Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Alte und neue Uunstbetrachtimg anschaffen, während der Band "Das weibliche Schönheitsideal in der Malerei" Mit diesen monumentalen Abbildungsbäuden kann sich freilich der von Alte und neue Uunstbetrachtimg anschaffen, während der Band „Das weibliche Schönheitsideal in der Malerei" Mit diesen monumentalen Abbildungsbäuden kann sich freilich der von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0576" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328042"/> <fw type="header" place="top"> Alte und neue Uunstbetrachtimg</fw><lb/> <p xml:id="ID_2687" prev="#ID_2686"> anschaffen, während der Band „Das weibliche Schönheitsideal in der Malerei"<lb/> zwar einen dilettantischen, oberflächlichen und nachlässigen Text von Hanns<lb/> Schulze aufweist, aber durch das wenngleich nicht ganz einwandfrei ausgesuchte<lb/> Bildermaterial auch dem breiteren Publikum Gelegenheit zu höchst anregenden<lb/> und lehrreichen Vergleichen und vielseitigsten Genuß bietet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2688" next="#ID_2689"> Mit diesen monumentalen Abbildungsbäuden kann sich freilich der von<lb/> L. Brieger, im Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin/Herausgegebene Band „Alt¬<lb/> meister deutscher Malerei", weder in der Qualität der meist zu schwarzen und<lb/> keineswegs musterhaft ausgewählten Abbildungen, noch in dem von historischen<lb/> Irrtümern, vagen Formulierungen und üblen Verallgemeinerungen geradezu<lb/> strotzenden Text messen. Aber aus einem Grunde ist dieser Text doch inter¬<lb/> essant: er ist ein sehr bedeutsames Zeichen der Zeit. Brieger erstrebt nämlich<lb/> nichts weniger als die Befreiung von unserem klassischen Schönheitsideal, und<lb/> da er deutlich fühlt, daß ein so mächtiges und fruchtbares Prinzip nicht einfach<lb/> damit abgetan ist, daß man es negiert, so predigt er eine nationale Kunst und<lb/> sucht durch Anknüpfung an die altdeutsche Malerei eine Tradition zu gewinnen.<lb/> Daß wir bisher in der Gotik Mängel gesehen haben, das liegt nach ihm<lb/> lediglich daran, daß wir unter der Herrschaft einer auf dem klassischen Ideal<lb/> fußender Ästhetik standen, was man unter den gotischen „Ungeschicklichkeiten"<lb/> versteht, das ist eben die gewollte Sprache starken inneren Lebens. Das Richtige<lb/> in diesen Behauptungen soll nicht verkannt werden, es ist jedoch sehr die Frage,<lb/> ob wir heute noch ohne weiteres wieder an die Gotik anknüpfen können, und<lb/> wenn Brieger sich zu so ungeheuerlichen Behauptungen versteigt wie die, daß<lb/> ein Mund Dürers, Grünewalds oder Holbeins „mit seiner so unglaublich variablen<lb/> Linie doch wohl mehr sagt, als dies irgendein ganzes italienisches Gemälde<lb/> vermag" (S. 19), wenn die großen Italiener nun auf einmal nichts als seelen¬<lb/> lose Schönlinge sein sollen, so wird er sicherlich keine Nachfolger finden. Weshalb<lb/> wären denn schließlich die Dürer, Kulmbach, Burgkmair und wie sie heißen<lb/> mögen, nach Italien gegangen, wenn sie nicht aufrichtig überzeugt waren von<lb/> der Überlegenheit der südlichen Kunst? Aber diese Ansicht von der, wenn nicht<lb/> Überlegenheit, so doch Gleichberechtigung der gotischen Kunst, steht gar nicht so<lb/> vereinzelt da, auch Burger neigt ihr zu, vor allem aber predigt sie W, Worringer<lb/> („Formprobleme der Gotik", München, N. Piper). Er stellt den gotisch¬<lb/> nordischen dem romanisch-antiken Menschen gegenüber. Jener geht auf das ab¬<lb/> strakt geistige, dieser auf das sinnliche aus. Ich halte diese Trennung, der natürlich<lb/> eine richtige, jedem nachfühlbare Beobachtung zugrunde liegt, im Begrifflichen für<lb/> verfehlt; nicht nur deshalb, weil es sehr zweifelhaft ist und mit den Beobachtungen<lb/> einer großen Gruppe von Ethnographen — denen allerdings eine andere gegen¬<lb/> übersteht — nicht übereinstimmen will, daß der „primitive", gotisch-nordische<lb/> Mensch von dem abstrakten Ornament ausgeht, sondern vor allem, weil doch<lb/> auch der Italiener, man denke nur an Michelangelo, Geistiges ausdrücken will.<lb/> Richtig ist nur, daß der Nordländer, seiner geringeren Sinnlichkeit wegen den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0576]
Alte und neue Uunstbetrachtimg
anschaffen, während der Band „Das weibliche Schönheitsideal in der Malerei"
zwar einen dilettantischen, oberflächlichen und nachlässigen Text von Hanns
Schulze aufweist, aber durch das wenngleich nicht ganz einwandfrei ausgesuchte
Bildermaterial auch dem breiteren Publikum Gelegenheit zu höchst anregenden
und lehrreichen Vergleichen und vielseitigsten Genuß bietet.
Mit diesen monumentalen Abbildungsbäuden kann sich freilich der von
L. Brieger, im Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin/Herausgegebene Band „Alt¬
meister deutscher Malerei", weder in der Qualität der meist zu schwarzen und
keineswegs musterhaft ausgewählten Abbildungen, noch in dem von historischen
Irrtümern, vagen Formulierungen und üblen Verallgemeinerungen geradezu
strotzenden Text messen. Aber aus einem Grunde ist dieser Text doch inter¬
essant: er ist ein sehr bedeutsames Zeichen der Zeit. Brieger erstrebt nämlich
nichts weniger als die Befreiung von unserem klassischen Schönheitsideal, und
da er deutlich fühlt, daß ein so mächtiges und fruchtbares Prinzip nicht einfach
damit abgetan ist, daß man es negiert, so predigt er eine nationale Kunst und
sucht durch Anknüpfung an die altdeutsche Malerei eine Tradition zu gewinnen.
Daß wir bisher in der Gotik Mängel gesehen haben, das liegt nach ihm
lediglich daran, daß wir unter der Herrschaft einer auf dem klassischen Ideal
fußender Ästhetik standen, was man unter den gotischen „Ungeschicklichkeiten"
versteht, das ist eben die gewollte Sprache starken inneren Lebens. Das Richtige
in diesen Behauptungen soll nicht verkannt werden, es ist jedoch sehr die Frage,
ob wir heute noch ohne weiteres wieder an die Gotik anknüpfen können, und
wenn Brieger sich zu so ungeheuerlichen Behauptungen versteigt wie die, daß
ein Mund Dürers, Grünewalds oder Holbeins „mit seiner so unglaublich variablen
Linie doch wohl mehr sagt, als dies irgendein ganzes italienisches Gemälde
vermag" (S. 19), wenn die großen Italiener nun auf einmal nichts als seelen¬
lose Schönlinge sein sollen, so wird er sicherlich keine Nachfolger finden. Weshalb
wären denn schließlich die Dürer, Kulmbach, Burgkmair und wie sie heißen
mögen, nach Italien gegangen, wenn sie nicht aufrichtig überzeugt waren von
der Überlegenheit der südlichen Kunst? Aber diese Ansicht von der, wenn nicht
Überlegenheit, so doch Gleichberechtigung der gotischen Kunst, steht gar nicht so
vereinzelt da, auch Burger neigt ihr zu, vor allem aber predigt sie W, Worringer
(„Formprobleme der Gotik", München, N. Piper). Er stellt den gotisch¬
nordischen dem romanisch-antiken Menschen gegenüber. Jener geht auf das ab¬
strakt geistige, dieser auf das sinnliche aus. Ich halte diese Trennung, der natürlich
eine richtige, jedem nachfühlbare Beobachtung zugrunde liegt, im Begrifflichen für
verfehlt; nicht nur deshalb, weil es sehr zweifelhaft ist und mit den Beobachtungen
einer großen Gruppe von Ethnographen — denen allerdings eine andere gegen¬
übersteht — nicht übereinstimmen will, daß der „primitive", gotisch-nordische
Mensch von dem abstrakten Ornament ausgeht, sondern vor allem, weil doch
auch der Italiener, man denke nur an Michelangelo, Geistiges ausdrücken will.
Richtig ist nur, daß der Nordländer, seiner geringeren Sinnlichkeit wegen den
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