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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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China auf dein Ivege zur Monarchie?

Bewegung zu erwarten ist. Bei der Entscheidung dieser Frage füllt schwer in
die Wagschale das Verhalten des Volkes. In China gilt der Wille des Volkes
als Stimme des Himmels. Nun ist es Tatsache, daß Unan Sadi Kais Ma߬
nahmen gegen die republikanische Verfassung keiner nennenswerten Auflehnung
im Lande begegnet sind; das Volk hat sich im ganzen schweigend dazu verhalten
und in diesem Schweigen scheint Billigung zu liegen. Es ist auch nicht anzu¬
nehmen, daß Juan Sadi Kai, der kluge Politiker des Erfolges, der sich so
trefflich auf Ausnutzung der herrschenden Stimmung versteht, jene schwerwiegenden
Maßregeln getroffen haben würde, wenn er nicht die überwältigende Mehrheit
der öffentlichen Meinung auf seiner Seite gewußt hätte. Schließlich gelangt
man zu dieser Annahme auch aus allgemeinen Gründen, wenn man die ganze
Veranlagung und Weltanschauung der Chinesen und ihr Verhalten in ähnlichen
Fällen der Vergangenheit berücksichtigt.

In Zeiten politischer Störungen und ungeklärter Machtverhältnisse, wie sie
stets nach dem Sturz einer Dynastie einzutreten pflegten, hat sich das chinesische
Volk im wesentlichen immer mit einer passiven Rolle begnügt. Man wartet
voll Ergebung auf den einen, den vom Himmel Gesandten, der sich als Held
der Stunde erweisen wird, um seinem Ruf. zu folgen.

Von Natur dem Fatalismus ergeben, groß im stillen Dulden, läßt sich
das chinesische Volk lieber regieren als daß es den Wunsch hätte, selbst mit-
zuregieren. Das große Ziel seiner Sehnsucht war alle Zeiten hindurch der
Tai Pirg, das große Gleichgewicht oder die große Ruhe, jener harmonische
Friedenszustand, dn der einzelne ungestört leben und seinen Beschäftigungen
nachgehen kann.

TaiPing ist das malte Losungswort der chinesischen Weltanschauung, die
Nachahmung der Natur predigt und heute noch ebenso im Volke lebt, wie ehe¬
dem. China ist bekanntlich das klassische Land der Ahnenverehrung. Urvater
und Urmutter der Menschheit aber sind nach chinesischer Auffassung der Himmel
und die Erde. Ihnen soll man daher vor allem gleichen. Wer nun jemals
länger in China geweilt hat, weiß, daß dort das vorherrschende Gepräge der
großen Natur, wie sie sich in lang hingezogenen Linien, in feierlichen
Schwingungen, in gleichmäßigen Pulsschlägen offenbart, tatsächlich der Tai Pirg,
die große erhabene Ruhe bildet. Es folgt daraus, daß der Tai Pirg, eine Art
"Harmonie mit dem Unendlichen", für den einzelnen Chinesen wie für seinen
Staat das große Lebensideal ist.

Wer dem Volke dieses höchste Glück, den Tai Pirg, zu sichern vermag, der
kann in seinen Augen kein anderer sein als der Erwählte des Himmels. Man
folgt ihm nicht nur willig, sondern heischt ihn geradezu als Herrscher, damit
sein dauerndes Walten auch die Dauer des völkerbeglückenden Tai Pirg verbürge.
Hierin wurzelt die Kraft des monarchischen Gedankens in China.

Es läßt sich denken, daß republikanische Ideen zu dieser Weltanschauung
schlecht stimmen wollen. Denn im Wesen der Republik mit ihrer Parteien-


China auf dein Ivege zur Monarchie?

Bewegung zu erwarten ist. Bei der Entscheidung dieser Frage füllt schwer in
die Wagschale das Verhalten des Volkes. In China gilt der Wille des Volkes
als Stimme des Himmels. Nun ist es Tatsache, daß Unan Sadi Kais Ma߬
nahmen gegen die republikanische Verfassung keiner nennenswerten Auflehnung
im Lande begegnet sind; das Volk hat sich im ganzen schweigend dazu verhalten
und in diesem Schweigen scheint Billigung zu liegen. Es ist auch nicht anzu¬
nehmen, daß Juan Sadi Kai, der kluge Politiker des Erfolges, der sich so
trefflich auf Ausnutzung der herrschenden Stimmung versteht, jene schwerwiegenden
Maßregeln getroffen haben würde, wenn er nicht die überwältigende Mehrheit
der öffentlichen Meinung auf seiner Seite gewußt hätte. Schließlich gelangt
man zu dieser Annahme auch aus allgemeinen Gründen, wenn man die ganze
Veranlagung und Weltanschauung der Chinesen und ihr Verhalten in ähnlichen
Fällen der Vergangenheit berücksichtigt.

In Zeiten politischer Störungen und ungeklärter Machtverhältnisse, wie sie
stets nach dem Sturz einer Dynastie einzutreten pflegten, hat sich das chinesische
Volk im wesentlichen immer mit einer passiven Rolle begnügt. Man wartet
voll Ergebung auf den einen, den vom Himmel Gesandten, der sich als Held
der Stunde erweisen wird, um seinem Ruf. zu folgen.

Von Natur dem Fatalismus ergeben, groß im stillen Dulden, läßt sich
das chinesische Volk lieber regieren als daß es den Wunsch hätte, selbst mit-
zuregieren. Das große Ziel seiner Sehnsucht war alle Zeiten hindurch der
Tai Pirg, das große Gleichgewicht oder die große Ruhe, jener harmonische
Friedenszustand, dn der einzelne ungestört leben und seinen Beschäftigungen
nachgehen kann.

TaiPing ist das malte Losungswort der chinesischen Weltanschauung, die
Nachahmung der Natur predigt und heute noch ebenso im Volke lebt, wie ehe¬
dem. China ist bekanntlich das klassische Land der Ahnenverehrung. Urvater
und Urmutter der Menschheit aber sind nach chinesischer Auffassung der Himmel
und die Erde. Ihnen soll man daher vor allem gleichen. Wer nun jemals
länger in China geweilt hat, weiß, daß dort das vorherrschende Gepräge der
großen Natur, wie sie sich in lang hingezogenen Linien, in feierlichen
Schwingungen, in gleichmäßigen Pulsschlägen offenbart, tatsächlich der Tai Pirg,
die große erhabene Ruhe bildet. Es folgt daraus, daß der Tai Pirg, eine Art
„Harmonie mit dem Unendlichen", für den einzelnen Chinesen wie für seinen
Staat das große Lebensideal ist.

Wer dem Volke dieses höchste Glück, den Tai Pirg, zu sichern vermag, der
kann in seinen Augen kein anderer sein als der Erwählte des Himmels. Man
folgt ihm nicht nur willig, sondern heischt ihn geradezu als Herrscher, damit
sein dauerndes Walten auch die Dauer des völkerbeglückenden Tai Pirg verbürge.
Hierin wurzelt die Kraft des monarchischen Gedankens in China.

Es läßt sich denken, daß republikanische Ideen zu dieser Weltanschauung
schlecht stimmen wollen. Denn im Wesen der Republik mit ihrer Parteien-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/596>, abgerufen am 01.01.2025.