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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Kompaß des Deutschtums dem Bundestage völlig fehlte, teilte sich eine durch
und durch befangene, unsichere, mißtrauische Stimmung allmählich allen seinen
Gliedern mit: nur mit tiefster Depression kann man heute als Deutscher etwa
die Berichte Bismarcks an Gerlach lesen, aus denen man ersieht, wie dort
schließlich keiner mehr dem andern traute, oder Rückschlüsse auf das Durch¬
schnittskaliber der damaligen Bundestagsgesandter und der durch sie vertretenen
Politik ziehen, wenn man hört, wie sowohl der österreichische als der preußische
Gesandte (anscheinend beide mit gleichem Recht) sich über Feigheit und Servi¬
lismus der kleinstaatlichen Vertreter gegenüber dem Kollegen von der anderen
Großmacht beklagen.

Mit kühler Ruhe bewahrte der Mann, der einst ein neues Deutschland
schaffen sollte, inmitten all des undeutschen Jammers von damals seine ab¬
wartende Stellung. Nichts konnte ihn zu einer aktiven Politik zugunsten des
Bundes veranlassen, der, wie er einmal (27. April 1853) an H. Wagener
schreibt, "unter den obwaltenden Verhältnissen für Preußen nicht viel mehr als
die negative Bedeutung einer Assekuranz für Kriegs- und Revolutionsgefahr
habe", ja dessen ganze Maschine gelegentlich zu "neutralisieren" er sich immer
als sicherste Repressalie gegen Österreich vorbehält (Poschinger IV S. 122).

Aber während er sich so im Stillen vollsaugt mit Abneigung, ja mit Ver¬
achtung gegen ein lebensunfähiges Gebilde, das er in seiner intimen Korrespondenz
immer schonungsloser beim Namen nennt, versäumt er zugleich keine Gelegenheit,
das nach seiner Meinung allzulange zurückgesetzte Preußen dem Rivalen gegen¬
über, den er für abgewirtschaftet erkennt, in die Vorhand zu bringen. Nicht
einer der zahlreichen Verstöße und Ungeschicklichkeiten, die von österreichischer
Seite begangen wurden, dessen er sich nicht bedient hätte, um seinem Lande
ein Stück von dem bisher auf der Gegenseite aufgestapelten Einfluß zuzuwenden!
Schon war ihm dies in vielen kleineren Fällen gelungen, als ihm um die
Mitte der fünfziger Jahre der Krimkrieg den entscheidenden Anlaß bot, sich inner¬
halb eines ganz unvergleichlich erweiterten Horizontes mit dem Gegner zu messen.

Die österreichische Politik während des Krimkrieges ist seit langem der ein¬
mütigsten Verurteilung anheimgefallen. Bismarck selbst faßt diese Stimmen
schon am 21. Dezember 1855 (abgedruckt bei Friedjung, "Der Kampf um die
Vorherrschaft in Deutschland", Bd. I, S. 10) dahin zusammen, daß "Buol das
Verdienst habe, Österreich um das Vertrauen und sich um die Achtung aller
gebracht zu haben". Die traditionelle Halbheit rächte sich damals besonders
bitter an der Habsburgischen Monarchie: nachdem erst der Zar, der wenige
Jahre zuvor in den ungarischen Händeln als ihr Wohltäter aufgetreten war,
durch den Anschluß an die Westmächte tödlich verletzt wurde, ließ man nun
auch diese auf die Dienste, auf die sie Anspruch zu haben glaubten, vergeblich,
warten und verdarb es so am Ende mit ganz Europa.

Es blieb einem deutschen Historiker (Max Lenz, "Geschichte Bismarcks"
S. 77) vorbehalten, zu zeigen, daß damals der grausame Zwang seiner Lage


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Kompaß des Deutschtums dem Bundestage völlig fehlte, teilte sich eine durch
und durch befangene, unsichere, mißtrauische Stimmung allmählich allen seinen
Gliedern mit: nur mit tiefster Depression kann man heute als Deutscher etwa
die Berichte Bismarcks an Gerlach lesen, aus denen man ersieht, wie dort
schließlich keiner mehr dem andern traute, oder Rückschlüsse auf das Durch¬
schnittskaliber der damaligen Bundestagsgesandter und der durch sie vertretenen
Politik ziehen, wenn man hört, wie sowohl der österreichische als der preußische
Gesandte (anscheinend beide mit gleichem Recht) sich über Feigheit und Servi¬
lismus der kleinstaatlichen Vertreter gegenüber dem Kollegen von der anderen
Großmacht beklagen.

Mit kühler Ruhe bewahrte der Mann, der einst ein neues Deutschland
schaffen sollte, inmitten all des undeutschen Jammers von damals seine ab¬
wartende Stellung. Nichts konnte ihn zu einer aktiven Politik zugunsten des
Bundes veranlassen, der, wie er einmal (27. April 1853) an H. Wagener
schreibt, „unter den obwaltenden Verhältnissen für Preußen nicht viel mehr als
die negative Bedeutung einer Assekuranz für Kriegs- und Revolutionsgefahr
habe", ja dessen ganze Maschine gelegentlich zu „neutralisieren" er sich immer
als sicherste Repressalie gegen Österreich vorbehält (Poschinger IV S. 122).

Aber während er sich so im Stillen vollsaugt mit Abneigung, ja mit Ver¬
achtung gegen ein lebensunfähiges Gebilde, das er in seiner intimen Korrespondenz
immer schonungsloser beim Namen nennt, versäumt er zugleich keine Gelegenheit,
das nach seiner Meinung allzulange zurückgesetzte Preußen dem Rivalen gegen¬
über, den er für abgewirtschaftet erkennt, in die Vorhand zu bringen. Nicht
einer der zahlreichen Verstöße und Ungeschicklichkeiten, die von österreichischer
Seite begangen wurden, dessen er sich nicht bedient hätte, um seinem Lande
ein Stück von dem bisher auf der Gegenseite aufgestapelten Einfluß zuzuwenden!
Schon war ihm dies in vielen kleineren Fällen gelungen, als ihm um die
Mitte der fünfziger Jahre der Krimkrieg den entscheidenden Anlaß bot, sich inner¬
halb eines ganz unvergleichlich erweiterten Horizontes mit dem Gegner zu messen.

Die österreichische Politik während des Krimkrieges ist seit langem der ein¬
mütigsten Verurteilung anheimgefallen. Bismarck selbst faßt diese Stimmen
schon am 21. Dezember 1855 (abgedruckt bei Friedjung, „Der Kampf um die
Vorherrschaft in Deutschland", Bd. I, S. 10) dahin zusammen, daß „Buol das
Verdienst habe, Österreich um das Vertrauen und sich um die Achtung aller
gebracht zu haben". Die traditionelle Halbheit rächte sich damals besonders
bitter an der Habsburgischen Monarchie: nachdem erst der Zar, der wenige
Jahre zuvor in den ungarischen Händeln als ihr Wohltäter aufgetreten war,
durch den Anschluß an die Westmächte tödlich verletzt wurde, ließ man nun
auch diese auf die Dienste, auf die sie Anspruch zu haben glaubten, vergeblich,
warten und verdarb es so am Ende mit ganz Europa.

Es blieb einem deutschen Historiker (Max Lenz, „Geschichte Bismarcks"
S. 77) vorbehalten, zu zeigen, daß damals der grausame Zwang seiner Lage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/605>, abgerufen am 01.01.2025.