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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch-Osten

faltigen Anklagen, die in den Frankfurter Jahren seinem Munde, seiner Feder
entflossen sind, und die darin gipfelten, daß Österreich den Bund mißbrauche
und dadurch abnutze, daß es ihn österreichischen, nicht deutschen Interessen
dienen lasse, daß es, entgegen der unter Metternich geübten Praxis, jetzt die
größte Rücksichtslosigkeit gegen preußische Wünsche zeige und Preußen durch
Majoritäten zu vergewaltigen trachte, hat er gegen Ende seines dortigen
Aufenthaltes in der großen Denkschrift aus dem März 1859 (bei Poschinger III
S. 487 ff.), einem der wuchtigsten Denkmäler seiner staatsmännischen Größe, noch¬
mals in historischer Folge zusammenfassenden Ausdruck verliehen.

Was dort in verhältnismäßiger Ruhe erklingt, brach sich anderen Orts und
zu anderer Zeit in weit leidenschaftlicherer Weise Bahn; von irgendwelcher Unbe¬
fangenheit und Gerechtigkeit österreichischen Dingen und Menschen gegenüber
konnte da freilich am Ende nicht viel mehr die Rede sein: ein Österreicher stand
ihm damals etwa so vor Augen wie in jenem Witzworte, das ihn den Bayern
als "den Übergang vom Österreicher zum Menschen" charakterisieren ließ.

Man muß nun freilich gestehen, daß das damalige Österreich auch
einem minder gewaltigen und gefährlichen Gegner Blößen genug geboten haben
würde. Während die Politik Schwarzenbergs, so anfechtbar sie unter manchen,
und namentlich den höheren historischen Gesichtspunkten sich darstellen mag, doch
immerhin durch imponierende Folgerichtigkeit und Sicherheit sich auszeichnete, war
unter seinem Erben und ungeschickten Nachahmer, dem Grafen Buol, das
gerade Gegenteil der Fall. Eine Haltlosigkeit, eine Unsicherheit griff damals
neben allem hochfahrenden Gebahren Platz, die zu den schlimmsten Widersprüchen
und inneren Unwahrhafligkeiten führte und die österreichische Diplomatie zuletzt
wahrhaft verrufen machte. Bismarcks Briefe und Berichte wimmeln geradezu
von Äußerungen in diesem Sinne; es kam vor, daß Prokesch eine Sache, die
er soeben noch im Auftrage feiner Regierung befehdet hatte, kurz darauf ver¬
teidigen mußte, und in den Tagebuchblättern (Busch I S. 491) erzählt Bismarck,
daß ihm Nechberg einmal, gleichzeitig mit einer preußenfreundlichen und einer
preußenfeindlichen Depesche von Wien aus bedacht, und angewiesen, ihm die
erstere zu zeigen, versehentlich die letztere eingehändigt habe, was er gutmütig
genug gewesen sei, gegen ihn nicht auszunutzen. "AIs österreichischer Diplomat
konnte er es mit der Wahrheit nicht genau nehmen," setzt Bismarck summarisch
hinzu, und an zahllosen anderen Stellen führt er dies näher aus in dem Sinne,
daß das Wesen der österreichischen Staatsmänner "übertölpelnde Bonhommie und
slawische Bauernklugheit", daß insbesondere ihr Frankfurter Generalstab in
Militär und Zivil die Unglaubwürdigst selbst gewesen sei.

Der tiefere Grund dieser in den Lappalien der Bundestagspolitik doppelt
grell und unerquicklich zutage tretenden Unzuverlässigkeit und Unwahrhaftigkeit
lag darin, daß Österreich, das doch äußerlich die Leitung der deutschen Dinge
in der Hand behielt, innerlich den Aufgaben einer wahrhaft deutschen Politik
gegenüber nach wie vor, ja, je länger je mehr, versagte. Indem so der feste


Bismarck und Prokesch-Osten

faltigen Anklagen, die in den Frankfurter Jahren seinem Munde, seiner Feder
entflossen sind, und die darin gipfelten, daß Österreich den Bund mißbrauche
und dadurch abnutze, daß es ihn österreichischen, nicht deutschen Interessen
dienen lasse, daß es, entgegen der unter Metternich geübten Praxis, jetzt die
größte Rücksichtslosigkeit gegen preußische Wünsche zeige und Preußen durch
Majoritäten zu vergewaltigen trachte, hat er gegen Ende seines dortigen
Aufenthaltes in der großen Denkschrift aus dem März 1859 (bei Poschinger III
S. 487 ff.), einem der wuchtigsten Denkmäler seiner staatsmännischen Größe, noch¬
mals in historischer Folge zusammenfassenden Ausdruck verliehen.

Was dort in verhältnismäßiger Ruhe erklingt, brach sich anderen Orts und
zu anderer Zeit in weit leidenschaftlicherer Weise Bahn; von irgendwelcher Unbe¬
fangenheit und Gerechtigkeit österreichischen Dingen und Menschen gegenüber
konnte da freilich am Ende nicht viel mehr die Rede sein: ein Österreicher stand
ihm damals etwa so vor Augen wie in jenem Witzworte, das ihn den Bayern
als „den Übergang vom Österreicher zum Menschen" charakterisieren ließ.

Man muß nun freilich gestehen, daß das damalige Österreich auch
einem minder gewaltigen und gefährlichen Gegner Blößen genug geboten haben
würde. Während die Politik Schwarzenbergs, so anfechtbar sie unter manchen,
und namentlich den höheren historischen Gesichtspunkten sich darstellen mag, doch
immerhin durch imponierende Folgerichtigkeit und Sicherheit sich auszeichnete, war
unter seinem Erben und ungeschickten Nachahmer, dem Grafen Buol, das
gerade Gegenteil der Fall. Eine Haltlosigkeit, eine Unsicherheit griff damals
neben allem hochfahrenden Gebahren Platz, die zu den schlimmsten Widersprüchen
und inneren Unwahrhafligkeiten führte und die österreichische Diplomatie zuletzt
wahrhaft verrufen machte. Bismarcks Briefe und Berichte wimmeln geradezu
von Äußerungen in diesem Sinne; es kam vor, daß Prokesch eine Sache, die
er soeben noch im Auftrage feiner Regierung befehdet hatte, kurz darauf ver¬
teidigen mußte, und in den Tagebuchblättern (Busch I S. 491) erzählt Bismarck,
daß ihm Nechberg einmal, gleichzeitig mit einer preußenfreundlichen und einer
preußenfeindlichen Depesche von Wien aus bedacht, und angewiesen, ihm die
erstere zu zeigen, versehentlich die letztere eingehändigt habe, was er gutmütig
genug gewesen sei, gegen ihn nicht auszunutzen. „AIs österreichischer Diplomat
konnte er es mit der Wahrheit nicht genau nehmen," setzt Bismarck summarisch
hinzu, und an zahllosen anderen Stellen führt er dies näher aus in dem Sinne,
daß das Wesen der österreichischen Staatsmänner „übertölpelnde Bonhommie und
slawische Bauernklugheit", daß insbesondere ihr Frankfurter Generalstab in
Militär und Zivil die Unglaubwürdigst selbst gewesen sei.

Der tiefere Grund dieser in den Lappalien der Bundestagspolitik doppelt
grell und unerquicklich zutage tretenden Unzuverlässigkeit und Unwahrhaftigkeit
lag darin, daß Österreich, das doch äußerlich die Leitung der deutschen Dinge
in der Hand behielt, innerlich den Aufgaben einer wahrhaft deutschen Politik
gegenüber nach wie vor, ja, je länger je mehr, versagte. Indem so der feste


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[0604] Bismarck und Prokesch-Osten faltigen Anklagen, die in den Frankfurter Jahren seinem Munde, seiner Feder entflossen sind, und die darin gipfelten, daß Österreich den Bund mißbrauche und dadurch abnutze, daß es ihn österreichischen, nicht deutschen Interessen dienen lasse, daß es, entgegen der unter Metternich geübten Praxis, jetzt die größte Rücksichtslosigkeit gegen preußische Wünsche zeige und Preußen durch Majoritäten zu vergewaltigen trachte, hat er gegen Ende seines dortigen Aufenthaltes in der großen Denkschrift aus dem März 1859 (bei Poschinger III S. 487 ff.), einem der wuchtigsten Denkmäler seiner staatsmännischen Größe, noch¬ mals in historischer Folge zusammenfassenden Ausdruck verliehen. Was dort in verhältnismäßiger Ruhe erklingt, brach sich anderen Orts und zu anderer Zeit in weit leidenschaftlicherer Weise Bahn; von irgendwelcher Unbe¬ fangenheit und Gerechtigkeit österreichischen Dingen und Menschen gegenüber konnte da freilich am Ende nicht viel mehr die Rede sein: ein Österreicher stand ihm damals etwa so vor Augen wie in jenem Witzworte, das ihn den Bayern als „den Übergang vom Österreicher zum Menschen" charakterisieren ließ. Man muß nun freilich gestehen, daß das damalige Österreich auch einem minder gewaltigen und gefährlichen Gegner Blößen genug geboten haben würde. Während die Politik Schwarzenbergs, so anfechtbar sie unter manchen, und namentlich den höheren historischen Gesichtspunkten sich darstellen mag, doch immerhin durch imponierende Folgerichtigkeit und Sicherheit sich auszeichnete, war unter seinem Erben und ungeschickten Nachahmer, dem Grafen Buol, das gerade Gegenteil der Fall. Eine Haltlosigkeit, eine Unsicherheit griff damals neben allem hochfahrenden Gebahren Platz, die zu den schlimmsten Widersprüchen und inneren Unwahrhafligkeiten führte und die österreichische Diplomatie zuletzt wahrhaft verrufen machte. Bismarcks Briefe und Berichte wimmeln geradezu von Äußerungen in diesem Sinne; es kam vor, daß Prokesch eine Sache, die er soeben noch im Auftrage feiner Regierung befehdet hatte, kurz darauf ver¬ teidigen mußte, und in den Tagebuchblättern (Busch I S. 491) erzählt Bismarck, daß ihm Nechberg einmal, gleichzeitig mit einer preußenfreundlichen und einer preußenfeindlichen Depesche von Wien aus bedacht, und angewiesen, ihm die erstere zu zeigen, versehentlich die letztere eingehändigt habe, was er gutmütig genug gewesen sei, gegen ihn nicht auszunutzen. „AIs österreichischer Diplomat konnte er es mit der Wahrheit nicht genau nehmen," setzt Bismarck summarisch hinzu, und an zahllosen anderen Stellen führt er dies näher aus in dem Sinne, daß das Wesen der österreichischen Staatsmänner „übertölpelnde Bonhommie und slawische Bauernklugheit", daß insbesondere ihr Frankfurter Generalstab in Militär und Zivil die Unglaubwürdigst selbst gewesen sei. Der tiefere Grund dieser in den Lappalien der Bundestagspolitik doppelt grell und unerquicklich zutage tretenden Unzuverlässigkeit und Unwahrhaftigkeit lag darin, daß Österreich, das doch äußerlich die Leitung der deutschen Dinge in der Hand behielt, innerlich den Aufgaben einer wahrhaft deutschen Politik gegenüber nach wie vor, ja, je länger je mehr, versagte. Indem so der feste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/604>, abgerufen am 01.01.2025.