nichts einzuwenden haben, wenn der
Herr von Sehestedt uns wenigstens tausend Goldgulden gibt, damit wir den
Weinberg des Schladebach kaufen können, der neben dem unseren liegt und
auf dem ein gar gutes Gewächs reift. Mein Gemahl und ich sind gewillt,
mit dem Herrn von Sehestedt über die andere Aussteuer zu reden, die das
Fräulein mitbringen wird. Denn mein Bruder ist eingekauft im Domstift zu
Trier und sollte geistlich werden. Wenn er auf diese Gnade verzichtet, so ist
dies eine schwere Sache, die ihm und auch uns das Herz bedrückt, so daß es
angezeigt vom Herzog von Holstein wäre, dem Junker eine Remuneration zu
geben, daß er sich gütlich auch im weltlichen Stande behaupten kann."

Frau von Kolben sprach laut und fließend. Auf diese Rede hatte sie sich
vorbereitet und sie wußte sie auswendig. Jetzt schwieg sie und sah sich nach
ihrem Bruder um, der kein Glied rührte und die Augen niederschlug. Es war
still im Zimmer. Vom Garten her lärmten die Spatzen und Bursch sprang
nach ihnen. Dazu stieß er ein kurzes Gebell aus, man merkte, er war glücklicher,
als jemals. Wer aber dachte an Bursch? Frau von Kolben richtete ihren
Blick ans Josias, der noch keine Bewegung gemacht hatte. Nur seine Augen
waren sehr groß geworden und seine Lippen standen ein wenig offen.

"Wollet Euch setzen!" sagte Frau von Kolben nach einer Pause, die ihr -
selbst aufzufallen schien. "Ich habe Wein aus Andernach mitgebracht und Ihr
werdet einen Trunk nicht verschmähen. Meinem armen Bruder nahmen die
Feinde alles. So kann er Euch nicht bewirten, wie er wohl möchte. Aber es
redet sich besser bei einem Becher Wein!"

Sie deutete auf einen Holzstuhl, aber Josias verbeugte sich steif.

"Es ist besser, ich bringe Eure Worte erst meinen: Herrn Oheim."

Eilig grüßte er noch einmal und war dann schon auf der Straße. Da
blieb er stehen, zog sein Wams zurecht und drückte die Kappe in die Augen.


Die Hexe von Mayen

„Werter Junker, ich komme im Auftrag meiner Base, des Fräulein von
Sehestedt."

Josias Stimme klang ihm selbst fremd, aber anders hätte er nicht sprechen
können. „Meine Base, das roohlgeborene Fräulein Sehestedt —" die Gedanken
verwirrten sich ihm, denn des Wiltberg blasses Gesicht ärgerte ihn. Er brauchte
nicht weiter zu sprechen: aus dem Garten kam eine schwarze Frauengestalt und
Frau von Kolben redete, als hätte er an sie das Wort gerichtet.

„Es freut mich, Junker, daß die Jungfrau endlich hat von sich hören
lassen. Da doch mein Bruder sie aus schlimmer Gefahr errettet und auch seine
Reputation dabei aufs Spiel setzte, denn in dieser Stadt gehen böse Gerüchte,
und es sind mancherlei Dinge geschehen, die auch verwunderlich sind. Wir
aber denken, daß es besser ist, wenn die Jungfrau mit mir nach Andernach
geht, da sie denn auch gleich in der heiligen römischen Kirche Unterweisung
erhalten und bald ihren Irrglauben abschwören kann. Denn da sie meinen
Bruder vor allem Volk umhalst und geküßt hat. wird sie ihn natürlich heiraten
wollen. Wogegen mein Gemahl und ich nichts einzuwenden haben, wenn der
Herr von Sehestedt uns wenigstens tausend Goldgulden gibt, damit wir den
Weinberg des Schladebach kaufen können, der neben dem unseren liegt und
auf dem ein gar gutes Gewächs reift. Mein Gemahl und ich sind gewillt,
mit dem Herrn von Sehestedt über die andere Aussteuer zu reden, die das
Fräulein mitbringen wird. Denn mein Bruder ist eingekauft im Domstift zu
Trier und sollte geistlich werden. Wenn er auf diese Gnade verzichtet, so ist
dies eine schwere Sache, die ihm und auch uns das Herz bedrückt, so daß es
angezeigt vom Herzog von Holstein wäre, dem Junker eine Remuneration zu
geben, daß er sich gütlich auch im weltlichen Stande behaupten kann."

Frau von Kolben sprach laut und fließend. Auf diese Rede hatte sie sich
vorbereitet und sie wußte sie auswendig. Jetzt schwieg sie und sah sich nach
ihrem Bruder um, der kein Glied rührte und die Augen niederschlug. Es war
still im Zimmer. Vom Garten her lärmten die Spatzen und Bursch sprang
nach ihnen. Dazu stieß er ein kurzes Gebell aus, man merkte, er war glücklicher,
als jemals. Wer aber dachte an Bursch? Frau von Kolben richtete ihren
Blick ans Josias, der noch keine Bewegung gemacht hatte. Nur seine Augen
waren sehr groß geworden und seine Lippen standen ein wenig offen.

„Wollet Euch setzen!" sagte Frau von Kolben nach einer Pause, die ihr -
selbst aufzufallen schien. „Ich habe Wein aus Andernach mitgebracht und Ihr
werdet einen Trunk nicht verschmähen. Meinem armen Bruder nahmen die
Feinde alles. So kann er Euch nicht bewirten, wie er wohl möchte. Aber es
redet sich besser bei einem Becher Wein!"

Sie deutete auf einen Holzstuhl, aber Josias verbeugte sich steif.

„Es ist besser, ich bringe Eure Worte erst meinen: Herrn Oheim."

Eilig grüßte er noch einmal und war dann schon auf der Straße. Da
blieb er stehen, zog sein Wams zurecht und drückte die Kappe in die Augen.


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[0612] Die Hexe von Mayen „Werter Junker, ich komme im Auftrag meiner Base, des Fräulein von Sehestedt." Josias Stimme klang ihm selbst fremd, aber anders hätte er nicht sprechen können. „Meine Base, das roohlgeborene Fräulein Sehestedt —" die Gedanken verwirrten sich ihm, denn des Wiltberg blasses Gesicht ärgerte ihn. Er brauchte nicht weiter zu sprechen: aus dem Garten kam eine schwarze Frauengestalt und Frau von Kolben redete, als hätte er an sie das Wort gerichtet. „Es freut mich, Junker, daß die Jungfrau endlich hat von sich hören lassen. Da doch mein Bruder sie aus schlimmer Gefahr errettet und auch seine Reputation dabei aufs Spiel setzte, denn in dieser Stadt gehen böse Gerüchte, und es sind mancherlei Dinge geschehen, die auch verwunderlich sind. Wir aber denken, daß es besser ist, wenn die Jungfrau mit mir nach Andernach geht, da sie denn auch gleich in der heiligen römischen Kirche Unterweisung erhalten und bald ihren Irrglauben abschwören kann. Denn da sie meinen Bruder vor allem Volk umhalst und geküßt hat. wird sie ihn natürlich heiraten wollen. Wogegen mein Gemahl und ich nichts einzuwenden haben, wenn der Herr von Sehestedt uns wenigstens tausend Goldgulden gibt, damit wir den Weinberg des Schladebach kaufen können, der neben dem unseren liegt und auf dem ein gar gutes Gewächs reift. Mein Gemahl und ich sind gewillt, mit dem Herrn von Sehestedt über die andere Aussteuer zu reden, die das Fräulein mitbringen wird. Denn mein Bruder ist eingekauft im Domstift zu Trier und sollte geistlich werden. Wenn er auf diese Gnade verzichtet, so ist dies eine schwere Sache, die ihm und auch uns das Herz bedrückt, so daß es angezeigt vom Herzog von Holstein wäre, dem Junker eine Remuneration zu geben, daß er sich gütlich auch im weltlichen Stande behaupten kann." Frau von Kolben sprach laut und fließend. Auf diese Rede hatte sie sich vorbereitet und sie wußte sie auswendig. Jetzt schwieg sie und sah sich nach ihrem Bruder um, der kein Glied rührte und die Augen niederschlug. Es war still im Zimmer. Vom Garten her lärmten die Spatzen und Bursch sprang nach ihnen. Dazu stieß er ein kurzes Gebell aus, man merkte, er war glücklicher, als jemals. Wer aber dachte an Bursch? Frau von Kolben richtete ihren Blick ans Josias, der noch keine Bewegung gemacht hatte. Nur seine Augen waren sehr groß geworden und seine Lippen standen ein wenig offen. „Wollet Euch setzen!" sagte Frau von Kolben nach einer Pause, die ihr - selbst aufzufallen schien. „Ich habe Wein aus Andernach mitgebracht und Ihr werdet einen Trunk nicht verschmähen. Meinem armen Bruder nahmen die Feinde alles. So kann er Euch nicht bewirten, wie er wohl möchte. Aber es redet sich besser bei einem Becher Wein!" Sie deutete auf einen Holzstuhl, aber Josias verbeugte sich steif. „Es ist besser, ich bringe Eure Worte erst meinen: Herrn Oheim." Eilig grüßte er noch einmal und war dann schon auf der Straße. Da blieb er stehen, zog sein Wams zurecht und drückte die Kappe in die Augen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/612>, abgerufen am 01.01.2025.