Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Mayen

der noch dazu ein Papist war? Wenn ich es denn nicht sein soll, so nehmt
wenigstens einen rechtschaffenen Mann aus unseren Familien -- so ein
Fremder --"

"Er wird Euch nicht fremd bleiben, Josias! Helft mir doch!"

"Ein übles Geschäft!" murrte er. "Und wie beginne ich es?"

"Ihr sollt zu dem Junker gehen und ihn bitten, zu mir zu kommen, daß
wir uns einmal ordentlich sprechen können. Oder daß ich ihn in seinem Hause
sehe, wenn er zu krank ist, um den Weg hierher zu machen. Ach, lieber Junker,
die Zeit drängt; wenn der Herr Vater mit mir reisen will, muß ich gehorchen,
und weiß dann nicht, was ich mit mir beginnen soll. Denn ich liebe nun
einmal den Junker von Wiltberg und kann ihn nie vergessen. Muß also ohne
ihn mein Leben still vertrauern im Kloster zu Preetz, was ich ungern tue!"

Heilwig schöpfte Atem und wurde noch röter. Sie wußte, es ging gegen
die Sittsamkeit, wenn eine Jungfrau so über ihre Empfindung sprach; aber war
Josias nicht ihr Vetter und immer sehr gut gegen sie gewesen?

"Fräulein --" er stand auf und versuchte zu sprechen, schüttelte aber nur
den Kopf und griff an seine Halskrause. Sie war fein gefältelt und mit Meester
Spitzen besetzt, mußte aber doch wohl ein wenig eng sein.

Nur eine kurze Verbeugung machte er und war dann klirrenden Schrittes
davongegangen. Einen Augenblick sah Heilwig hinter ihm her. Er hätte ihr
wohl ein Wort sagen können, daß er tun wollte, was sie wünschte. Aber er
würde es tun, sie glaubte es sicher; und wie nun der Junker Bremer kam und
ihr ein wenig den Hof machte, kam es ihr vor, als wäre eine große Last von
ihrem Herzen gefallen, und sie könnte wieder lachen und scherzen, wozu ihr
die Lust bis dahin eigentlich vergangen war.

Der Junker Josias ritt gen Mayen. Er war ganz allein und wußte auch,
daß er es wagen konnte. Die Feinde waren verschwunden und die Bauern gruben
ihr Feld um, oder begannen ihre zerstörten Häuser wieder zu bauen. Aber in
den Steinbrüchen sollten viele fitzen, denen der Krieg alles genommen hatte;
die räuberten bei Nacht oder überfielen einsame Wanderer.

Josias hatte davon gehört, aber er dachte nicht darüber nach. Grübelnd
saß er zu Pferde, und die Ledermütze mit der Reiherfeder, die ihm sonst im
Nacken saß, hatte schon lange ihren Platz über seinen Augen.

Nun richtete er sich in den Bügeln auf und fluchte vor sich hin. Er wollte
kein Schwächling sein und sich um etwas grämen, das er nicht haben konnte!
Pah! Gab es nicht viele feine Jungfrauen von altem Adel in seiner Heimat,
und war es nicht gut, noch seine Freiheit zu genießen und niemand Rechenschaft
zu geben? Er summte ein Schelmenlied vor sich hin, dann glitt es aber von
seinen Lippen und huschte in die Ferne. Er achtete nicht darauf; langsam ging
sein Pferd, und er ließ es gehen wie es wollte.

Bis das Tier einen Satz machte, daß es ihn fast abgeworfen hätte. Der
Pfad nach Manen hinunter war eng und führte an einem Steinbruch entlang.


Die Hexe von Mayen

der noch dazu ein Papist war? Wenn ich es denn nicht sein soll, so nehmt
wenigstens einen rechtschaffenen Mann aus unseren Familien — so ein
Fremder —"

„Er wird Euch nicht fremd bleiben, Josias! Helft mir doch!"

„Ein übles Geschäft!" murrte er. „Und wie beginne ich es?"

„Ihr sollt zu dem Junker gehen und ihn bitten, zu mir zu kommen, daß
wir uns einmal ordentlich sprechen können. Oder daß ich ihn in seinem Hause
sehe, wenn er zu krank ist, um den Weg hierher zu machen. Ach, lieber Junker,
die Zeit drängt; wenn der Herr Vater mit mir reisen will, muß ich gehorchen,
und weiß dann nicht, was ich mit mir beginnen soll. Denn ich liebe nun
einmal den Junker von Wiltberg und kann ihn nie vergessen. Muß also ohne
ihn mein Leben still vertrauern im Kloster zu Preetz, was ich ungern tue!"

Heilwig schöpfte Atem und wurde noch röter. Sie wußte, es ging gegen
die Sittsamkeit, wenn eine Jungfrau so über ihre Empfindung sprach; aber war
Josias nicht ihr Vetter und immer sehr gut gegen sie gewesen?

„Fräulein —" er stand auf und versuchte zu sprechen, schüttelte aber nur
den Kopf und griff an seine Halskrause. Sie war fein gefältelt und mit Meester
Spitzen besetzt, mußte aber doch wohl ein wenig eng sein.

Nur eine kurze Verbeugung machte er und war dann klirrenden Schrittes
davongegangen. Einen Augenblick sah Heilwig hinter ihm her. Er hätte ihr
wohl ein Wort sagen können, daß er tun wollte, was sie wünschte. Aber er
würde es tun, sie glaubte es sicher; und wie nun der Junker Bremer kam und
ihr ein wenig den Hof machte, kam es ihr vor, als wäre eine große Last von
ihrem Herzen gefallen, und sie könnte wieder lachen und scherzen, wozu ihr
die Lust bis dahin eigentlich vergangen war.

Der Junker Josias ritt gen Mayen. Er war ganz allein und wußte auch,
daß er es wagen konnte. Die Feinde waren verschwunden und die Bauern gruben
ihr Feld um, oder begannen ihre zerstörten Häuser wieder zu bauen. Aber in
den Steinbrüchen sollten viele fitzen, denen der Krieg alles genommen hatte;
die räuberten bei Nacht oder überfielen einsame Wanderer.

Josias hatte davon gehört, aber er dachte nicht darüber nach. Grübelnd
saß er zu Pferde, und die Ledermütze mit der Reiherfeder, die ihm sonst im
Nacken saß, hatte schon lange ihren Platz über seinen Augen.

Nun richtete er sich in den Bügeln auf und fluchte vor sich hin. Er wollte
kein Schwächling sein und sich um etwas grämen, das er nicht haben konnte!
Pah! Gab es nicht viele feine Jungfrauen von altem Adel in seiner Heimat,
und war es nicht gut, noch seine Freiheit zu genießen und niemand Rechenschaft
zu geben? Er summte ein Schelmenlied vor sich hin, dann glitt es aber von
seinen Lippen und huschte in die Ferne. Er achtete nicht darauf; langsam ging
sein Pferd, und er ließ es gehen wie es wollte.

Bis das Tier einen Satz machte, daß es ihn fast abgeworfen hätte. Der
Pfad nach Manen hinunter war eng und führte an einem Steinbruch entlang.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0610" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328076"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2872" prev="#ID_2871"> der noch dazu ein Papist war? Wenn ich es denn nicht sein soll, so nehmt<lb/>
wenigstens einen rechtschaffenen Mann aus unseren Familien &#x2014; so ein<lb/>
Fremder &#x2014;"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2873"> &#x201E;Er wird Euch nicht fremd bleiben, Josias! Helft mir doch!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2874"> &#x201E;Ein übles Geschäft!" murrte er.  &#x201E;Und wie beginne ich es?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2875"> &#x201E;Ihr sollt zu dem Junker gehen und ihn bitten, zu mir zu kommen, daß<lb/>
wir uns einmal ordentlich sprechen können. Oder daß ich ihn in seinem Hause<lb/>
sehe, wenn er zu krank ist, um den Weg hierher zu machen. Ach, lieber Junker,<lb/>
die Zeit drängt; wenn der Herr Vater mit mir reisen will, muß ich gehorchen,<lb/>
und weiß dann nicht, was ich mit mir beginnen soll. Denn ich liebe nun<lb/>
einmal den Junker von Wiltberg und kann ihn nie vergessen. Muß also ohne<lb/>
ihn mein Leben still vertrauern im Kloster zu Preetz, was ich ungern tue!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2876"> Heilwig schöpfte Atem und wurde noch röter. Sie wußte, es ging gegen<lb/>
die Sittsamkeit, wenn eine Jungfrau so über ihre Empfindung sprach; aber war<lb/>
Josias nicht ihr Vetter und immer sehr gut gegen sie gewesen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2877"> &#x201E;Fräulein &#x2014;" er stand auf und versuchte zu sprechen, schüttelte aber nur<lb/>
den Kopf und griff an seine Halskrause. Sie war fein gefältelt und mit Meester<lb/>
Spitzen besetzt, mußte aber doch wohl ein wenig eng sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2878"> Nur eine kurze Verbeugung machte er und war dann klirrenden Schrittes<lb/>
davongegangen. Einen Augenblick sah Heilwig hinter ihm her. Er hätte ihr<lb/>
wohl ein Wort sagen können, daß er tun wollte, was sie wünschte. Aber er<lb/>
würde es tun, sie glaubte es sicher; und wie nun der Junker Bremer kam und<lb/>
ihr ein wenig den Hof machte, kam es ihr vor, als wäre eine große Last von<lb/>
ihrem Herzen gefallen, und sie könnte wieder lachen und scherzen, wozu ihr<lb/>
die Lust bis dahin eigentlich vergangen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2879"> Der Junker Josias ritt gen Mayen. Er war ganz allein und wußte auch,<lb/>
daß er es wagen konnte. Die Feinde waren verschwunden und die Bauern gruben<lb/>
ihr Feld um, oder begannen ihre zerstörten Häuser wieder zu bauen. Aber in<lb/>
den Steinbrüchen sollten viele fitzen, denen der Krieg alles genommen hatte;<lb/>
die räuberten bei Nacht oder überfielen einsame Wanderer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2880"> Josias hatte davon gehört, aber er dachte nicht darüber nach. Grübelnd<lb/>
saß er zu Pferde, und die Ledermütze mit der Reiherfeder, die ihm sonst im<lb/>
Nacken saß, hatte schon lange ihren Platz über seinen Augen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2881"> Nun richtete er sich in den Bügeln auf und fluchte vor sich hin. Er wollte<lb/>
kein Schwächling sein und sich um etwas grämen, das er nicht haben konnte!<lb/>
Pah! Gab es nicht viele feine Jungfrauen von altem Adel in seiner Heimat,<lb/>
und war es nicht gut, noch seine Freiheit zu genießen und niemand Rechenschaft<lb/>
zu geben? Er summte ein Schelmenlied vor sich hin, dann glitt es aber von<lb/>
seinen Lippen und huschte in die Ferne. Er achtete nicht darauf; langsam ging<lb/>
sein Pferd, und er ließ es gehen wie es wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2882" next="#ID_2883"> Bis das Tier einen Satz machte, daß es ihn fast abgeworfen hätte. Der<lb/>
Pfad nach Manen hinunter war eng und führte an einem Steinbruch entlang.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0610] Die Hexe von Mayen der noch dazu ein Papist war? Wenn ich es denn nicht sein soll, so nehmt wenigstens einen rechtschaffenen Mann aus unseren Familien — so ein Fremder —" „Er wird Euch nicht fremd bleiben, Josias! Helft mir doch!" „Ein übles Geschäft!" murrte er. „Und wie beginne ich es?" „Ihr sollt zu dem Junker gehen und ihn bitten, zu mir zu kommen, daß wir uns einmal ordentlich sprechen können. Oder daß ich ihn in seinem Hause sehe, wenn er zu krank ist, um den Weg hierher zu machen. Ach, lieber Junker, die Zeit drängt; wenn der Herr Vater mit mir reisen will, muß ich gehorchen, und weiß dann nicht, was ich mit mir beginnen soll. Denn ich liebe nun einmal den Junker von Wiltberg und kann ihn nie vergessen. Muß also ohne ihn mein Leben still vertrauern im Kloster zu Preetz, was ich ungern tue!" Heilwig schöpfte Atem und wurde noch röter. Sie wußte, es ging gegen die Sittsamkeit, wenn eine Jungfrau so über ihre Empfindung sprach; aber war Josias nicht ihr Vetter und immer sehr gut gegen sie gewesen? „Fräulein —" er stand auf und versuchte zu sprechen, schüttelte aber nur den Kopf und griff an seine Halskrause. Sie war fein gefältelt und mit Meester Spitzen besetzt, mußte aber doch wohl ein wenig eng sein. Nur eine kurze Verbeugung machte er und war dann klirrenden Schrittes davongegangen. Einen Augenblick sah Heilwig hinter ihm her. Er hätte ihr wohl ein Wort sagen können, daß er tun wollte, was sie wünschte. Aber er würde es tun, sie glaubte es sicher; und wie nun der Junker Bremer kam und ihr ein wenig den Hof machte, kam es ihr vor, als wäre eine große Last von ihrem Herzen gefallen, und sie könnte wieder lachen und scherzen, wozu ihr die Lust bis dahin eigentlich vergangen war. Der Junker Josias ritt gen Mayen. Er war ganz allein und wußte auch, daß er es wagen konnte. Die Feinde waren verschwunden und die Bauern gruben ihr Feld um, oder begannen ihre zerstörten Häuser wieder zu bauen. Aber in den Steinbrüchen sollten viele fitzen, denen der Krieg alles genommen hatte; die räuberten bei Nacht oder überfielen einsame Wanderer. Josias hatte davon gehört, aber er dachte nicht darüber nach. Grübelnd saß er zu Pferde, und die Ledermütze mit der Reiherfeder, die ihm sonst im Nacken saß, hatte schon lange ihren Platz über seinen Augen. Nun richtete er sich in den Bügeln auf und fluchte vor sich hin. Er wollte kein Schwächling sein und sich um etwas grämen, das er nicht haben konnte! Pah! Gab es nicht viele feine Jungfrauen von altem Adel in seiner Heimat, und war es nicht gut, noch seine Freiheit zu genießen und niemand Rechenschaft zu geben? Er summte ein Schelmenlied vor sich hin, dann glitt es aber von seinen Lippen und huschte in die Ferne. Er achtete nicht darauf; langsam ging sein Pferd, und er ließ es gehen wie es wollte. Bis das Tier einen Satz machte, daß es ihn fast abgeworfen hätte. Der Pfad nach Manen hinunter war eng und führte an einem Steinbruch entlang.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/610
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/610>, abgerufen am 01.01.2025.