Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Herrschaft, mit ihrem häufigen Präsidentenschaftswechsel, der naturgemäß jedesmal Es ist ferner den Chinesen kein Geheimnis, daß die republikanische Staatsform Nach allem kann man nicht umhin, die Frage, ob sich China heute auf Herrschaft, mit ihrem häufigen Präsidentenschaftswechsel, der naturgemäß jedesmal Es ist ferner den Chinesen kein Geheimnis, daß die republikanische Staatsform Nach allem kann man nicht umhin, die Frage, ob sich China heute auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328063"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2776" prev="#ID_2775"> Herrschaft, mit ihrem häufigen Präsidentenschaftswechsel, der naturgemäß jedesmal<lb/> von heftigen inneren Stürmen begleitet sein muß, liegt gerade das Element<lb/> des Wechsels, des Unbeständigen, Unberechenbaren inbegriffen, also genau das<lb/> Gegenteil von dem chinesischen Ideal des Tai Pirg.</p><lb/> <p xml:id="ID_2777"> Es ist ferner den Chinesen kein Geheimnis, daß die republikanische Staatsform<lb/> besonders günstig für die Entwicklung einer Herrschaft des Kapitalismus und<lb/> Materialismus ist. Diese Geistesrichtung aber mit ihrer brutalen Betonung der<lb/> Zahl, ihrer Bewertung aller Dinge nach Geld, ihrem wilden Streben nach<lb/> Gewinn als höchstem Lebenszweck, ihrer Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit<lb/> bei der Wahl der Mittel zu diesem Zweck — kurz, alle diese Erscheinungen,<lb/> die man am besten mit dem Namen „Aankeetum" zusammenfassen kann, sind<lb/> dem rechten Chinesentum zuwider und verächtlich, da sie in diametralem Gegensatz<lb/> zu seiner Weltanschauung vom Tai Pirg und zu seinen konfuzianischen Lehren<lb/> steheu, die beide innere, Seelen- und Gemütswerte über alles stellen. Es<lb/> besteht große Wahrscheinlichkeit, daß auch dieser Gesichtspunkt bei dem fo rasch<lb/> erfolgten Rückschlag gegen die Republik nntgespielt hat. und er dürfte ihre Aus¬<lb/> sichten für die Zukunft als recht gering erscheinen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2778"> Nach allem kann man nicht umhin, die Frage, ob sich China heute auf<lb/> dem Wege zur Monarchie befindet, zu bejahen, und die nächste Frage ist<lb/> natürlich die, ob man Duar Sadi Kai als künftigen Monarchen anzusehen hat.<lb/> Hierauf ist die Antwort schwieriger zu erteilen, obwohl nicht zu verkennen ist,<lb/> daß Unan Sadi Kai als der zurzeit Berufenste erscheint, weil er über die tat¬<lb/> sächliche Gewalt, über Militär, Geldmittel und das Vertrauen der Fremdmächte<lb/> verfügt. Aber es muß betont werden, daß in China Gewalt allein zu<lb/> dauernder Anerkennung als Herrscher nicht ausreicht. Nach dem Sturz der west¬<lb/> lichen Han-Dynastie — im Jahr 5 n. Chr. — behauptete Wang Mang lange<lb/> Zeit eine ähnliche Diktatorstellung im Reiche une heute Unan Sadi Kai. Trotz¬<lb/> dem gelang es ihm nicht, eine neue Dynastie aufzurichten, und nach mehr als<lb/> zehnjähriger Ausübung der Alleingewalt mußte er einem plötzlich vom Volk auf<lb/> den Schild erhobenen Sproß der kaiserlichen Han-Familie Platz machen, der die<lb/> östliche Han-Dynastie begründete. Ähnliche Fälle lassen sich aus der chinesischen<lb/> Geschichte in Mehrzahl anführen. Das chinesische Volk verlangt von einem<lb/> Herrscher vor allem gewisse persönliche Eigenschaften, die allein imstande sind,<lb/> auf die Dauer die Geister der Millionenbevölkerung zu bannen. Diese be¬<lb/> sonderen Herrscherqualitäten finden sich am deutlichsten und schärfsten bei einzelnen<lb/> Kaisergestalten der alten Zeit ausgeprägt. Das chinesische Volk pflegt das An¬<lb/> denken dieser alten Kaiser mit einer wunderbaren Verehrung und Anhänglichkeit.<lb/> Will man vergleichen, so muß man hierbei an die Rolle denken, die beispiels¬<lb/> weise im deutschen Volksleben die Gestalten eines Barbarossa, Karl des Großen<lb/> und anderer spielen. Wer die Geschicke eines Volkes in die Hand nehmen will,<lb/> kann die „Imponderabilien" derartiger im Volksbewußtsein fortlebender Neigungen<lb/> nicht ignorieren. Das gleiche gilt für China und besonders für dessen heutige Lage.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Herrschaft, mit ihrem häufigen Präsidentenschaftswechsel, der naturgemäß jedesmal
von heftigen inneren Stürmen begleitet sein muß, liegt gerade das Element
des Wechsels, des Unbeständigen, Unberechenbaren inbegriffen, also genau das
Gegenteil von dem chinesischen Ideal des Tai Pirg.
Es ist ferner den Chinesen kein Geheimnis, daß die republikanische Staatsform
besonders günstig für die Entwicklung einer Herrschaft des Kapitalismus und
Materialismus ist. Diese Geistesrichtung aber mit ihrer brutalen Betonung der
Zahl, ihrer Bewertung aller Dinge nach Geld, ihrem wilden Streben nach
Gewinn als höchstem Lebenszweck, ihrer Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit
bei der Wahl der Mittel zu diesem Zweck — kurz, alle diese Erscheinungen,
die man am besten mit dem Namen „Aankeetum" zusammenfassen kann, sind
dem rechten Chinesentum zuwider und verächtlich, da sie in diametralem Gegensatz
zu seiner Weltanschauung vom Tai Pirg und zu seinen konfuzianischen Lehren
steheu, die beide innere, Seelen- und Gemütswerte über alles stellen. Es
besteht große Wahrscheinlichkeit, daß auch dieser Gesichtspunkt bei dem fo rasch
erfolgten Rückschlag gegen die Republik nntgespielt hat. und er dürfte ihre Aus¬
sichten für die Zukunft als recht gering erscheinen lassen.
Nach allem kann man nicht umhin, die Frage, ob sich China heute auf
dem Wege zur Monarchie befindet, zu bejahen, und die nächste Frage ist
natürlich die, ob man Duar Sadi Kai als künftigen Monarchen anzusehen hat.
Hierauf ist die Antwort schwieriger zu erteilen, obwohl nicht zu verkennen ist,
daß Unan Sadi Kai als der zurzeit Berufenste erscheint, weil er über die tat¬
sächliche Gewalt, über Militär, Geldmittel und das Vertrauen der Fremdmächte
verfügt. Aber es muß betont werden, daß in China Gewalt allein zu
dauernder Anerkennung als Herrscher nicht ausreicht. Nach dem Sturz der west¬
lichen Han-Dynastie — im Jahr 5 n. Chr. — behauptete Wang Mang lange
Zeit eine ähnliche Diktatorstellung im Reiche une heute Unan Sadi Kai. Trotz¬
dem gelang es ihm nicht, eine neue Dynastie aufzurichten, und nach mehr als
zehnjähriger Ausübung der Alleingewalt mußte er einem plötzlich vom Volk auf
den Schild erhobenen Sproß der kaiserlichen Han-Familie Platz machen, der die
östliche Han-Dynastie begründete. Ähnliche Fälle lassen sich aus der chinesischen
Geschichte in Mehrzahl anführen. Das chinesische Volk verlangt von einem
Herrscher vor allem gewisse persönliche Eigenschaften, die allein imstande sind,
auf die Dauer die Geister der Millionenbevölkerung zu bannen. Diese be¬
sonderen Herrscherqualitäten finden sich am deutlichsten und schärfsten bei einzelnen
Kaisergestalten der alten Zeit ausgeprägt. Das chinesische Volk pflegt das An¬
denken dieser alten Kaiser mit einer wunderbaren Verehrung und Anhänglichkeit.
Will man vergleichen, so muß man hierbei an die Rolle denken, die beispiels¬
weise im deutschen Volksleben die Gestalten eines Barbarossa, Karl des Großen
und anderer spielen. Wer die Geschicke eines Volkes in die Hand nehmen will,
kann die „Imponderabilien" derartiger im Volksbewußtsein fortlebender Neigungen
nicht ignorieren. Das gleiche gilt für China und besonders für dessen heutige Lage.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |