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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch - Vsten

danses mit den ersten Meistern ihrer Wissenschaft oder Kunst, deren Prokesch
eine so große Anzahl zu seinen Freunden rechnen durfte, daß man von ihm,
wie kaum von einem Zweiten, sagen darf, die Fäden der geistigen Mitwelt
seien in seinem Arbeitskabinett zusammengelaufen. Nicht umsonst empfing Goethe,
dem er zu seinem Geburtstage 1820 die Glückwünsche Schwarzenbergs über¬
brachte, schon von dem jungen Universalisten einen so diesen Eindruck, daß er
ihn einen ganzen Tag, bis gegen Mitternacht, bei sich behielt und beim Ab¬
schied umarmte. Und Goethe hat so ganz gewiß nur als erster ein geistiges
Erlebnis und einen Seelenvorgang festgehalten, die nachher hundertfältige Nach¬
folge gefunden haben: er hat Prokesch als geistigem Menschen gleichsam die
Weihe gegeben.

Wer von meinen Lesern über diese notgedrungen knappe Skizze hinaus
Näheres über Prokesch als Staatsmann und Schriftsteller, wie vor allem auch
als Menschen -- der fast das Wertvollste an ihm war -- zu erfahren verlangt,
den verweise ich auf die eingehende, vielfach auf seine eigenen Worte sich auf¬
bauende und im übrigen auf die sichersten Quellen begründete Charakteristik,
welche ich ihm in dem kürzlich erschienenen ersten Bande meiner Biographie
Gobineaus (Straßburg i. E. 1913), S. 337 bis 423, gewidmet habe. Prokesch
war mit Gobineau über zwanzig Jahre lang in allennnigster Freundschaft ver¬
bunden, und so ist ihm denn ferner auch in meinen "Quellen und Untersuchungen
zum Leben Gobineaus" (ebenda 1914), S. 349 bis 391, mit Auszügen aus
seinen Schriften und Briefen sowie einem Porträt, noch ein reichlicher Raum
angewiesen. An diesen Stellen findet man endlich auch von Literatur über
Prokesch alles dasjenige, was hier und im folgenden heranzuziehen sich keine
Veranlassung bot.

Fragen wir nun, wie es zu der eingangs gekennzeichneten Erscheinung
kommen, wie ein solcher Mann der Nachwelt mehr oder minder verloren gehen,
mindestens aus dem Gedächtnis entschwinden konnte, so müssen wir hier den
Politiker und den Forscher und Gelehrten streng auseinander halten. Für letzteren
ist gerade das, was das bedeutendste an ihm war, sein Universalismus, in ge¬
wissem Sinne verhängnisvoll geworden. Den seiner würdigen Biographen hat
ihm das Geschick bis heute höchst unverdientermaßen vorenthalten, im übrigen
überließ ihn einer dem anderen, und so verklingt der Preis seiner Leistungen
fast durchweg an mehr archivalischen Stätten, in Nachschlagewerken, Geschichten
der Wissenschaften und dergleichen -- ein Stand der Dinge, der keineswegs
dem wahren Wesen Prokeschs Rechnung trägt und daher auch hoffentlich nicht
als ein endgültiger zu betrachten ist, indem jener, nichts weniger als eine ver¬
gängliche oder gar überlebte Größe, vielmehr fast auf jedem Blatte seines reichen
Schaffens als eine wahrhaft produktive Gestalt sich darstellt.

Dem entspricht es denn auch, daß Prokesch noch heute, wenigstens in den
Kreisen der hauptsächlichsten von ihm gepflegten Fachwissenschaften, insbesondere
von den Archäologen, aufs höchste geschätzt ist, wie auch, daß einzelne ihm ver-


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Bismarck und Prokesch - Vsten

danses mit den ersten Meistern ihrer Wissenschaft oder Kunst, deren Prokesch
eine so große Anzahl zu seinen Freunden rechnen durfte, daß man von ihm,
wie kaum von einem Zweiten, sagen darf, die Fäden der geistigen Mitwelt
seien in seinem Arbeitskabinett zusammengelaufen. Nicht umsonst empfing Goethe,
dem er zu seinem Geburtstage 1820 die Glückwünsche Schwarzenbergs über¬
brachte, schon von dem jungen Universalisten einen so diesen Eindruck, daß er
ihn einen ganzen Tag, bis gegen Mitternacht, bei sich behielt und beim Ab¬
schied umarmte. Und Goethe hat so ganz gewiß nur als erster ein geistiges
Erlebnis und einen Seelenvorgang festgehalten, die nachher hundertfältige Nach¬
folge gefunden haben: er hat Prokesch als geistigem Menschen gleichsam die
Weihe gegeben.

Wer von meinen Lesern über diese notgedrungen knappe Skizze hinaus
Näheres über Prokesch als Staatsmann und Schriftsteller, wie vor allem auch
als Menschen — der fast das Wertvollste an ihm war — zu erfahren verlangt,
den verweise ich auf die eingehende, vielfach auf seine eigenen Worte sich auf¬
bauende und im übrigen auf die sichersten Quellen begründete Charakteristik,
welche ich ihm in dem kürzlich erschienenen ersten Bande meiner Biographie
Gobineaus (Straßburg i. E. 1913), S. 337 bis 423, gewidmet habe. Prokesch
war mit Gobineau über zwanzig Jahre lang in allennnigster Freundschaft ver¬
bunden, und so ist ihm denn ferner auch in meinen „Quellen und Untersuchungen
zum Leben Gobineaus" (ebenda 1914), S. 349 bis 391, mit Auszügen aus
seinen Schriften und Briefen sowie einem Porträt, noch ein reichlicher Raum
angewiesen. An diesen Stellen findet man endlich auch von Literatur über
Prokesch alles dasjenige, was hier und im folgenden heranzuziehen sich keine
Veranlassung bot.

Fragen wir nun, wie es zu der eingangs gekennzeichneten Erscheinung
kommen, wie ein solcher Mann der Nachwelt mehr oder minder verloren gehen,
mindestens aus dem Gedächtnis entschwinden konnte, so müssen wir hier den
Politiker und den Forscher und Gelehrten streng auseinander halten. Für letzteren
ist gerade das, was das bedeutendste an ihm war, sein Universalismus, in ge¬
wissem Sinne verhängnisvoll geworden. Den seiner würdigen Biographen hat
ihm das Geschick bis heute höchst unverdientermaßen vorenthalten, im übrigen
überließ ihn einer dem anderen, und so verklingt der Preis seiner Leistungen
fast durchweg an mehr archivalischen Stätten, in Nachschlagewerken, Geschichten
der Wissenschaften und dergleichen — ein Stand der Dinge, der keineswegs
dem wahren Wesen Prokeschs Rechnung trägt und daher auch hoffentlich nicht
als ein endgültiger zu betrachten ist, indem jener, nichts weniger als eine ver¬
gängliche oder gar überlebte Größe, vielmehr fast auf jedem Blatte seines reichen
Schaffens als eine wahrhaft produktive Gestalt sich darstellt.

Dem entspricht es denn auch, daß Prokesch noch heute, wenigstens in den
Kreisen der hauptsächlichsten von ihm gepflegten Fachwissenschaften, insbesondere
von den Archäologen, aufs höchste geschätzt ist, wie auch, daß einzelne ihm ver-


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[0559] Bismarck und Prokesch - Vsten danses mit den ersten Meistern ihrer Wissenschaft oder Kunst, deren Prokesch eine so große Anzahl zu seinen Freunden rechnen durfte, daß man von ihm, wie kaum von einem Zweiten, sagen darf, die Fäden der geistigen Mitwelt seien in seinem Arbeitskabinett zusammengelaufen. Nicht umsonst empfing Goethe, dem er zu seinem Geburtstage 1820 die Glückwünsche Schwarzenbergs über¬ brachte, schon von dem jungen Universalisten einen so diesen Eindruck, daß er ihn einen ganzen Tag, bis gegen Mitternacht, bei sich behielt und beim Ab¬ schied umarmte. Und Goethe hat so ganz gewiß nur als erster ein geistiges Erlebnis und einen Seelenvorgang festgehalten, die nachher hundertfältige Nach¬ folge gefunden haben: er hat Prokesch als geistigem Menschen gleichsam die Weihe gegeben. Wer von meinen Lesern über diese notgedrungen knappe Skizze hinaus Näheres über Prokesch als Staatsmann und Schriftsteller, wie vor allem auch als Menschen — der fast das Wertvollste an ihm war — zu erfahren verlangt, den verweise ich auf die eingehende, vielfach auf seine eigenen Worte sich auf¬ bauende und im übrigen auf die sichersten Quellen begründete Charakteristik, welche ich ihm in dem kürzlich erschienenen ersten Bande meiner Biographie Gobineaus (Straßburg i. E. 1913), S. 337 bis 423, gewidmet habe. Prokesch war mit Gobineau über zwanzig Jahre lang in allennnigster Freundschaft ver¬ bunden, und so ist ihm denn ferner auch in meinen „Quellen und Untersuchungen zum Leben Gobineaus" (ebenda 1914), S. 349 bis 391, mit Auszügen aus seinen Schriften und Briefen sowie einem Porträt, noch ein reichlicher Raum angewiesen. An diesen Stellen findet man endlich auch von Literatur über Prokesch alles dasjenige, was hier und im folgenden heranzuziehen sich keine Veranlassung bot. Fragen wir nun, wie es zu der eingangs gekennzeichneten Erscheinung kommen, wie ein solcher Mann der Nachwelt mehr oder minder verloren gehen, mindestens aus dem Gedächtnis entschwinden konnte, so müssen wir hier den Politiker und den Forscher und Gelehrten streng auseinander halten. Für letzteren ist gerade das, was das bedeutendste an ihm war, sein Universalismus, in ge¬ wissem Sinne verhängnisvoll geworden. Den seiner würdigen Biographen hat ihm das Geschick bis heute höchst unverdientermaßen vorenthalten, im übrigen überließ ihn einer dem anderen, und so verklingt der Preis seiner Leistungen fast durchweg an mehr archivalischen Stätten, in Nachschlagewerken, Geschichten der Wissenschaften und dergleichen — ein Stand der Dinge, der keineswegs dem wahren Wesen Prokeschs Rechnung trägt und daher auch hoffentlich nicht als ein endgültiger zu betrachten ist, indem jener, nichts weniger als eine ver¬ gängliche oder gar überlebte Größe, vielmehr fast auf jedem Blatte seines reichen Schaffens als eine wahrhaft produktive Gestalt sich darstellt. Dem entspricht es denn auch, daß Prokesch noch heute, wenigstens in den Kreisen der hauptsächlichsten von ihm gepflegten Fachwissenschaften, insbesondere von den Archäologen, aufs höchste geschätzt ist, wie auch, daß einzelne ihm ver- 35»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/559>, abgerufen am 04.01.2025.