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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Britische Hceresproblemc

gesprochen. Er vertritt die Ansicht, daß es für England unmöglich sei, neben
einem Volksheer auch ein Berufsheer, wie die jetzigen regulären Truppen, auf¬
zustellen, da es für letzteres schon jetzt an dem nötigen Ersatz mangele. Ein
Berufsheer aus Soldaten mit langjähriger Dienstzeit wird aber von allen mili¬
tärischen Sachverständigen für nötig erachtet, da die Sicherung des großen
Kolonialbesitzes nicht einem Heere mit kurzer Dienstzeit zugemutet werden könne.
Eine Armee auf dem Boden der allgemeinen Wehrpflicht, sagt Haldane, müsse
die Regierung als einen Ruin für das ganze wirtschaftliche Leben ansehen.
Würde sie es wagen der Nation, die kein Verlangen danach trage, ein solches
System anzubieten, so würde sie von dem allgemeinen Unwillen hinweggefegt
werden. Wenn er Franzose oder Deutscher wäre, so würde er die Parole
von dem Volk in Waffen ohne weiteres annehmen, weil diese Landmächte eines
solchen Abwehrmittels bedürften. Für England aber bildet die Flotte den Haupt¬
schutz gegen jede Invasion.

Auch Mr. Balfour betrachtet diese Frage von einem ähnlichen Standpunkt
aus, indem er kürzlich sagte: "Was würde es nutzen, wenn man jeden jungen
Mann in diesem Lande so vollkommen ausbildet, wie es die deutsche oder irgend¬
eine andere große Armee tut, und wir besäßen nicht die Herrschaft zur See,
um Rohmaterial und Nahrungsstoffe, von denen wir abhängen, an die Küste
zu bringen?" Auch er steht also, wie die Masse der Nation, das Heil in der
starken, allen anderen Mächten weit überlegenen Flotte.

Ganz abgesehen aber von diesen militärischen und politischen Gründen
liegen die Schwierigkeiten, die sich der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht
in England entgegenstellen, in der Denkungsweise des gesamten Volkes, die
Peters in seinen Erörterungen über das englische Heer so treffend mit folgenden
Worten kennzeichnet: "Das englische Heerwesen stellt die Kehrseite der politischen
Eigenart des Angelsachsentums dar. Es liegt auf der Hand, daß ein Volks¬
schlag, in welchem das Bedürfnis nach individueller Unabhängigkeit und die
Abneigung gegen jeden Zwang von außen so stark entwickelt ist, wie bei den
Engländern, sich nicht in hervorragendem Maße zur Einfügung in eine Organi¬
sation eignet, wie sie die Voraussetzung für den Ausbau großer Heeresmaschinen
bildet. In diesem Freiheitssinn liegt die Wurzel der großen politischen Fähigkeiten
dieser Rasse, in ihm liegt auf der anderen Seite das vornehmlichste Hindernis sür die
Schaffung einer Armee auf der modernen Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht.
Und hierin liegt die Schwäche des angelsächsischen Staatsgedankens überhaupt."

Das englische Volk hatte jedoch keine Zeit, sich mit der Erklärung des
Premierministers Asquith über die allgemeine Wehrpflicht lange zu beschäftigen,
da das seit Jahren die innere Politik beherrschende Homeruleproblem in den
Vordergrund der Ereignisse trat und auch die Armee in ihren Bannkreis zog.

Hierbei zeigte sich, daß die Regierung sich nicht unbedingt auf die reguläre
Armee zur Unterdrückung innerer Unruhen verlassen kann, und daß das Offizier¬
korps nicht frei von einer politischen Stellungnahme ist.


Britische Hceresproblemc

gesprochen. Er vertritt die Ansicht, daß es für England unmöglich sei, neben
einem Volksheer auch ein Berufsheer, wie die jetzigen regulären Truppen, auf¬
zustellen, da es für letzteres schon jetzt an dem nötigen Ersatz mangele. Ein
Berufsheer aus Soldaten mit langjähriger Dienstzeit wird aber von allen mili¬
tärischen Sachverständigen für nötig erachtet, da die Sicherung des großen
Kolonialbesitzes nicht einem Heere mit kurzer Dienstzeit zugemutet werden könne.
Eine Armee auf dem Boden der allgemeinen Wehrpflicht, sagt Haldane, müsse
die Regierung als einen Ruin für das ganze wirtschaftliche Leben ansehen.
Würde sie es wagen der Nation, die kein Verlangen danach trage, ein solches
System anzubieten, so würde sie von dem allgemeinen Unwillen hinweggefegt
werden. Wenn er Franzose oder Deutscher wäre, so würde er die Parole
von dem Volk in Waffen ohne weiteres annehmen, weil diese Landmächte eines
solchen Abwehrmittels bedürften. Für England aber bildet die Flotte den Haupt¬
schutz gegen jede Invasion.

Auch Mr. Balfour betrachtet diese Frage von einem ähnlichen Standpunkt
aus, indem er kürzlich sagte: „Was würde es nutzen, wenn man jeden jungen
Mann in diesem Lande so vollkommen ausbildet, wie es die deutsche oder irgend¬
eine andere große Armee tut, und wir besäßen nicht die Herrschaft zur See,
um Rohmaterial und Nahrungsstoffe, von denen wir abhängen, an die Küste
zu bringen?" Auch er steht also, wie die Masse der Nation, das Heil in der
starken, allen anderen Mächten weit überlegenen Flotte.

Ganz abgesehen aber von diesen militärischen und politischen Gründen
liegen die Schwierigkeiten, die sich der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht
in England entgegenstellen, in der Denkungsweise des gesamten Volkes, die
Peters in seinen Erörterungen über das englische Heer so treffend mit folgenden
Worten kennzeichnet: „Das englische Heerwesen stellt die Kehrseite der politischen
Eigenart des Angelsachsentums dar. Es liegt auf der Hand, daß ein Volks¬
schlag, in welchem das Bedürfnis nach individueller Unabhängigkeit und die
Abneigung gegen jeden Zwang von außen so stark entwickelt ist, wie bei den
Engländern, sich nicht in hervorragendem Maße zur Einfügung in eine Organi¬
sation eignet, wie sie die Voraussetzung für den Ausbau großer Heeresmaschinen
bildet. In diesem Freiheitssinn liegt die Wurzel der großen politischen Fähigkeiten
dieser Rasse, in ihm liegt auf der anderen Seite das vornehmlichste Hindernis sür die
Schaffung einer Armee auf der modernen Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht.
Und hierin liegt die Schwäche des angelsächsischen Staatsgedankens überhaupt."

Das englische Volk hatte jedoch keine Zeit, sich mit der Erklärung des
Premierministers Asquith über die allgemeine Wehrpflicht lange zu beschäftigen,
da das seit Jahren die innere Politik beherrschende Homeruleproblem in den
Vordergrund der Ereignisse trat und auch die Armee in ihren Bannkreis zog.

Hierbei zeigte sich, daß die Regierung sich nicht unbedingt auf die reguläre
Armee zur Unterdrückung innerer Unruhen verlassen kann, und daß das Offizier¬
korps nicht frei von einer politischen Stellungnahme ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/592>, abgerufen am 01.01.2025.