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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mciyen

Es war also nicht schwer, den armen kranken Bürgermeister, den Pfarrer
und andere gefangene Bürger zu beruhigen und nach einer Ermahnung wieder
in Freiheit zu setzen. Der Herzog ließ alle Gefangenen kommen, hielt eine
kleine Rede, in der sie zu gutem Betragen gegen seine Truppen ermahnt
wurden, und erlaubte ihnen nach Hause zu gehen. Der Abt von Laach tat
dazu das seine, tröstete, wo es zu trösten galt und klopfte seinem alten halb¬
betäubten Konfrater auf die Schulter. Die Franzosen hatten ihn mißhandelt,
als er seine Kirche vor ihnen schützen wollte, und dann waren die Deutschen
gekommen und sperrten ihn ein.

"Es ist eine böse Zeit, HochwürdigsterI" sagte er bekümmert, und der
Abt sprach ihm gütig zu.

"Wir müssen leiden, wie unser heiligster Herr gelitten hat. Nachher aber
kommt das Paradies I"

Herr Michael Kohlbaum senkte demütig den Kopf. Er freute sich auch ans
das Paradies, aber er dachte dennoch darüber nach, weshalb es ihm so übel
ergangen war, während sein hoher Mitbruder unversehrt war und man ihm
die schlechte Zeit nicht anmerkte.

Eilig wollte er davongehen, aber der Abt hielt ihn zurück. "Ihr seid noch
nicht entlassen!"

Da setzte sich der Pfarrer bescheiden in eine Ecke und sah, wie der Bürger¬
meister und die Ratsherren den Saal verließen, nachdem sie versprochen hatten,
die Truppen nicht allein gut zu verpflegen, sondern auch jedem Offizier ein
Geldgeschenk zu machen.

Geld! Der Pfarrer seufzte. Eben hatten die Franzosen Geld verlangt,
nun kamen die anderen. Freilich -- sie kamen als Befreier und das Plündern
war eingestellt, aber, ob die armen Bürger wohl noch Geld hatten?

"Ihr kennt den Sebastian von Wiltberg?" fragte der Abt ihn, der plötzlich
neben ihm stand.

"Nicht viel, Hochwürdigster! Ist ein unruhig Blut, der viel Ehrgeiz hat
und viel Strenge. Wollte die Hexe bekehren, die hier im Turm saß, wie er
sie aber gesehen, scheint er in großer Liebe entbrannt gewesen zu sein. Sie ist
davongekommen und er war verschwunden."

"Der Schreiber nahm ihn in Haft und wollte ihn tothungern lassen,"
schob der Abt ein. "Er ist, Gott sei gelobt, gefunden, ehe der Verbrecher seine
schlimme Absicht ausführen konnte."

Der Pfarrer antwortete nicht gleich; dann strich er seinen schlechten
Rock glatt,

"Es war eine wunderliche Geschichte, Hochwürdigster. Der Junker ist ein
Brausekopf und das Mädchen soll schön gewesen sein. Die Leute sagen, daß
sie durch die Mauer geritten ist, mir scheint, man foll nit alles glauben, was
der Böse in das Volk bringt!"

Der Abt stand wieder beim Herzog, der ihn herbeigewinkt hatte.


Die Hexe von Mciyen

Es war also nicht schwer, den armen kranken Bürgermeister, den Pfarrer
und andere gefangene Bürger zu beruhigen und nach einer Ermahnung wieder
in Freiheit zu setzen. Der Herzog ließ alle Gefangenen kommen, hielt eine
kleine Rede, in der sie zu gutem Betragen gegen seine Truppen ermahnt
wurden, und erlaubte ihnen nach Hause zu gehen. Der Abt von Laach tat
dazu das seine, tröstete, wo es zu trösten galt und klopfte seinem alten halb¬
betäubten Konfrater auf die Schulter. Die Franzosen hatten ihn mißhandelt,
als er seine Kirche vor ihnen schützen wollte, und dann waren die Deutschen
gekommen und sperrten ihn ein.

„Es ist eine böse Zeit, HochwürdigsterI" sagte er bekümmert, und der
Abt sprach ihm gütig zu.

„Wir müssen leiden, wie unser heiligster Herr gelitten hat. Nachher aber
kommt das Paradies I"

Herr Michael Kohlbaum senkte demütig den Kopf. Er freute sich auch ans
das Paradies, aber er dachte dennoch darüber nach, weshalb es ihm so übel
ergangen war, während sein hoher Mitbruder unversehrt war und man ihm
die schlechte Zeit nicht anmerkte.

Eilig wollte er davongehen, aber der Abt hielt ihn zurück. „Ihr seid noch
nicht entlassen!"

Da setzte sich der Pfarrer bescheiden in eine Ecke und sah, wie der Bürger¬
meister und die Ratsherren den Saal verließen, nachdem sie versprochen hatten,
die Truppen nicht allein gut zu verpflegen, sondern auch jedem Offizier ein
Geldgeschenk zu machen.

Geld! Der Pfarrer seufzte. Eben hatten die Franzosen Geld verlangt,
nun kamen die anderen. Freilich — sie kamen als Befreier und das Plündern
war eingestellt, aber, ob die armen Bürger wohl noch Geld hatten?

„Ihr kennt den Sebastian von Wiltberg?" fragte der Abt ihn, der plötzlich
neben ihm stand.

„Nicht viel, Hochwürdigster! Ist ein unruhig Blut, der viel Ehrgeiz hat
und viel Strenge. Wollte die Hexe bekehren, die hier im Turm saß, wie er
sie aber gesehen, scheint er in großer Liebe entbrannt gewesen zu sein. Sie ist
davongekommen und er war verschwunden."

„Der Schreiber nahm ihn in Haft und wollte ihn tothungern lassen,"
schob der Abt ein. „Er ist, Gott sei gelobt, gefunden, ehe der Verbrecher seine
schlimme Absicht ausführen konnte."

Der Pfarrer antwortete nicht gleich; dann strich er seinen schlechten
Rock glatt,

„Es war eine wunderliche Geschichte, Hochwürdigster. Der Junker ist ein
Brausekopf und das Mädchen soll schön gewesen sein. Die Leute sagen, daß
sie durch die Mauer geritten ist, mir scheint, man foll nit alles glauben, was
der Böse in das Volk bringt!"

Der Abt stand wieder beim Herzog, der ihn herbeigewinkt hatte.


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[0567] Die Hexe von Mciyen Es war also nicht schwer, den armen kranken Bürgermeister, den Pfarrer und andere gefangene Bürger zu beruhigen und nach einer Ermahnung wieder in Freiheit zu setzen. Der Herzog ließ alle Gefangenen kommen, hielt eine kleine Rede, in der sie zu gutem Betragen gegen seine Truppen ermahnt wurden, und erlaubte ihnen nach Hause zu gehen. Der Abt von Laach tat dazu das seine, tröstete, wo es zu trösten galt und klopfte seinem alten halb¬ betäubten Konfrater auf die Schulter. Die Franzosen hatten ihn mißhandelt, als er seine Kirche vor ihnen schützen wollte, und dann waren die Deutschen gekommen und sperrten ihn ein. „Es ist eine böse Zeit, HochwürdigsterI" sagte er bekümmert, und der Abt sprach ihm gütig zu. „Wir müssen leiden, wie unser heiligster Herr gelitten hat. Nachher aber kommt das Paradies I" Herr Michael Kohlbaum senkte demütig den Kopf. Er freute sich auch ans das Paradies, aber er dachte dennoch darüber nach, weshalb es ihm so übel ergangen war, während sein hoher Mitbruder unversehrt war und man ihm die schlechte Zeit nicht anmerkte. Eilig wollte er davongehen, aber der Abt hielt ihn zurück. „Ihr seid noch nicht entlassen!" Da setzte sich der Pfarrer bescheiden in eine Ecke und sah, wie der Bürger¬ meister und die Ratsherren den Saal verließen, nachdem sie versprochen hatten, die Truppen nicht allein gut zu verpflegen, sondern auch jedem Offizier ein Geldgeschenk zu machen. Geld! Der Pfarrer seufzte. Eben hatten die Franzosen Geld verlangt, nun kamen die anderen. Freilich — sie kamen als Befreier und das Plündern war eingestellt, aber, ob die armen Bürger wohl noch Geld hatten? „Ihr kennt den Sebastian von Wiltberg?" fragte der Abt ihn, der plötzlich neben ihm stand. „Nicht viel, Hochwürdigster! Ist ein unruhig Blut, der viel Ehrgeiz hat und viel Strenge. Wollte die Hexe bekehren, die hier im Turm saß, wie er sie aber gesehen, scheint er in großer Liebe entbrannt gewesen zu sein. Sie ist davongekommen und er war verschwunden." „Der Schreiber nahm ihn in Haft und wollte ihn tothungern lassen," schob der Abt ein. „Er ist, Gott sei gelobt, gefunden, ehe der Verbrecher seine schlimme Absicht ausführen konnte." Der Pfarrer antwortete nicht gleich; dann strich er seinen schlechten Rock glatt, „Es war eine wunderliche Geschichte, Hochwürdigster. Der Junker ist ein Brausekopf und das Mädchen soll schön gewesen sein. Die Leute sagen, daß sie durch die Mauer geritten ist, mir scheint, man foll nit alles glauben, was der Böse in das Volk bringt!" Der Abt stand wieder beim Herzog, der ihn herbeigewinkt hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/567>, abgerufen am 04.01.2025.