Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die österreichische Balkcinxolitik

1881 einen Geheimocrtrag mit Serbien schloß, in dem es die serbischen
Ansprüche auf das Vilajet Kossovo und das Vardartal anerkannte und
sich ferner anheischig machte, auf der nächsten europäischen Konferenz, die
über die Geschicke der Balkangebiete entscheiden würde, für sie einzutreten. Der
serbische Minister des Auswärtigen, der diesen Vertrag abschloß, Chedo
Mijatovich, hat das in: Daily Telegraph vom 2. November 1912 mitgeteilt.
Er erzählt weiter, er habe auch Saloniki für Serbien gefordert, sei aber
abgewiesen worden, da dieser Hafen nach österreichischer Auffassung Griechen¬
land zufallen müsse. Dieses österreich-serbische Abkommen wurde auf sieben
Jahre geschlossen, ist senden zweimal erneuert worden und war um 1902
noch in Kraft.

Das also waren die Grundzüge der österreichischen Balkanpolitik, als
Andrassy seine Angriffe gegen Kalnoky richtete. Damals hatte die bulgarische
Krisis den alten Gegensatz in der Balkanpolitik Österreichs und Rußlands von
neuem geschürt. Kalnoky verfolgte im Einvernehmen mit Bismarck eine Politik,
die Andrassy zu vorsichtig, zu behutsam und nachgiebig gegen Nußland erschien.
Andrassys gegenteilige Auffassung geht aus einer Denkschrift hervor, die er im
Herbst 1886 dem Kaiser einreichte, und aus den Reden, die er 1886 und 1887
in den Delegationen hielt. Er hielt es für einen Fehler der Politik Kalnokys, daß
er sich durch einen Vertrag mit Rußland gebunden und dadurch auf die Freiheit
eigenen Handelns verzichtet hatte; worauf Kalnoky erwidern konnte, daß auch
Andrassy sich sowohl im Jahre 1871 als zu Reichstadt im Jahre 1876 durch
Verträge mit Nußland gebunden hatte. Dann setzte Andrassy aus, daß Kalnoky
die Sache Bulgariens nicht kräftiger unterstützte und nicht die Initiative zur
Anerkennung des neu gewählten Fürsten Ferdinand durch die Mächte ergriff.
Aber weder aus der Denkschrift noch aus den Reden Andrafsys geht hervor,
daß er selbst in dieser Zeit an eine aktive Expansionspolitik gedacht hatte. Auch
was Wertheimer über Andrassys spätere Auffassung der Orientpolitik beiträgt,
enthält nichts, was über die Ziele wirtschaftlichen und politischen Einflusses auf
die westlichen Balkcmlünder hinausgeht. Im letzten Herbst hat sich sodann
Andrassys Sohn, der frühere ungarische Premierminister Graf Julius Andrassy,
in der Neuen Freien Presse (26. Oktober 1913) zu der Frage geäußert. Er
betont, daß Österreich - Ungarn sich nie mit der russischen Expansion im Orient
aussöhnen könne. Der russischen öffentlichen Meinung müßte stets klar zum
Bewußtsein gebracht werden, daß das Kokettieren mit dem Panslawismus früher
oder später zu einem gefährlichen Kriege führen müsse. Dann heißt es weiter:
"Diese Politik wünschte mein Vater seit dem Abschluß des Berliner Vertrages
stets zu befolgen, seit das Bündnis mit Deutschland die Stelle des Dreikaiser¬
bündnisses einnahm. Er bekämpfte es stets, daß man von neuem auf das
Bündnis der drei Kaiser zurückgreife, und daß wir von neuem mit Rußland
zusammen orientalische Politik treiben." Hieraus geht ganz deutlich hervor, daß
Andrassy einerseits gegenüber Rußland eine andere Politik wünschte, als Kalnoky


Die österreichische Balkcinxolitik

1881 einen Geheimocrtrag mit Serbien schloß, in dem es die serbischen
Ansprüche auf das Vilajet Kossovo und das Vardartal anerkannte und
sich ferner anheischig machte, auf der nächsten europäischen Konferenz, die
über die Geschicke der Balkangebiete entscheiden würde, für sie einzutreten. Der
serbische Minister des Auswärtigen, der diesen Vertrag abschloß, Chedo
Mijatovich, hat das in: Daily Telegraph vom 2. November 1912 mitgeteilt.
Er erzählt weiter, er habe auch Saloniki für Serbien gefordert, sei aber
abgewiesen worden, da dieser Hafen nach österreichischer Auffassung Griechen¬
land zufallen müsse. Dieses österreich-serbische Abkommen wurde auf sieben
Jahre geschlossen, ist senden zweimal erneuert worden und war um 1902
noch in Kraft.

Das also waren die Grundzüge der österreichischen Balkanpolitik, als
Andrassy seine Angriffe gegen Kalnoky richtete. Damals hatte die bulgarische
Krisis den alten Gegensatz in der Balkanpolitik Österreichs und Rußlands von
neuem geschürt. Kalnoky verfolgte im Einvernehmen mit Bismarck eine Politik,
die Andrassy zu vorsichtig, zu behutsam und nachgiebig gegen Nußland erschien.
Andrassys gegenteilige Auffassung geht aus einer Denkschrift hervor, die er im
Herbst 1886 dem Kaiser einreichte, und aus den Reden, die er 1886 und 1887
in den Delegationen hielt. Er hielt es für einen Fehler der Politik Kalnokys, daß
er sich durch einen Vertrag mit Rußland gebunden und dadurch auf die Freiheit
eigenen Handelns verzichtet hatte; worauf Kalnoky erwidern konnte, daß auch
Andrassy sich sowohl im Jahre 1871 als zu Reichstadt im Jahre 1876 durch
Verträge mit Nußland gebunden hatte. Dann setzte Andrassy aus, daß Kalnoky
die Sache Bulgariens nicht kräftiger unterstützte und nicht die Initiative zur
Anerkennung des neu gewählten Fürsten Ferdinand durch die Mächte ergriff.
Aber weder aus der Denkschrift noch aus den Reden Andrafsys geht hervor,
daß er selbst in dieser Zeit an eine aktive Expansionspolitik gedacht hatte. Auch
was Wertheimer über Andrassys spätere Auffassung der Orientpolitik beiträgt,
enthält nichts, was über die Ziele wirtschaftlichen und politischen Einflusses auf
die westlichen Balkcmlünder hinausgeht. Im letzten Herbst hat sich sodann
Andrassys Sohn, der frühere ungarische Premierminister Graf Julius Andrassy,
in der Neuen Freien Presse (26. Oktober 1913) zu der Frage geäußert. Er
betont, daß Österreich - Ungarn sich nie mit der russischen Expansion im Orient
aussöhnen könne. Der russischen öffentlichen Meinung müßte stets klar zum
Bewußtsein gebracht werden, daß das Kokettieren mit dem Panslawismus früher
oder später zu einem gefährlichen Kriege führen müsse. Dann heißt es weiter:
„Diese Politik wünschte mein Vater seit dem Abschluß des Berliner Vertrages
stets zu befolgen, seit das Bündnis mit Deutschland die Stelle des Dreikaiser¬
bündnisses einnahm. Er bekämpfte es stets, daß man von neuem auf das
Bündnis der drei Kaiser zurückgreife, und daß wir von neuem mit Rußland
zusammen orientalische Politik treiben." Hieraus geht ganz deutlich hervor, daß
Andrassy einerseits gegenüber Rußland eine andere Politik wünschte, als Kalnoky


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328016"/>
          <fw type="header" place="top"> Die österreichische Balkcinxolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2552" prev="#ID_2551"> 1881 einen Geheimocrtrag mit Serbien schloß, in dem es die serbischen<lb/>
Ansprüche auf das Vilajet Kossovo und das Vardartal anerkannte und<lb/>
sich ferner anheischig machte, auf der nächsten europäischen Konferenz, die<lb/>
über die Geschicke der Balkangebiete entscheiden würde, für sie einzutreten. Der<lb/>
serbische Minister des Auswärtigen, der diesen Vertrag abschloß, Chedo<lb/>
Mijatovich, hat das in: Daily Telegraph vom 2. November 1912 mitgeteilt.<lb/>
Er erzählt weiter, er habe auch Saloniki für Serbien gefordert, sei aber<lb/>
abgewiesen worden, da dieser Hafen nach österreichischer Auffassung Griechen¬<lb/>
land zufallen müsse. Dieses österreich-serbische Abkommen wurde auf sieben<lb/>
Jahre geschlossen, ist senden zweimal erneuert worden und war um 1902<lb/>
noch in Kraft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2553" next="#ID_2554"> Das also waren die Grundzüge der österreichischen Balkanpolitik, als<lb/>
Andrassy seine Angriffe gegen Kalnoky richtete. Damals hatte die bulgarische<lb/>
Krisis den alten Gegensatz in der Balkanpolitik Österreichs und Rußlands von<lb/>
neuem geschürt. Kalnoky verfolgte im Einvernehmen mit Bismarck eine Politik,<lb/>
die Andrassy zu vorsichtig, zu behutsam und nachgiebig gegen Nußland erschien.<lb/>
Andrassys gegenteilige Auffassung geht aus einer Denkschrift hervor, die er im<lb/>
Herbst 1886 dem Kaiser einreichte, und aus den Reden, die er 1886 und 1887<lb/>
in den Delegationen hielt. Er hielt es für einen Fehler der Politik Kalnokys, daß<lb/>
er sich durch einen Vertrag mit Rußland gebunden und dadurch auf die Freiheit<lb/>
eigenen Handelns verzichtet hatte; worauf Kalnoky erwidern konnte, daß auch<lb/>
Andrassy sich sowohl im Jahre 1871 als zu Reichstadt im Jahre 1876 durch<lb/>
Verträge mit Nußland gebunden hatte. Dann setzte Andrassy aus, daß Kalnoky<lb/>
die Sache Bulgariens nicht kräftiger unterstützte und nicht die Initiative zur<lb/>
Anerkennung des neu gewählten Fürsten Ferdinand durch die Mächte ergriff.<lb/>
Aber weder aus der Denkschrift noch aus den Reden Andrafsys geht hervor,<lb/>
daß er selbst in dieser Zeit an eine aktive Expansionspolitik gedacht hatte. Auch<lb/>
was Wertheimer über Andrassys spätere Auffassung der Orientpolitik beiträgt,<lb/>
enthält nichts, was über die Ziele wirtschaftlichen und politischen Einflusses auf<lb/>
die westlichen Balkcmlünder hinausgeht. Im letzten Herbst hat sich sodann<lb/>
Andrassys Sohn, der frühere ungarische Premierminister Graf Julius Andrassy,<lb/>
in der Neuen Freien Presse (26. Oktober 1913) zu der Frage geäußert. Er<lb/>
betont, daß Österreich - Ungarn sich nie mit der russischen Expansion im Orient<lb/>
aussöhnen könne. Der russischen öffentlichen Meinung müßte stets klar zum<lb/>
Bewußtsein gebracht werden, daß das Kokettieren mit dem Panslawismus früher<lb/>
oder später zu einem gefährlichen Kriege führen müsse. Dann heißt es weiter:<lb/>
&#x201E;Diese Politik wünschte mein Vater seit dem Abschluß des Berliner Vertrages<lb/>
stets zu befolgen, seit das Bündnis mit Deutschland die Stelle des Dreikaiser¬<lb/>
bündnisses einnahm. Er bekämpfte es stets, daß man von neuem auf das<lb/>
Bündnis der drei Kaiser zurückgreife, und daß wir von neuem mit Rußland<lb/>
zusammen orientalische Politik treiben." Hieraus geht ganz deutlich hervor, daß<lb/>
Andrassy einerseits gegenüber Rußland eine andere Politik wünschte, als Kalnoky</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0550] Die österreichische Balkcinxolitik 1881 einen Geheimocrtrag mit Serbien schloß, in dem es die serbischen Ansprüche auf das Vilajet Kossovo und das Vardartal anerkannte und sich ferner anheischig machte, auf der nächsten europäischen Konferenz, die über die Geschicke der Balkangebiete entscheiden würde, für sie einzutreten. Der serbische Minister des Auswärtigen, der diesen Vertrag abschloß, Chedo Mijatovich, hat das in: Daily Telegraph vom 2. November 1912 mitgeteilt. Er erzählt weiter, er habe auch Saloniki für Serbien gefordert, sei aber abgewiesen worden, da dieser Hafen nach österreichischer Auffassung Griechen¬ land zufallen müsse. Dieses österreich-serbische Abkommen wurde auf sieben Jahre geschlossen, ist senden zweimal erneuert worden und war um 1902 noch in Kraft. Das also waren die Grundzüge der österreichischen Balkanpolitik, als Andrassy seine Angriffe gegen Kalnoky richtete. Damals hatte die bulgarische Krisis den alten Gegensatz in der Balkanpolitik Österreichs und Rußlands von neuem geschürt. Kalnoky verfolgte im Einvernehmen mit Bismarck eine Politik, die Andrassy zu vorsichtig, zu behutsam und nachgiebig gegen Nußland erschien. Andrassys gegenteilige Auffassung geht aus einer Denkschrift hervor, die er im Herbst 1886 dem Kaiser einreichte, und aus den Reden, die er 1886 und 1887 in den Delegationen hielt. Er hielt es für einen Fehler der Politik Kalnokys, daß er sich durch einen Vertrag mit Rußland gebunden und dadurch auf die Freiheit eigenen Handelns verzichtet hatte; worauf Kalnoky erwidern konnte, daß auch Andrassy sich sowohl im Jahre 1871 als zu Reichstadt im Jahre 1876 durch Verträge mit Nußland gebunden hatte. Dann setzte Andrassy aus, daß Kalnoky die Sache Bulgariens nicht kräftiger unterstützte und nicht die Initiative zur Anerkennung des neu gewählten Fürsten Ferdinand durch die Mächte ergriff. Aber weder aus der Denkschrift noch aus den Reden Andrafsys geht hervor, daß er selbst in dieser Zeit an eine aktive Expansionspolitik gedacht hatte. Auch was Wertheimer über Andrassys spätere Auffassung der Orientpolitik beiträgt, enthält nichts, was über die Ziele wirtschaftlichen und politischen Einflusses auf die westlichen Balkcmlünder hinausgeht. Im letzten Herbst hat sich sodann Andrassys Sohn, der frühere ungarische Premierminister Graf Julius Andrassy, in der Neuen Freien Presse (26. Oktober 1913) zu der Frage geäußert. Er betont, daß Österreich - Ungarn sich nie mit der russischen Expansion im Orient aussöhnen könne. Der russischen öffentlichen Meinung müßte stets klar zum Bewußtsein gebracht werden, daß das Kokettieren mit dem Panslawismus früher oder später zu einem gefährlichen Kriege führen müsse. Dann heißt es weiter: „Diese Politik wünschte mein Vater seit dem Abschluß des Berliner Vertrages stets zu befolgen, seit das Bündnis mit Deutschland die Stelle des Dreikaiser¬ bündnisses einnahm. Er bekämpfte es stets, daß man von neuem auf das Bündnis der drei Kaiser zurückgreife, und daß wir von neuem mit Rußland zusammen orientalische Politik treiben." Hieraus geht ganz deutlich hervor, daß Andrassy einerseits gegenüber Rußland eine andere Politik wünschte, als Kalnoky

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/550
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/550>, abgerufen am 04.01.2025.