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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Britische Heeresproblorrw

Um die mit einem Zusammenbruch der Disziplin in einzelnen Regimentern
des "In8ti Loma-ma" endenden Vorgänge verstehen zu können, bedarf es
eines kurzen Überblicks über den Gang der Ereignisse, die zu dem jetzigen Kon¬
flikt in der Politik Englands führten.

Seit langem haben die beiden großen politischen Parteien die Homerule-
frage als Mittel im Kampfe um die politische Macht benutzt. Nachdem die
liberale Partei mit Hilfe der Iren und der Arbeiterpartei bei den Wahlen
die Mehrheit erlangt hatte, brachte sie 1912 zum ersten Male die jetzige Home-
rulebill ein.

Sofort machte die konservativ - unionistische Partei den Gegenzug, indem
sie die vier protestantischen, einem irisch-katholischen Regiment abgeneigten nord¬
östlichen Grafschaften Irlands, das sogenannte Ulster, gegen die Regierung
unterstützten und somit eine offene Rebellion begünstigten.

Der Versuch der Regierung, zur Verhinderung und Unterdrückung von
Unruhen Teile der in Irland stehenden Truppen aufzubieten, scheiterte vor
allem an der Disziplinlosigkeit des Offizierkorps einer Kavalleriebrigade, dessen
Mitglieder fast ohne Ausnahme den Abschied einreichten, um nicht gegen die
Ulsterleute kämpfen zu müssen.

Wenn man auch menschlich verstehen kann, daß diese, meist konservativen
Familien entstammenden Offiziere gegen ihre politischen Gesinnungsgenossen
nicht kämpfen mochten, so ist ihr Verhalten vom militärischen Gesichtspunkt aus
doch sehr zu verurteilen.

Tatsächlich haben sie es erreicht, daß die Negierung den Rückzug antrat
und erklärte, daß keinerlei Absicht bestehe, die Armee zur Unterdrückung des
politischen Widerstandes gegen die Homerulebill zu benutzen. Der Premier¬
minister erklärte vor wenigen Tagen im Unterhaus, daß die Offiziere, deren
Rücktritt die Heeresdisziplin zu erschüttern gedroht habe, unter einem "Mißver¬
ständnis" gehandelt Hütten und nunmehr im Dienste verblieben. Die Vorgänge
in Irland bieten uns also das eigenartige Schauspiel, daß ein schweres mili¬
tärisches Vergehen ohne Sühne bleibt.

Wie die Ereignisse in Ulster sich weiter abspielen werden, und wie sich die
liberale Regierung aus dem Dilemma zieht, ist noch nicht zu übersehen. Sicher
ist. daß das Kompromiß ein Nachgeben der Regierung und einen moralischen
Sieg der Opposition bedeutet, der den Liberalen bei den nächsten Wahlen manche
Stimme kosten und vielleicht die Opposition ans Ruder bringen wird.

Sollte die innerpolitische Entwicklung Englands diesen Weg einschlagen, so
dürfen sich diejenigen Teile der Armee, die der Opposition gegen die Regierung
gedient haben, ihrer Mitwirkung nicht rühmen, denn der Zusammenbruch der
Disziplin in dem sonst so ritterlichen englischen Offizierkorps wird stets ein
dunkler Punkt in seiner Geschichte bleiben.




Britische Heeresproblorrw

Um die mit einem Zusammenbruch der Disziplin in einzelnen Regimentern
des „In8ti Loma-ma" endenden Vorgänge verstehen zu können, bedarf es
eines kurzen Überblicks über den Gang der Ereignisse, die zu dem jetzigen Kon¬
flikt in der Politik Englands führten.

Seit langem haben die beiden großen politischen Parteien die Homerule-
frage als Mittel im Kampfe um die politische Macht benutzt. Nachdem die
liberale Partei mit Hilfe der Iren und der Arbeiterpartei bei den Wahlen
die Mehrheit erlangt hatte, brachte sie 1912 zum ersten Male die jetzige Home-
rulebill ein.

Sofort machte die konservativ - unionistische Partei den Gegenzug, indem
sie die vier protestantischen, einem irisch-katholischen Regiment abgeneigten nord¬
östlichen Grafschaften Irlands, das sogenannte Ulster, gegen die Regierung
unterstützten und somit eine offene Rebellion begünstigten.

Der Versuch der Regierung, zur Verhinderung und Unterdrückung von
Unruhen Teile der in Irland stehenden Truppen aufzubieten, scheiterte vor
allem an der Disziplinlosigkeit des Offizierkorps einer Kavalleriebrigade, dessen
Mitglieder fast ohne Ausnahme den Abschied einreichten, um nicht gegen die
Ulsterleute kämpfen zu müssen.

Wenn man auch menschlich verstehen kann, daß diese, meist konservativen
Familien entstammenden Offiziere gegen ihre politischen Gesinnungsgenossen
nicht kämpfen mochten, so ist ihr Verhalten vom militärischen Gesichtspunkt aus
doch sehr zu verurteilen.

Tatsächlich haben sie es erreicht, daß die Negierung den Rückzug antrat
und erklärte, daß keinerlei Absicht bestehe, die Armee zur Unterdrückung des
politischen Widerstandes gegen die Homerulebill zu benutzen. Der Premier¬
minister erklärte vor wenigen Tagen im Unterhaus, daß die Offiziere, deren
Rücktritt die Heeresdisziplin zu erschüttern gedroht habe, unter einem „Mißver¬
ständnis" gehandelt Hütten und nunmehr im Dienste verblieben. Die Vorgänge
in Irland bieten uns also das eigenartige Schauspiel, daß ein schweres mili¬
tärisches Vergehen ohne Sühne bleibt.

Wie die Ereignisse in Ulster sich weiter abspielen werden, und wie sich die
liberale Regierung aus dem Dilemma zieht, ist noch nicht zu übersehen. Sicher
ist. daß das Kompromiß ein Nachgeben der Regierung und einen moralischen
Sieg der Opposition bedeutet, der den Liberalen bei den nächsten Wahlen manche
Stimme kosten und vielleicht die Opposition ans Ruder bringen wird.

Sollte die innerpolitische Entwicklung Englands diesen Weg einschlagen, so
dürfen sich diejenigen Teile der Armee, die der Opposition gegen die Regierung
gedient haben, ihrer Mitwirkung nicht rühmen, denn der Zusammenbruch der
Disziplin in dem sonst so ritterlichen englischen Offizierkorps wird stets ein
dunkler Punkt in seiner Geschichte bleiben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/593>, abgerufen am 29.12.2024.