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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Alte und neue Amistbetrachtung

Anfang der "deutschen Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende
der Renaissance" vom Herausgeber und den Anfang von Wulffs "Geschichte
der altchristlichen und byzantinischen Kunst". Letztere wird anscheinend ein
recht gelungenes, klar aufgebautes, gut geschriebenes Werk, das zur Einführung
in dieses schwierige Gebiet wohl geeignet ist. Über Burgers deutsche Malerei
möchte ich noch kein abschließendes Urtheil fällen, sie enthält manche gute
Beobachtung, bedenklich aber erscheinen mir seine Neigung zu willkürlicher,
stellenweise geradezu phantastischer Interpretation und eine prätentiöse Zur¬
schaustellung neuer Standpunkte, die im Grunde gar nicht so sehr originell sind.
Das Abbildungsmaterial ist meistens glänzend, doch könnte im einzelnen an
Überflüssigem gespart werden, wofür dann einige andere Abbildungen nach
eigenen, deutlicheren Aufnahmen hätten hergestellt werden können. Es hat
z. B. gar keinen Zweck, die bekannten drei großen Stiche von Dürer auf be¬
sonderen Tafeln zu bringen, zumal wenn man auf Originalgröße verzichtet und
ebenso zwecklos sind Abbildungen, die etwa die Verwendung von Ölharz-
lasur bei Temperamalerei oder dergleichen veranschaulichen sollen, was selbst¬
verständlich unmöglich ist. Auch eine gleichmäßige Behandlung der Unterschriften
wäre erwünscht.

Alle diese Werke können natürlich nur dem nutzen, der Gelegenheit hat, viele
Kunstwerke im Original zu sehen. Den anderen aber müssen, um sie für die
Kunst zu gewinnen, zunächst einmal gute Abbildungen in die Hände gegeben
werden. Selbstverständlich müssen auch die besten Surrogate bleiben, aber wer
nicht reisen kann oder auf Reisen keine Zeit hat zur eingehenden Betrachtung
und festen Aneignung, wird sie, sei es zur Vorbereitung, sei es zur Erinnerung,
sei es als häuslichen Bilderschatz, der besonders auf Kinder außerordentlich bildend
wirken kann, mit Recht für unentbehrlich halten. Auch hier bemerken wir eine
nicht unbedenkliche Vielseitigkeit des Geschmacks; statt der einzelnen sorgfältig
gewählten Stiche unserer Vorfahren haben wir jetzt Bilderbücher, die ganze
Epochen vorführen. Das erfreuliche an all diesen Bestrebungen ist bei guter
Qualität die Billigkeit, die ja auch allein eine möglichst weite Verbreitung
gewährleistet. Auf die bekannten, meist sehr guten, wenn auch bescheiden aus¬
gestatteten blauen Bände, die der Verlag Karl Rob. Langewiesche herausgibt,
sei nur kurz hingewiesen. Wissenschaftlich ernster, größer angelegt ist die bei
Diederichs in Jena erscheinende Sammlung "Die Kunst in Bildern". In fünf¬
undzwanzig Bänden, deren jeder auf zweihundert Abbildungen eine bestimmte
Epoche oder ein künstlerisches Problem vorführen soll, wird hier eine richtige
häusliche Kunstkammer geboten. Es versteht sich von selbst, daß die Abbildungen
je nach Art und Größe der Originale verschieden klar ausgefallen sind, im
allgemeinen aber kann man sie gut und erstaunlich wohlfeil nennen. Den jüngst
erschienenen sehr gut zusammengestellten Band über die flämische Malerei sollte
man wie die früheren über altdeutsche und altniederländische schon allein um
des in jeder Beziehung glänzenden und reichhaltigen Textes von E. Heidrich.


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Alte und neue Amistbetrachtung

Anfang der „deutschen Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende
der Renaissance" vom Herausgeber und den Anfang von Wulffs „Geschichte
der altchristlichen und byzantinischen Kunst". Letztere wird anscheinend ein
recht gelungenes, klar aufgebautes, gut geschriebenes Werk, das zur Einführung
in dieses schwierige Gebiet wohl geeignet ist. Über Burgers deutsche Malerei
möchte ich noch kein abschließendes Urtheil fällen, sie enthält manche gute
Beobachtung, bedenklich aber erscheinen mir seine Neigung zu willkürlicher,
stellenweise geradezu phantastischer Interpretation und eine prätentiöse Zur¬
schaustellung neuer Standpunkte, die im Grunde gar nicht so sehr originell sind.
Das Abbildungsmaterial ist meistens glänzend, doch könnte im einzelnen an
Überflüssigem gespart werden, wofür dann einige andere Abbildungen nach
eigenen, deutlicheren Aufnahmen hätten hergestellt werden können. Es hat
z. B. gar keinen Zweck, die bekannten drei großen Stiche von Dürer auf be¬
sonderen Tafeln zu bringen, zumal wenn man auf Originalgröße verzichtet und
ebenso zwecklos sind Abbildungen, die etwa die Verwendung von Ölharz-
lasur bei Temperamalerei oder dergleichen veranschaulichen sollen, was selbst¬
verständlich unmöglich ist. Auch eine gleichmäßige Behandlung der Unterschriften
wäre erwünscht.

Alle diese Werke können natürlich nur dem nutzen, der Gelegenheit hat, viele
Kunstwerke im Original zu sehen. Den anderen aber müssen, um sie für die
Kunst zu gewinnen, zunächst einmal gute Abbildungen in die Hände gegeben
werden. Selbstverständlich müssen auch die besten Surrogate bleiben, aber wer
nicht reisen kann oder auf Reisen keine Zeit hat zur eingehenden Betrachtung
und festen Aneignung, wird sie, sei es zur Vorbereitung, sei es zur Erinnerung,
sei es als häuslichen Bilderschatz, der besonders auf Kinder außerordentlich bildend
wirken kann, mit Recht für unentbehrlich halten. Auch hier bemerken wir eine
nicht unbedenkliche Vielseitigkeit des Geschmacks; statt der einzelnen sorgfältig
gewählten Stiche unserer Vorfahren haben wir jetzt Bilderbücher, die ganze
Epochen vorführen. Das erfreuliche an all diesen Bestrebungen ist bei guter
Qualität die Billigkeit, die ja auch allein eine möglichst weite Verbreitung
gewährleistet. Auf die bekannten, meist sehr guten, wenn auch bescheiden aus¬
gestatteten blauen Bände, die der Verlag Karl Rob. Langewiesche herausgibt,
sei nur kurz hingewiesen. Wissenschaftlich ernster, größer angelegt ist die bei
Diederichs in Jena erscheinende Sammlung „Die Kunst in Bildern". In fünf¬
undzwanzig Bänden, deren jeder auf zweihundert Abbildungen eine bestimmte
Epoche oder ein künstlerisches Problem vorführen soll, wird hier eine richtige
häusliche Kunstkammer geboten. Es versteht sich von selbst, daß die Abbildungen
je nach Art und Größe der Originale verschieden klar ausgefallen sind, im
allgemeinen aber kann man sie gut und erstaunlich wohlfeil nennen. Den jüngst
erschienenen sehr gut zusammengestellten Band über die flämische Malerei sollte
man wie die früheren über altdeutsche und altniederländische schon allein um
des in jeder Beziehung glänzenden und reichhaltigen Textes von E. Heidrich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/575>, abgerufen am 04.01.2025.