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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die österreichische Balkanpolitik

und Bismarck verfolgten, daß er aber anderseits keineswegs selbst an eine
Expansionspolitik dachte, die ja nur mit Rußland geführt werden konnte.

Gegenüber Andrassys Auffassung kommt Kalnokys Standpunkt in seiner
Rede in den Delegationen vom 13. Dezember 1886 klar zum Ausdruck. Dort
bezeichnete er genau die Grenze seines Zuwartens. "Wenn Rußland," sagte er.
"z. B. beabsichtigt oder versucht hätte, einen Kommissär nach Bulgarien zu
entsenden, sowie wenn es zu einer militärischen Okkupation, sei es der Küsten¬
plätze oder des Landes selbst geschritten wäre, so wärm dies Akte gewesen,
welche uns unt r jeder Bedingung zu einer Stellungnahme gezwungen hätten."
Kalnokn vermied jeden Schritt, der Nußland zu schärferem Vorgehen reizen
konnte. Er wußte, daß Bismarck über die Grenzen der Bündnispflicht hinaus
die österreichische Politik nicht unterstützen würde. Am 11. Januar 1887 sagte
Bismarck, vermutlich als Antwort ans die "wilden" Reden Andrassys, im
Reichstag: "Wir werden uns in dieser (der bulgarischen) Frage von niemandem
das Leitseil um den Hals werfen lassen, um uns mit Rußland zu brouillieren"

Der Erfolg gab Kalnokys Politik völlig Recht. Der Ausgang der bulgarischen
Krisis ließ deutlich erkennen, daß Rußland von neuem von der Balkanhalbinsel
abgedrängt war, und zwar zum ersten Male durch die Widerstandskraft eines
der Balkanstaaten selbst. Bulgarien durfte ungestraft dem Zaren Trotz bieten;
und Fürst Lobanow, der als russischer Botschafter in Wien im Jahre 1888 in
einer Auseinandersetzung mit Kalnoky die bulgarische Krisis in der Hauptsache
beilegte, hat dann der russischen Politik in Ostasien neue und größere Ziele
gewiesen.

Es würde zu weit führen, auch die folgenden Phasen der österreichischen
Balkanpolitik ausführlich zu verfolgen. Im Jahre 1897 verständigten sich
Petersburg und Wien über eine Politik beiderseitigen Desinteressements, und
diese dauerte bis zu der böhmischen Krisis und der neuen Politik Aehrenthals
fort. Wir wissen, daß Graf Aehrenthal selbst sich nach der Annexion gegen
jede weitere Expansionspolitik auf dem Balkan ausgesprochen hat. Ob er eine
Zeitlang dennoch eine solche lui Auge gehabt hat, läßt sich heute mit Bestimmtheit
nicht sagen. Eine derartige Expansion hätte eine zweifache Richtung nehmen
können: einmal durch den Scmdschak auf Mazedonien und Saloniki, und
zweitens auf eine Teilung oder gänzliche Einverleibung Serbiens. Die
Beziehungen zu Serbien waren noch während Goluchowskis Amtszeit sehr schlecht
geworden, und der Vertrag über Kossowo und das Vardartal hat wohl damals
aufgehört zu bestehen. Rückblickend wird man diese Änderung der österreichischen
Politik gegen Serbien im Interesse der Donaumonarchie vielleicht bedauern
können. Denn durch den Zollkrieg mit Österreich-Ungarn -- den sogenannten
"Zchweinekrieg" --wurden die Expansionstendenzen Serbiens auch nach Westen
gelenkt, da es nunmehr eines unabhängigen Ausfuhrweges für feine Agrar-
produkte notwendig bedürfte. Durch diese Feindschaft Serbiens erhielt das
südslawische Problem der Monarchie eine sehr unerwünschte Verwickelung, und


Die österreichische Balkanpolitik

und Bismarck verfolgten, daß er aber anderseits keineswegs selbst an eine
Expansionspolitik dachte, die ja nur mit Rußland geführt werden konnte.

Gegenüber Andrassys Auffassung kommt Kalnokys Standpunkt in seiner
Rede in den Delegationen vom 13. Dezember 1886 klar zum Ausdruck. Dort
bezeichnete er genau die Grenze seines Zuwartens. „Wenn Rußland," sagte er.
„z. B. beabsichtigt oder versucht hätte, einen Kommissär nach Bulgarien zu
entsenden, sowie wenn es zu einer militärischen Okkupation, sei es der Küsten¬
plätze oder des Landes selbst geschritten wäre, so wärm dies Akte gewesen,
welche uns unt r jeder Bedingung zu einer Stellungnahme gezwungen hätten."
Kalnokn vermied jeden Schritt, der Nußland zu schärferem Vorgehen reizen
konnte. Er wußte, daß Bismarck über die Grenzen der Bündnispflicht hinaus
die österreichische Politik nicht unterstützen würde. Am 11. Januar 1887 sagte
Bismarck, vermutlich als Antwort ans die „wilden" Reden Andrassys, im
Reichstag: „Wir werden uns in dieser (der bulgarischen) Frage von niemandem
das Leitseil um den Hals werfen lassen, um uns mit Rußland zu brouillieren"

Der Erfolg gab Kalnokys Politik völlig Recht. Der Ausgang der bulgarischen
Krisis ließ deutlich erkennen, daß Rußland von neuem von der Balkanhalbinsel
abgedrängt war, und zwar zum ersten Male durch die Widerstandskraft eines
der Balkanstaaten selbst. Bulgarien durfte ungestraft dem Zaren Trotz bieten;
und Fürst Lobanow, der als russischer Botschafter in Wien im Jahre 1888 in
einer Auseinandersetzung mit Kalnoky die bulgarische Krisis in der Hauptsache
beilegte, hat dann der russischen Politik in Ostasien neue und größere Ziele
gewiesen.

Es würde zu weit führen, auch die folgenden Phasen der österreichischen
Balkanpolitik ausführlich zu verfolgen. Im Jahre 1897 verständigten sich
Petersburg und Wien über eine Politik beiderseitigen Desinteressements, und
diese dauerte bis zu der böhmischen Krisis und der neuen Politik Aehrenthals
fort. Wir wissen, daß Graf Aehrenthal selbst sich nach der Annexion gegen
jede weitere Expansionspolitik auf dem Balkan ausgesprochen hat. Ob er eine
Zeitlang dennoch eine solche lui Auge gehabt hat, läßt sich heute mit Bestimmtheit
nicht sagen. Eine derartige Expansion hätte eine zweifache Richtung nehmen
können: einmal durch den Scmdschak auf Mazedonien und Saloniki, und
zweitens auf eine Teilung oder gänzliche Einverleibung Serbiens. Die
Beziehungen zu Serbien waren noch während Goluchowskis Amtszeit sehr schlecht
geworden, und der Vertrag über Kossowo und das Vardartal hat wohl damals
aufgehört zu bestehen. Rückblickend wird man diese Änderung der österreichischen
Politik gegen Serbien im Interesse der Donaumonarchie vielleicht bedauern
können. Denn durch den Zollkrieg mit Österreich-Ungarn — den sogenannten
„Zchweinekrieg" —wurden die Expansionstendenzen Serbiens auch nach Westen
gelenkt, da es nunmehr eines unabhängigen Ausfuhrweges für feine Agrar-
produkte notwendig bedürfte. Durch diese Feindschaft Serbiens erhielt das
südslawische Problem der Monarchie eine sehr unerwünschte Verwickelung, und


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[0551] Die österreichische Balkanpolitik und Bismarck verfolgten, daß er aber anderseits keineswegs selbst an eine Expansionspolitik dachte, die ja nur mit Rußland geführt werden konnte. Gegenüber Andrassys Auffassung kommt Kalnokys Standpunkt in seiner Rede in den Delegationen vom 13. Dezember 1886 klar zum Ausdruck. Dort bezeichnete er genau die Grenze seines Zuwartens. „Wenn Rußland," sagte er. „z. B. beabsichtigt oder versucht hätte, einen Kommissär nach Bulgarien zu entsenden, sowie wenn es zu einer militärischen Okkupation, sei es der Küsten¬ plätze oder des Landes selbst geschritten wäre, so wärm dies Akte gewesen, welche uns unt r jeder Bedingung zu einer Stellungnahme gezwungen hätten." Kalnokn vermied jeden Schritt, der Nußland zu schärferem Vorgehen reizen konnte. Er wußte, daß Bismarck über die Grenzen der Bündnispflicht hinaus die österreichische Politik nicht unterstützen würde. Am 11. Januar 1887 sagte Bismarck, vermutlich als Antwort ans die „wilden" Reden Andrassys, im Reichstag: „Wir werden uns in dieser (der bulgarischen) Frage von niemandem das Leitseil um den Hals werfen lassen, um uns mit Rußland zu brouillieren" Der Erfolg gab Kalnokys Politik völlig Recht. Der Ausgang der bulgarischen Krisis ließ deutlich erkennen, daß Rußland von neuem von der Balkanhalbinsel abgedrängt war, und zwar zum ersten Male durch die Widerstandskraft eines der Balkanstaaten selbst. Bulgarien durfte ungestraft dem Zaren Trotz bieten; und Fürst Lobanow, der als russischer Botschafter in Wien im Jahre 1888 in einer Auseinandersetzung mit Kalnoky die bulgarische Krisis in der Hauptsache beilegte, hat dann der russischen Politik in Ostasien neue und größere Ziele gewiesen. Es würde zu weit führen, auch die folgenden Phasen der österreichischen Balkanpolitik ausführlich zu verfolgen. Im Jahre 1897 verständigten sich Petersburg und Wien über eine Politik beiderseitigen Desinteressements, und diese dauerte bis zu der böhmischen Krisis und der neuen Politik Aehrenthals fort. Wir wissen, daß Graf Aehrenthal selbst sich nach der Annexion gegen jede weitere Expansionspolitik auf dem Balkan ausgesprochen hat. Ob er eine Zeitlang dennoch eine solche lui Auge gehabt hat, läßt sich heute mit Bestimmtheit nicht sagen. Eine derartige Expansion hätte eine zweifache Richtung nehmen können: einmal durch den Scmdschak auf Mazedonien und Saloniki, und zweitens auf eine Teilung oder gänzliche Einverleibung Serbiens. Die Beziehungen zu Serbien waren noch während Goluchowskis Amtszeit sehr schlecht geworden, und der Vertrag über Kossowo und das Vardartal hat wohl damals aufgehört zu bestehen. Rückblickend wird man diese Änderung der österreichischen Politik gegen Serbien im Interesse der Donaumonarchie vielleicht bedauern können. Denn durch den Zollkrieg mit Österreich-Ungarn — den sogenannten „Zchweinekrieg" —wurden die Expansionstendenzen Serbiens auch nach Westen gelenkt, da es nunmehr eines unabhängigen Ausfuhrweges für feine Agrar- produkte notwendig bedürfte. Durch diese Feindschaft Serbiens erhielt das südslawische Problem der Monarchie eine sehr unerwünschte Verwickelung, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/551>, abgerufen am 04.01.2025.