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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die österreichische Balkanpolitik

gönnen, und Deutschland trat 1884 als dritte Macht hinzu. Danach hätte
also Deutschland, das ja bereits mit Österreich-Ungarn seit 1879 in einem
Bundesverhältnis stand, 1884 nur ein Separatabkommen mit Rußland ge¬
schlossen. Das Dretkaiserbündnis hätte also aus zwei Verträgen, einem öster¬
reichisch-russischen und einem deutsch-russischen, bestanden. Diese Mutmaßung
wird um so wahrscheinlicher, als auch das Dreikaiserbündnis von 1871 aus
einem deutsch-russischen und einem russisch - österreichischen Sonderabkommen
bestanden hat. Bei der Entrevue der drei Kaiser in Berlin, im Sommer 1871,
berieten ihre Minister stets nur zu zweien, nie zu dritt; und im folgenden
Jahre wurde im April in Petersburg das deutsch-russische Abkommen,'
im Mai in Wien das russisch - österreichische Abkommen abgeschlossen"').
Das Dreikaiserbündnis von 1884 erlosch nach drei Jahren, da der
russisch-österreichische Vertrag nach seinem Ablauf im Jahre 1887 nicht
erneuert wurde, während Bismarck im selben Jahre mit Nußland den berühmten
Rückoersichcrungsvertrag schloß, der bis 1890 in Kraft gewesen ist.

Daß der russisch-österreichische Vertrag 1887 nicht wieder erneuert
wurde, lag nach Bismarck u. a. an ein paar "wilden" Reden, die
Andrassy zuvor gehalten hatte und die in Rußland eine starke Beunruhigung
hervorgerufen hatten"*). Andrassy stellte sich zu dieser Zeit in Gegensatz zu der
Balkanpolitik Kalnokys. Haymerle und Kalnoky hatten, wie wir gesehen haben,
1881 in dem Abkommen mit Nußland für Österreich-Ungarn nur die Ver¬
wandlung der Okkupation Bosniens in eine Annexion ausbedungen. Ebenfalls
im Jahre 1881 ließ die italienische Regierung das Wiener Ministerium? des
Auswärtigen wegen eines Bündnisses, und als Voraussetzung dazu, über seine
Orientpolitik Sortieren. Haymerle erklärte ausdrücklich, die Negierung halte an
dem 8tatu8 amo des Berliner Vertrages fest, beabsichtige durchaus keine Er¬
oberungspolitik im Orient und denke in keiner Weise daran, in der Richtung
von Saloniki und Albanien vorzugehen. Sie sei bereit, alle notwendigen Er¬
klärungen in hurtiger Form abzugeben und den festen Entschluß zu betonen,
genau im Rahmen der ihm durch den Berliner Vertrag festgesetzten Grenzen
zu handeln und sich von jeder politischen Annäherung fernzuhalten***). Italien
trat darauf dem deutsch' österreichischen Bündnis bei, und bei der ersten Er¬
neuerung des Dreibundes im Jahre 1887 übernahm Österreich die förmliche
Verpflichtung, in Mazedonien keine Okkupationspolitik ohne Italien zu ver¬
folgen f). Wie weit Österreich - Ungarn tatsächlich von allen Okkupationsplänen
in Mazedonien entfernt war. geht daraus hervor, daß es ebenfalls in, Jahre






*) Wertheimer, Andrassy II 72, 85, 89.
**) Hermcin Hofmann, Fürst Bismarck l 112,
"**') Crispi. Memoiren (deutsche Ausgabe) 123.
f) Bgl. den Aufsatz "Der Inhalt des Dreibundes" in Heft 46 der Grenzboten
von 1913.
Die österreichische Balkanpolitik

gönnen, und Deutschland trat 1884 als dritte Macht hinzu. Danach hätte
also Deutschland, das ja bereits mit Österreich-Ungarn seit 1879 in einem
Bundesverhältnis stand, 1884 nur ein Separatabkommen mit Rußland ge¬
schlossen. Das Dretkaiserbündnis hätte also aus zwei Verträgen, einem öster¬
reichisch-russischen und einem deutsch-russischen, bestanden. Diese Mutmaßung
wird um so wahrscheinlicher, als auch das Dreikaiserbündnis von 1871 aus
einem deutsch-russischen und einem russisch - österreichischen Sonderabkommen
bestanden hat. Bei der Entrevue der drei Kaiser in Berlin, im Sommer 1871,
berieten ihre Minister stets nur zu zweien, nie zu dritt; und im folgenden
Jahre wurde im April in Petersburg das deutsch-russische Abkommen,'
im Mai in Wien das russisch - österreichische Abkommen abgeschlossen"').
Das Dreikaiserbündnis von 1884 erlosch nach drei Jahren, da der
russisch-österreichische Vertrag nach seinem Ablauf im Jahre 1887 nicht
erneuert wurde, während Bismarck im selben Jahre mit Nußland den berühmten
Rückoersichcrungsvertrag schloß, der bis 1890 in Kraft gewesen ist.

Daß der russisch-österreichische Vertrag 1887 nicht wieder erneuert
wurde, lag nach Bismarck u. a. an ein paar „wilden" Reden, die
Andrassy zuvor gehalten hatte und die in Rußland eine starke Beunruhigung
hervorgerufen hatten"*). Andrassy stellte sich zu dieser Zeit in Gegensatz zu der
Balkanpolitik Kalnokys. Haymerle und Kalnoky hatten, wie wir gesehen haben,
1881 in dem Abkommen mit Nußland für Österreich-Ungarn nur die Ver¬
wandlung der Okkupation Bosniens in eine Annexion ausbedungen. Ebenfalls
im Jahre 1881 ließ die italienische Regierung das Wiener Ministerium? des
Auswärtigen wegen eines Bündnisses, und als Voraussetzung dazu, über seine
Orientpolitik Sortieren. Haymerle erklärte ausdrücklich, die Negierung halte an
dem 8tatu8 amo des Berliner Vertrages fest, beabsichtige durchaus keine Er¬
oberungspolitik im Orient und denke in keiner Weise daran, in der Richtung
von Saloniki und Albanien vorzugehen. Sie sei bereit, alle notwendigen Er¬
klärungen in hurtiger Form abzugeben und den festen Entschluß zu betonen,
genau im Rahmen der ihm durch den Berliner Vertrag festgesetzten Grenzen
zu handeln und sich von jeder politischen Annäherung fernzuhalten***). Italien
trat darauf dem deutsch' österreichischen Bündnis bei, und bei der ersten Er¬
neuerung des Dreibundes im Jahre 1887 übernahm Österreich die förmliche
Verpflichtung, in Mazedonien keine Okkupationspolitik ohne Italien zu ver¬
folgen f). Wie weit Österreich - Ungarn tatsächlich von allen Okkupationsplänen
in Mazedonien entfernt war. geht daraus hervor, daß es ebenfalls in, Jahre






*) Wertheimer, Andrassy II 72, 85, 89.
**) Hermcin Hofmann, Fürst Bismarck l 112,
"**') Crispi. Memoiren (deutsche Ausgabe) 123.
f) Bgl. den Aufsatz „Der Inhalt des Dreibundes" in Heft 46 der Grenzboten
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[0549] Die österreichische Balkanpolitik gönnen, und Deutschland trat 1884 als dritte Macht hinzu. Danach hätte also Deutschland, das ja bereits mit Österreich-Ungarn seit 1879 in einem Bundesverhältnis stand, 1884 nur ein Separatabkommen mit Rußland ge¬ schlossen. Das Dretkaiserbündnis hätte also aus zwei Verträgen, einem öster¬ reichisch-russischen und einem deutsch-russischen, bestanden. Diese Mutmaßung wird um so wahrscheinlicher, als auch das Dreikaiserbündnis von 1871 aus einem deutsch-russischen und einem russisch - österreichischen Sonderabkommen bestanden hat. Bei der Entrevue der drei Kaiser in Berlin, im Sommer 1871, berieten ihre Minister stets nur zu zweien, nie zu dritt; und im folgenden Jahre wurde im April in Petersburg das deutsch-russische Abkommen,' im Mai in Wien das russisch - österreichische Abkommen abgeschlossen"'). Das Dreikaiserbündnis von 1884 erlosch nach drei Jahren, da der russisch-österreichische Vertrag nach seinem Ablauf im Jahre 1887 nicht erneuert wurde, während Bismarck im selben Jahre mit Nußland den berühmten Rückoersichcrungsvertrag schloß, der bis 1890 in Kraft gewesen ist. Daß der russisch-österreichische Vertrag 1887 nicht wieder erneuert wurde, lag nach Bismarck u. a. an ein paar „wilden" Reden, die Andrassy zuvor gehalten hatte und die in Rußland eine starke Beunruhigung hervorgerufen hatten"*). Andrassy stellte sich zu dieser Zeit in Gegensatz zu der Balkanpolitik Kalnokys. Haymerle und Kalnoky hatten, wie wir gesehen haben, 1881 in dem Abkommen mit Nußland für Österreich-Ungarn nur die Ver¬ wandlung der Okkupation Bosniens in eine Annexion ausbedungen. Ebenfalls im Jahre 1881 ließ die italienische Regierung das Wiener Ministerium? des Auswärtigen wegen eines Bündnisses, und als Voraussetzung dazu, über seine Orientpolitik Sortieren. Haymerle erklärte ausdrücklich, die Negierung halte an dem 8tatu8 amo des Berliner Vertrages fest, beabsichtige durchaus keine Er¬ oberungspolitik im Orient und denke in keiner Weise daran, in der Richtung von Saloniki und Albanien vorzugehen. Sie sei bereit, alle notwendigen Er¬ klärungen in hurtiger Form abzugeben und den festen Entschluß zu betonen, genau im Rahmen der ihm durch den Berliner Vertrag festgesetzten Grenzen zu handeln und sich von jeder politischen Annäherung fernzuhalten***). Italien trat darauf dem deutsch' österreichischen Bündnis bei, und bei der ersten Er¬ neuerung des Dreibundes im Jahre 1887 übernahm Österreich die förmliche Verpflichtung, in Mazedonien keine Okkupationspolitik ohne Italien zu ver¬ folgen f). Wie weit Österreich - Ungarn tatsächlich von allen Okkupationsplänen in Mazedonien entfernt war. geht daraus hervor, daß es ebenfalls in, Jahre *) Wertheimer, Andrassy II 72, 85, 89. **) Hermcin Hofmann, Fürst Bismarck l 112, "**') Crispi. Memoiren (deutsche Ausgabe) 123. f) Bgl. den Aufsatz „Der Inhalt des Dreibundes" in Heft 46 der Grenzboten von 1913.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/549>, abgerufen am 04.01.2025.