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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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China auf dem Ivcge zur Monarchie?

Aus diesem Grunde gewinnen jene chinesischen "Barbarossa"-Gestalten im
gegenwärtigen Zeitpunkt ein besonderes Interesse, und es scheint lohnend, hier
einige Hauptzüge von ihnen mitzuteilen, die es uns ermöglichen, ein Bild von
ihrer Wesensart zu macheu.

Vom Glänze der Verklärung umflossen, hebt sich aus dem Dunkel der
grauen Vorzeit besonders die Lichtgestalt des Kaisers Mu, dessen Regierung
angeblich von 2356 bis 2258 v. Chr. währte, also fast das biblische Alter
von hundert Jahren erreichte. Seine Herrschertugenden feiert die geschichtliche
Überlieferung, die noch heute im Munde des ganzen Volkes lebt, in folgendem
Hymnus:

"Von Beginn seiner Regierung war Daus' Herzensgüte unermeßlich wie
der Himmel, an Verstand glich er den Geistern, er war erleuchtet wie die Sonne.
Ähnlich den Wolken, die die Felder befruchten, war er die Hoffnung des Volkes.
Einfach und bescheiden gewann er alle Herzen. Weise und umsichtig handelte
er stets erst nach reiflicher Überlegung. Was er tat, machte er mit möglichster
Sorgfalt. Im Verkehr mit den Leuten zeigte er ungekünstelte Freundlichkeit.
In der Negierung ließ er sich von der Vernunft leiten. Die Zartheit und
Liebe, mit der er seine ganze Familie bis in die entferntesten Glieder behandelte,
machten aus ihr einen Körper mit einem Herz. Die auf Gegenseitigkeit be¬
ruhende Liebe, die er begründete, drang in alle Schichten des Volkes. Jeder
lebte glücklich zu Hause, alle waren von Verehrung und Liebe zu einem Fürst
von solcher Güte erfüllt. Selbst die unterworfenen barbarischen Völkerschaften
legten gern ihre bisherigen Gewohnheiten ab und folgten seinen Gesetzen. Ein¬
tracht und Freundschaft herrschte im ganzen Reich."

Mit besonderem Nachdruck betont die Geschichte das selbstlose, väterliche
Aufgehen Aauh für das Wohl seines Volkes. Es wird erzählt:

"Kaiser Uau hatte nur dann Ruhe auf dem Thron, wenn das Volk zu¬
frieden war und feinen Geschäften nachging. Oft reiste er selbst im Lande, um
sich von den Zuständen zu überzeugen. Mit Sorgfalt fragte er nach Armen,
Witwen und Waisen, um ihre Not zu lindern. "Friert das Volk?" sagte er
oft, "so bin ich die Ursache." "Hungert das Volk -- das ist meine Schuld."
"Begeht es Verbrechen? -- Ich bin der Urheber." Solche Gesinnung kam
aus seiner wahren Liebe zum Volk, für das er Vater und Mutter, Sonne und
Mond war. Unaussprechliche Achtung und Verehrung war die Folge."

Die Zeiten Uau's und auch seiner beiden Nachfolger Schur und M sind
das goldene Zeitalter Chinas. Der Gedanke, daß ein Herrscher die persönliche
Verantwortung für Wohl und Wehe seines Volkes trage, findet sich scharf aus¬
geprägt in folgender Episode, die aus dem Leben des Kaisers Tschong Tang
(1766 bis 1753 v. Chr.) berichtet wird, der die Schang-Dynastie begründete
und in China gleichfalls höchste Verehrung genießt. Die Geschichte erzählt:

"Unter der Regierung Kaiser Tschong Tang's herrschte eine siebenjährige
Dürre. Der pflichttreue Kaiser hielt dies für eine Strafe des Himmels und


China auf dem Ivcge zur Monarchie?

Aus diesem Grunde gewinnen jene chinesischen „Barbarossa"-Gestalten im
gegenwärtigen Zeitpunkt ein besonderes Interesse, und es scheint lohnend, hier
einige Hauptzüge von ihnen mitzuteilen, die es uns ermöglichen, ein Bild von
ihrer Wesensart zu macheu.

Vom Glänze der Verklärung umflossen, hebt sich aus dem Dunkel der
grauen Vorzeit besonders die Lichtgestalt des Kaisers Mu, dessen Regierung
angeblich von 2356 bis 2258 v. Chr. währte, also fast das biblische Alter
von hundert Jahren erreichte. Seine Herrschertugenden feiert die geschichtliche
Überlieferung, die noch heute im Munde des ganzen Volkes lebt, in folgendem
Hymnus:

„Von Beginn seiner Regierung war Daus' Herzensgüte unermeßlich wie
der Himmel, an Verstand glich er den Geistern, er war erleuchtet wie die Sonne.
Ähnlich den Wolken, die die Felder befruchten, war er die Hoffnung des Volkes.
Einfach und bescheiden gewann er alle Herzen. Weise und umsichtig handelte
er stets erst nach reiflicher Überlegung. Was er tat, machte er mit möglichster
Sorgfalt. Im Verkehr mit den Leuten zeigte er ungekünstelte Freundlichkeit.
In der Negierung ließ er sich von der Vernunft leiten. Die Zartheit und
Liebe, mit der er seine ganze Familie bis in die entferntesten Glieder behandelte,
machten aus ihr einen Körper mit einem Herz. Die auf Gegenseitigkeit be¬
ruhende Liebe, die er begründete, drang in alle Schichten des Volkes. Jeder
lebte glücklich zu Hause, alle waren von Verehrung und Liebe zu einem Fürst
von solcher Güte erfüllt. Selbst die unterworfenen barbarischen Völkerschaften
legten gern ihre bisherigen Gewohnheiten ab und folgten seinen Gesetzen. Ein¬
tracht und Freundschaft herrschte im ganzen Reich."

Mit besonderem Nachdruck betont die Geschichte das selbstlose, väterliche
Aufgehen Aauh für das Wohl seines Volkes. Es wird erzählt:

„Kaiser Uau hatte nur dann Ruhe auf dem Thron, wenn das Volk zu¬
frieden war und feinen Geschäften nachging. Oft reiste er selbst im Lande, um
sich von den Zuständen zu überzeugen. Mit Sorgfalt fragte er nach Armen,
Witwen und Waisen, um ihre Not zu lindern. „Friert das Volk?" sagte er
oft, „so bin ich die Ursache." „Hungert das Volk — das ist meine Schuld."
„Begeht es Verbrechen? — Ich bin der Urheber." Solche Gesinnung kam
aus seiner wahren Liebe zum Volk, für das er Vater und Mutter, Sonne und
Mond war. Unaussprechliche Achtung und Verehrung war die Folge."

Die Zeiten Uau's und auch seiner beiden Nachfolger Schur und M sind
das goldene Zeitalter Chinas. Der Gedanke, daß ein Herrscher die persönliche
Verantwortung für Wohl und Wehe seines Volkes trage, findet sich scharf aus¬
geprägt in folgender Episode, die aus dem Leben des Kaisers Tschong Tang
(1766 bis 1753 v. Chr.) berichtet wird, der die Schang-Dynastie begründete
und in China gleichfalls höchste Verehrung genießt. Die Geschichte erzählt:

„Unter der Regierung Kaiser Tschong Tang's herrschte eine siebenjährige
Dürre. Der pflichttreue Kaiser hielt dies für eine Strafe des Himmels und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/598>, abgerufen am 04.01.2025.