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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Bismarck und prokesch-Gsten

weit mehr als die ungeschickte Hand Buols den Donaustaat in die gewundenen
Wege, die er im Krimkriege einhielt, geführt habe. Die Ereignisse der letzten
Jahre haben uns ja erneuert vor Augen geführt, ein wie namenlos schwieriges
Ding die österreichische Orientpolitik in jedem Falle bedeutet, und sür damals
so wenig wie sür heute einen Zweifel bestehen lassen, daß Österreich es un¬
möglich geschehen lassen konnte, daß Rußland ihm im Osten durch Anftchreißen
alles Einflusses aus der Balkanhalbinsel die Lebensader unterband.

Während es nun aber so nach außen sich sozusagen vor einen Existenz¬
kampf gestellt sah, sollte es zugleich drinnen im Bunde um einen gewaltigen
Schritt zurückgeworfen werden. Man versuchte es dort auch jetzt wieder mit
dem naiven System, österreichische Anliegen und Ansprüche ganz unter der Hand
als deutsche hinzustellen und durchzubringen; aber wenn dergleichen früher, bei
gefügigeren Kollegen oder auch, wenn es nicht anders ging, unter Anwendung
von Drohungen oft genug geglückt war, so sand dagegen diesmal die
geschlossene Opposition des Bundes in Bismarck einen gepanzerten Führer. Die
Mittelstaaten wollten so wenig wie Preußen von einer kriegerischen Politik gegen
Rußland etwas wissen, und als gleichwohl Österreich den Bund zum Beitritt
drängte und trotz Preußens warnender Haltung seinen Antrag auf Truppenhilfe
zur Abstimmung brachte, wurde dieser (Februar 1855) fast einstimmig abgelehnt,
was für die Präsidialmacht eine schwere diplomatische und eine noch schwerere
moralische Niederlage bedeutete.

Aus dem zweiten Bande Poschingers ist zu ersehen, wie Bismarck über
den Jahren des Krimkrieges das preußisch-hegemonische Selbstbewußtsein wuchs.
In jenen Februartagen .1855 sah er gewissermaßen Österreich zum ersten Male
zu seinen Füßen, es war ein erster Vorklang von 186L. Die ganze dröhnende
Wucht seiner Schläge, seine massive Beredsamkeit aber hatte damals der Mann
auszuhalten, der Österreich in den drei Jahren 1853, 1854 und 1866 am
Bunde vertrat und zu dem dieser ganze historische Rückblick uns nur überleiten
sollte: Anton von Prokesch - Osten. Darin, daß er damals dem übermächtigen
Gegner erlag, darf man heute wohl einen Akt historischer Gerechtigkeit sehen;
die Art dagegen, wie Bismarck seinen Sieg über ihn ausgenutzt, wie er vor
allem den Kampf zwischen Preußen und Österreich in einen persönlichen zwischen
ihm und Prokesch hat ausarten lassen, muß derselbe Historiker, der soeben
dieses Urteil fällte, als eine Ungerechtigkeit bezeichnen, der in jeder Weise zu
steuern ist.

(Fortsetzung folgt)




Bismarck und prokesch-Gsten

weit mehr als die ungeschickte Hand Buols den Donaustaat in die gewundenen
Wege, die er im Krimkriege einhielt, geführt habe. Die Ereignisse der letzten
Jahre haben uns ja erneuert vor Augen geführt, ein wie namenlos schwieriges
Ding die österreichische Orientpolitik in jedem Falle bedeutet, und sür damals
so wenig wie sür heute einen Zweifel bestehen lassen, daß Österreich es un¬
möglich geschehen lassen konnte, daß Rußland ihm im Osten durch Anftchreißen
alles Einflusses aus der Balkanhalbinsel die Lebensader unterband.

Während es nun aber so nach außen sich sozusagen vor einen Existenz¬
kampf gestellt sah, sollte es zugleich drinnen im Bunde um einen gewaltigen
Schritt zurückgeworfen werden. Man versuchte es dort auch jetzt wieder mit
dem naiven System, österreichische Anliegen und Ansprüche ganz unter der Hand
als deutsche hinzustellen und durchzubringen; aber wenn dergleichen früher, bei
gefügigeren Kollegen oder auch, wenn es nicht anders ging, unter Anwendung
von Drohungen oft genug geglückt war, so sand dagegen diesmal die
geschlossene Opposition des Bundes in Bismarck einen gepanzerten Führer. Die
Mittelstaaten wollten so wenig wie Preußen von einer kriegerischen Politik gegen
Rußland etwas wissen, und als gleichwohl Österreich den Bund zum Beitritt
drängte und trotz Preußens warnender Haltung seinen Antrag auf Truppenhilfe
zur Abstimmung brachte, wurde dieser (Februar 1855) fast einstimmig abgelehnt,
was für die Präsidialmacht eine schwere diplomatische und eine noch schwerere
moralische Niederlage bedeutete.

Aus dem zweiten Bande Poschingers ist zu ersehen, wie Bismarck über
den Jahren des Krimkrieges das preußisch-hegemonische Selbstbewußtsein wuchs.
In jenen Februartagen .1855 sah er gewissermaßen Österreich zum ersten Male
zu seinen Füßen, es war ein erster Vorklang von 186L. Die ganze dröhnende
Wucht seiner Schläge, seine massive Beredsamkeit aber hatte damals der Mann
auszuhalten, der Österreich in den drei Jahren 1853, 1854 und 1866 am
Bunde vertrat und zu dem dieser ganze historische Rückblick uns nur überleiten
sollte: Anton von Prokesch - Osten. Darin, daß er damals dem übermächtigen
Gegner erlag, darf man heute wohl einen Akt historischer Gerechtigkeit sehen;
die Art dagegen, wie Bismarck seinen Sieg über ihn ausgenutzt, wie er vor
allem den Kampf zwischen Preußen und Österreich in einen persönlichen zwischen
ihm und Prokesch hat ausarten lassen, muß derselbe Historiker, der soeben
dieses Urteil fällte, als eine Ungerechtigkeit bezeichnen, der in jeder Weise zu
steuern ist.

(Fortsetzung folgt)




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[0606] Bismarck und prokesch-Gsten weit mehr als die ungeschickte Hand Buols den Donaustaat in die gewundenen Wege, die er im Krimkriege einhielt, geführt habe. Die Ereignisse der letzten Jahre haben uns ja erneuert vor Augen geführt, ein wie namenlos schwieriges Ding die österreichische Orientpolitik in jedem Falle bedeutet, und sür damals so wenig wie sür heute einen Zweifel bestehen lassen, daß Österreich es un¬ möglich geschehen lassen konnte, daß Rußland ihm im Osten durch Anftchreißen alles Einflusses aus der Balkanhalbinsel die Lebensader unterband. Während es nun aber so nach außen sich sozusagen vor einen Existenz¬ kampf gestellt sah, sollte es zugleich drinnen im Bunde um einen gewaltigen Schritt zurückgeworfen werden. Man versuchte es dort auch jetzt wieder mit dem naiven System, österreichische Anliegen und Ansprüche ganz unter der Hand als deutsche hinzustellen und durchzubringen; aber wenn dergleichen früher, bei gefügigeren Kollegen oder auch, wenn es nicht anders ging, unter Anwendung von Drohungen oft genug geglückt war, so sand dagegen diesmal die geschlossene Opposition des Bundes in Bismarck einen gepanzerten Führer. Die Mittelstaaten wollten so wenig wie Preußen von einer kriegerischen Politik gegen Rußland etwas wissen, und als gleichwohl Österreich den Bund zum Beitritt drängte und trotz Preußens warnender Haltung seinen Antrag auf Truppenhilfe zur Abstimmung brachte, wurde dieser (Februar 1855) fast einstimmig abgelehnt, was für die Präsidialmacht eine schwere diplomatische und eine noch schwerere moralische Niederlage bedeutete. Aus dem zweiten Bande Poschingers ist zu ersehen, wie Bismarck über den Jahren des Krimkrieges das preußisch-hegemonische Selbstbewußtsein wuchs. In jenen Februartagen .1855 sah er gewissermaßen Österreich zum ersten Male zu seinen Füßen, es war ein erster Vorklang von 186L. Die ganze dröhnende Wucht seiner Schläge, seine massive Beredsamkeit aber hatte damals der Mann auszuhalten, der Österreich in den drei Jahren 1853, 1854 und 1866 am Bunde vertrat und zu dem dieser ganze historische Rückblick uns nur überleiten sollte: Anton von Prokesch - Osten. Darin, daß er damals dem übermächtigen Gegner erlag, darf man heute wohl einen Akt historischer Gerechtigkeit sehen; die Art dagegen, wie Bismarck seinen Sieg über ihn ausgenutzt, wie er vor allem den Kampf zwischen Preußen und Österreich in einen persönlichen zwischen ihm und Prokesch hat ausarten lassen, muß derselbe Historiker, der soeben dieses Urteil fällte, als eine Ungerechtigkeit bezeichnen, der in jeder Weise zu steuern ist. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/606>, abgerufen am 29.12.2024.