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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Pöbelhaufen in ungebührlicher Weise zum Ausdruck gekommen; die Beschränkung
auf den Ort selbst zeigt schon zur Genüge, daß auch diese rohen Ausbrüche
nur dem einzelnen Heeresteile galten, von dem jene Beleidigung aus¬
gegangen war. Wer hier von einer feindseligen Gesinnung der Bevölkerung
gegen Heer und Reich zu reden sich vermißt, verkennt durchaus den soldaten¬
frohen Sinn des Elsässers und die bisherige, im ganzen doch brav deutsche
Haltung des Zaberner Kreises; er könnte sich auch leicht durch Offiziere und
Mannschaften unseres Armeekorps aus ihren Manövererfahrungen eines Besseren
belehren lassen. (Man lese vor allem die Ausführungen im Dezemberheft 1913
der Elsaß-Lothringischen Kulturfragen.) Aber freilich -- fremdartig steht
der Offizier noch immer da, und die Schuld liegt doch nicht bloß bei ihm,
sie liegt auch darin, daß die einheimischen höheren Gesellschaftskreise, auch die
sonst gut gesinnten, sich immer noch scheuen, ihre Söhne dem deutschen Offiziers¬
korps zuzuführen und dieses damit enger mit dem Leben der Bevölkerung zu
verbinden; in unseren Regimentern bildet der elsässische Offizier die Ausnahme,
während er im französischen Heere auch jetzt noch häufiger anzutreffen ist. Und
wie verhältnismüßig selten entschließt sich ein elsässisches Mädchen zur Heirat
mit einem deutschen Offizier, und auch dann wohl unter mancherlei Anfechtungen
von feiten seiner Umgebung. Davon würde man auch in Zabern zu erzählen
wissen. Zum Teil erklärt sich diese dem Lande sehr wenig zuträgliche Zurück¬
haltung ja daraus, daß der in unserem Heere nun doch einmal ausgebildete
Kastengeist der Sinnesart und Lebensweise des Elsässers entschieden widerstrebt;
sie hat aber andernteils ihren Grund auch darin, daß man sich inmitten seiner
lieben Landsleute vor einem Schritte scheut, der wie kein anderer den Anschluß
an die deutsche Sache bekundet und offen zur Schau trägt. Es gehört viel
Mut dazu, denn man wagt Freundschaft und Ansehen. Solange es uns nicht
gelungen ist, die große Mehrheit der Bevölkerung nicht nur mit dem praktischen
Verstände, sondern auch mit vollem Gemüte zu uns herüberzuziehen, wird diese
Zurückhaltung andauern, wird es auch mancher Gutgesinnte, manch einzelner,
der schon im Herzen unser ist, nicht über sich gewinnen, durch ein offenes Bekenntnis
sich aus dem alten, vertrauten Verbände seiner Landsgenossen herauszulösen.

Ein solches Bekenntnis wird ihm nun freilich durch die Zaberner Vorgänge
gewiß nicht leichter gemacht; aber es ist auch längst noch nicht alles verdorben.
Wir werden unverdrossen weiter schaffen am Werke der Versöhnung, und wir
tun es im geschlossenen und durch jene Vorgänge nur noch gefestigteren Vereine
mit einer tapferen Minderheit altelsässischer Männer, denen hier doch das stärkende
Bewußtsein erwachsen ist, daß im kritischen Falle sich Reich und Reichstag in
überwiegender Mehrzahl mit ihnen verbunden fühlen. Gewiß, es war ein
schwerer Schlag! Aber gegen Schläge oder wenigstens gegen ihre Wiederholung
vermag man sich zu schützen. Wo aber ist der Schutz gegen fortgesetzte Nadel¬
stiche und gegen schleichendes Gift? Wer und was wahrt jenes Werk der
Versöhnung vor all den offen und verborgen wirkenden Angriffen in Schrift


Reichsspiegel

Pöbelhaufen in ungebührlicher Weise zum Ausdruck gekommen; die Beschränkung
auf den Ort selbst zeigt schon zur Genüge, daß auch diese rohen Ausbrüche
nur dem einzelnen Heeresteile galten, von dem jene Beleidigung aus¬
gegangen war. Wer hier von einer feindseligen Gesinnung der Bevölkerung
gegen Heer und Reich zu reden sich vermißt, verkennt durchaus den soldaten¬
frohen Sinn des Elsässers und die bisherige, im ganzen doch brav deutsche
Haltung des Zaberner Kreises; er könnte sich auch leicht durch Offiziere und
Mannschaften unseres Armeekorps aus ihren Manövererfahrungen eines Besseren
belehren lassen. (Man lese vor allem die Ausführungen im Dezemberheft 1913
der Elsaß-Lothringischen Kulturfragen.) Aber freilich — fremdartig steht
der Offizier noch immer da, und die Schuld liegt doch nicht bloß bei ihm,
sie liegt auch darin, daß die einheimischen höheren Gesellschaftskreise, auch die
sonst gut gesinnten, sich immer noch scheuen, ihre Söhne dem deutschen Offiziers¬
korps zuzuführen und dieses damit enger mit dem Leben der Bevölkerung zu
verbinden; in unseren Regimentern bildet der elsässische Offizier die Ausnahme,
während er im französischen Heere auch jetzt noch häufiger anzutreffen ist. Und
wie verhältnismüßig selten entschließt sich ein elsässisches Mädchen zur Heirat
mit einem deutschen Offizier, und auch dann wohl unter mancherlei Anfechtungen
von feiten seiner Umgebung. Davon würde man auch in Zabern zu erzählen
wissen. Zum Teil erklärt sich diese dem Lande sehr wenig zuträgliche Zurück¬
haltung ja daraus, daß der in unserem Heere nun doch einmal ausgebildete
Kastengeist der Sinnesart und Lebensweise des Elsässers entschieden widerstrebt;
sie hat aber andernteils ihren Grund auch darin, daß man sich inmitten seiner
lieben Landsleute vor einem Schritte scheut, der wie kein anderer den Anschluß
an die deutsche Sache bekundet und offen zur Schau trägt. Es gehört viel
Mut dazu, denn man wagt Freundschaft und Ansehen. Solange es uns nicht
gelungen ist, die große Mehrheit der Bevölkerung nicht nur mit dem praktischen
Verstände, sondern auch mit vollem Gemüte zu uns herüberzuziehen, wird diese
Zurückhaltung andauern, wird es auch mancher Gutgesinnte, manch einzelner,
der schon im Herzen unser ist, nicht über sich gewinnen, durch ein offenes Bekenntnis
sich aus dem alten, vertrauten Verbände seiner Landsgenossen herauszulösen.

Ein solches Bekenntnis wird ihm nun freilich durch die Zaberner Vorgänge
gewiß nicht leichter gemacht; aber es ist auch längst noch nicht alles verdorben.
Wir werden unverdrossen weiter schaffen am Werke der Versöhnung, und wir
tun es im geschlossenen und durch jene Vorgänge nur noch gefestigteren Vereine
mit einer tapferen Minderheit altelsässischer Männer, denen hier doch das stärkende
Bewußtsein erwachsen ist, daß im kritischen Falle sich Reich und Reichstag in
überwiegender Mehrzahl mit ihnen verbunden fühlen. Gewiß, es war ein
schwerer Schlag! Aber gegen Schläge oder wenigstens gegen ihre Wiederholung
vermag man sich zu schützen. Wo aber ist der Schutz gegen fortgesetzte Nadel¬
stiche und gegen schleichendes Gift? Wer und was wahrt jenes Werk der
Versöhnung vor all den offen und verborgen wirkenden Angriffen in Schrift


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[0581] Reichsspiegel Pöbelhaufen in ungebührlicher Weise zum Ausdruck gekommen; die Beschränkung auf den Ort selbst zeigt schon zur Genüge, daß auch diese rohen Ausbrüche nur dem einzelnen Heeresteile galten, von dem jene Beleidigung aus¬ gegangen war. Wer hier von einer feindseligen Gesinnung der Bevölkerung gegen Heer und Reich zu reden sich vermißt, verkennt durchaus den soldaten¬ frohen Sinn des Elsässers und die bisherige, im ganzen doch brav deutsche Haltung des Zaberner Kreises; er könnte sich auch leicht durch Offiziere und Mannschaften unseres Armeekorps aus ihren Manövererfahrungen eines Besseren belehren lassen. (Man lese vor allem die Ausführungen im Dezemberheft 1913 der Elsaß-Lothringischen Kulturfragen.) Aber freilich — fremdartig steht der Offizier noch immer da, und die Schuld liegt doch nicht bloß bei ihm, sie liegt auch darin, daß die einheimischen höheren Gesellschaftskreise, auch die sonst gut gesinnten, sich immer noch scheuen, ihre Söhne dem deutschen Offiziers¬ korps zuzuführen und dieses damit enger mit dem Leben der Bevölkerung zu verbinden; in unseren Regimentern bildet der elsässische Offizier die Ausnahme, während er im französischen Heere auch jetzt noch häufiger anzutreffen ist. Und wie verhältnismüßig selten entschließt sich ein elsässisches Mädchen zur Heirat mit einem deutschen Offizier, und auch dann wohl unter mancherlei Anfechtungen von feiten seiner Umgebung. Davon würde man auch in Zabern zu erzählen wissen. Zum Teil erklärt sich diese dem Lande sehr wenig zuträgliche Zurück¬ haltung ja daraus, daß der in unserem Heere nun doch einmal ausgebildete Kastengeist der Sinnesart und Lebensweise des Elsässers entschieden widerstrebt; sie hat aber andernteils ihren Grund auch darin, daß man sich inmitten seiner lieben Landsleute vor einem Schritte scheut, der wie kein anderer den Anschluß an die deutsche Sache bekundet und offen zur Schau trägt. Es gehört viel Mut dazu, denn man wagt Freundschaft und Ansehen. Solange es uns nicht gelungen ist, die große Mehrheit der Bevölkerung nicht nur mit dem praktischen Verstände, sondern auch mit vollem Gemüte zu uns herüberzuziehen, wird diese Zurückhaltung andauern, wird es auch mancher Gutgesinnte, manch einzelner, der schon im Herzen unser ist, nicht über sich gewinnen, durch ein offenes Bekenntnis sich aus dem alten, vertrauten Verbände seiner Landsgenossen herauszulösen. Ein solches Bekenntnis wird ihm nun freilich durch die Zaberner Vorgänge gewiß nicht leichter gemacht; aber es ist auch längst noch nicht alles verdorben. Wir werden unverdrossen weiter schaffen am Werke der Versöhnung, und wir tun es im geschlossenen und durch jene Vorgänge nur noch gefestigteren Vereine mit einer tapferen Minderheit altelsässischer Männer, denen hier doch das stärkende Bewußtsein erwachsen ist, daß im kritischen Falle sich Reich und Reichstag in überwiegender Mehrzahl mit ihnen verbunden fühlen. Gewiß, es war ein schwerer Schlag! Aber gegen Schläge oder wenigstens gegen ihre Wiederholung vermag man sich zu schützen. Wo aber ist der Schutz gegen fortgesetzte Nadel¬ stiche und gegen schleichendes Gift? Wer und was wahrt jenes Werk der Versöhnung vor all den offen und verborgen wirkenden Angriffen in Schrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/581>, abgerufen am 04.01.2025.