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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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China auf dem lvegc zur Monarchie?

von Eisenbahnen, Maschinen und anderen technischen Errungenschaften, die heute
ihren Einzug in China halten dürfen, die gesamte alte Kultur dieses Landes
nun ans den Fugen und in die Brüche gehen müsse, und hört oft die über¬
triebensten Redewendungen von einem angeblichen "gewaltigen inneren Um¬
bildungsprozeß", von "Erwachen aus tausendjährigem Schlaf" und dergleichen
mehr. Eine Umbildung findet statt, aber sie dürste sich nur auf äußeres be¬
ziehen. Auch Japan hat sich nur äußerlich modernisiert, im Geiste ist es das
alte geblieben. China aber ist Japan geistig noch weit überlegen. Konnte
daher der japanische Krebs -- um ein chinesisches Bild zu gebrauchen -- die
fremde Kost so gut verdauen, dann wird sie voraussichtlich dem chinesischen
Drachen noch weniger anhaben.

Die Chinesen sind ja keine Kinder und nicht mit halbwilden Schwarzen
auf eine Stufe zu stellen. Sie wissen sehr wohl, daß der Mensch wertvoller
ist als die tote Materie -- ein Standpunkt, der allerdings im Westen gelegentlich
nicht geteilt zu werden pflegt, -- sie sind ferner durch ihren Meister Konfuzius
darüber belehrt, daß das Glück nicht in äußeren Dingen, sondern in inneren
Werten beruht. Der Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Vorteils und des
technischen Fortschritts, der ausländischerseits China gegenüber so gern in den
Vordergrund gerückt wird, ist durchaus nicht geeignet, dort den erwarteten Ein¬
druck zu machen. Die konfuzianische Staatslehre legt eben auf andere Dinge
als nur äußeres Gedeihen und glänzende Technik den Hauptwert. Auch
sind die Zeiten vorüber, da Europa sür China ein Buch mit sieben Siegeln
war. Längst ist eine chinesische Presse am Werke, über die Ereignisse im Aus¬
land zu berichten, außerdem sitzen an allen westlichen Kulturzentren zahlreiche
Beobachter aus dem Osten, die den Vorgängen ihrer Umgebung mit gespannter
Aufmerksamkeit folgen. Darum weiß man heute in China längst, daß manche
Länder trotz aller technischen Vollkommenheiten doch recht bedenkliche innere
Mängel aufweisen, man hat ein besonders feines Gehör für die zahllosen
Dissonanzen, die sich in der Gesellschaftsordnung manches Kulturstaates störend
bemerkbar machen, und man nimmt natürlich mit einiger Überraschung wahr,
daß in den Spalten der Tagespresse dieser Kulturstaaten die Berichte von
Verbrechen und Korruption nicht 'aufhören wollen. Diese Wahrnehmungen
haben in China begreiflicherweise ein gewisses Mißtrauen gegen die westliche
Kultur ausgelöst, und man beginnt, sich wieder auf die eigenen Altäre zu be¬
sinnen. Einen deutlichen Ausdruck dieses Mißtrauens bilden die schon erwähnten
politischen Ereignisse der letzten Zeit. Kaum find zwei Jahre der Republik
vergangen, da reckt der chinesische Drache seinen Schuppenleib, und das ganze
fremde Verfassungswerk, das man ihm angelegt hatte, fliegt davon gleich dürrem
Laub. Es klingt bei diesem Vorgang etwas hindurch wie ein fernes asiatisches
Hohnlachen als Antwort auf gewisse Versuche, an die Wesensart des Landes zu tasten.

Es erhebt sich jetzt die Frage, ob der Rückschlag gegen die Republik von
nachhaltiger Kraft sein wird, oder ob eine baldige Wiederkehr der republikanischen


China auf dem lvegc zur Monarchie?

von Eisenbahnen, Maschinen und anderen technischen Errungenschaften, die heute
ihren Einzug in China halten dürfen, die gesamte alte Kultur dieses Landes
nun ans den Fugen und in die Brüche gehen müsse, und hört oft die über¬
triebensten Redewendungen von einem angeblichen „gewaltigen inneren Um¬
bildungsprozeß", von „Erwachen aus tausendjährigem Schlaf" und dergleichen
mehr. Eine Umbildung findet statt, aber sie dürste sich nur auf äußeres be¬
ziehen. Auch Japan hat sich nur äußerlich modernisiert, im Geiste ist es das
alte geblieben. China aber ist Japan geistig noch weit überlegen. Konnte
daher der japanische Krebs — um ein chinesisches Bild zu gebrauchen — die
fremde Kost so gut verdauen, dann wird sie voraussichtlich dem chinesischen
Drachen noch weniger anhaben.

Die Chinesen sind ja keine Kinder und nicht mit halbwilden Schwarzen
auf eine Stufe zu stellen. Sie wissen sehr wohl, daß der Mensch wertvoller
ist als die tote Materie — ein Standpunkt, der allerdings im Westen gelegentlich
nicht geteilt zu werden pflegt, — sie sind ferner durch ihren Meister Konfuzius
darüber belehrt, daß das Glück nicht in äußeren Dingen, sondern in inneren
Werten beruht. Der Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Vorteils und des
technischen Fortschritts, der ausländischerseits China gegenüber so gern in den
Vordergrund gerückt wird, ist durchaus nicht geeignet, dort den erwarteten Ein¬
druck zu machen. Die konfuzianische Staatslehre legt eben auf andere Dinge
als nur äußeres Gedeihen und glänzende Technik den Hauptwert. Auch
sind die Zeiten vorüber, da Europa sür China ein Buch mit sieben Siegeln
war. Längst ist eine chinesische Presse am Werke, über die Ereignisse im Aus¬
land zu berichten, außerdem sitzen an allen westlichen Kulturzentren zahlreiche
Beobachter aus dem Osten, die den Vorgängen ihrer Umgebung mit gespannter
Aufmerksamkeit folgen. Darum weiß man heute in China längst, daß manche
Länder trotz aller technischen Vollkommenheiten doch recht bedenkliche innere
Mängel aufweisen, man hat ein besonders feines Gehör für die zahllosen
Dissonanzen, die sich in der Gesellschaftsordnung manches Kulturstaates störend
bemerkbar machen, und man nimmt natürlich mit einiger Überraschung wahr,
daß in den Spalten der Tagespresse dieser Kulturstaaten die Berichte von
Verbrechen und Korruption nicht 'aufhören wollen. Diese Wahrnehmungen
haben in China begreiflicherweise ein gewisses Mißtrauen gegen die westliche
Kultur ausgelöst, und man beginnt, sich wieder auf die eigenen Altäre zu be¬
sinnen. Einen deutlichen Ausdruck dieses Mißtrauens bilden die schon erwähnten
politischen Ereignisse der letzten Zeit. Kaum find zwei Jahre der Republik
vergangen, da reckt der chinesische Drache seinen Schuppenleib, und das ganze
fremde Verfassungswerk, das man ihm angelegt hatte, fliegt davon gleich dürrem
Laub. Es klingt bei diesem Vorgang etwas hindurch wie ein fernes asiatisches
Hohnlachen als Antwort auf gewisse Versuche, an die Wesensart des Landes zu tasten.

Es erhebt sich jetzt die Frage, ob der Rückschlag gegen die Republik von
nachhaltiger Kraft sein wird, oder ob eine baldige Wiederkehr der republikanischen


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[0595] China auf dem lvegc zur Monarchie? von Eisenbahnen, Maschinen und anderen technischen Errungenschaften, die heute ihren Einzug in China halten dürfen, die gesamte alte Kultur dieses Landes nun ans den Fugen und in die Brüche gehen müsse, und hört oft die über¬ triebensten Redewendungen von einem angeblichen „gewaltigen inneren Um¬ bildungsprozeß", von „Erwachen aus tausendjährigem Schlaf" und dergleichen mehr. Eine Umbildung findet statt, aber sie dürste sich nur auf äußeres be¬ ziehen. Auch Japan hat sich nur äußerlich modernisiert, im Geiste ist es das alte geblieben. China aber ist Japan geistig noch weit überlegen. Konnte daher der japanische Krebs — um ein chinesisches Bild zu gebrauchen — die fremde Kost so gut verdauen, dann wird sie voraussichtlich dem chinesischen Drachen noch weniger anhaben. Die Chinesen sind ja keine Kinder und nicht mit halbwilden Schwarzen auf eine Stufe zu stellen. Sie wissen sehr wohl, daß der Mensch wertvoller ist als die tote Materie — ein Standpunkt, der allerdings im Westen gelegentlich nicht geteilt zu werden pflegt, — sie sind ferner durch ihren Meister Konfuzius darüber belehrt, daß das Glück nicht in äußeren Dingen, sondern in inneren Werten beruht. Der Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Vorteils und des technischen Fortschritts, der ausländischerseits China gegenüber so gern in den Vordergrund gerückt wird, ist durchaus nicht geeignet, dort den erwarteten Ein¬ druck zu machen. Die konfuzianische Staatslehre legt eben auf andere Dinge als nur äußeres Gedeihen und glänzende Technik den Hauptwert. Auch sind die Zeiten vorüber, da Europa sür China ein Buch mit sieben Siegeln war. Längst ist eine chinesische Presse am Werke, über die Ereignisse im Aus¬ land zu berichten, außerdem sitzen an allen westlichen Kulturzentren zahlreiche Beobachter aus dem Osten, die den Vorgängen ihrer Umgebung mit gespannter Aufmerksamkeit folgen. Darum weiß man heute in China längst, daß manche Länder trotz aller technischen Vollkommenheiten doch recht bedenkliche innere Mängel aufweisen, man hat ein besonders feines Gehör für die zahllosen Dissonanzen, die sich in der Gesellschaftsordnung manches Kulturstaates störend bemerkbar machen, und man nimmt natürlich mit einiger Überraschung wahr, daß in den Spalten der Tagespresse dieser Kulturstaaten die Berichte von Verbrechen und Korruption nicht 'aufhören wollen. Diese Wahrnehmungen haben in China begreiflicherweise ein gewisses Mißtrauen gegen die westliche Kultur ausgelöst, und man beginnt, sich wieder auf die eigenen Altäre zu be¬ sinnen. Einen deutlichen Ausdruck dieses Mißtrauens bilden die schon erwähnten politischen Ereignisse der letzten Zeit. Kaum find zwei Jahre der Republik vergangen, da reckt der chinesische Drache seinen Schuppenleib, und das ganze fremde Verfassungswerk, das man ihm angelegt hatte, fliegt davon gleich dürrem Laub. Es klingt bei diesem Vorgang etwas hindurch wie ein fernes asiatisches Hohnlachen als Antwort auf gewisse Versuche, an die Wesensart des Landes zu tasten. Es erhebt sich jetzt die Frage, ob der Rückschlag gegen die Republik von nachhaltiger Kraft sein wird, oder ob eine baldige Wiederkehr der republikanischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/595>, abgerufen am 29.12.2024.