Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Die Wende des Naturalismus richtete, erkannt ist, daß im Theater das Streben nach Einheitlichkeit im Spiel Nicht auf diesem Gebiete soll man künftig die Ursache sür die Theater- Und die in Deutschland? Sie überschätzten gerade an Ibsens Werk immer Die französische Techniki Bei uns, die wir der verkalkten französischen Gilt uns der Einwand noch? Weil unser Leben momentan nicht von dem Die Wende des Naturalismus richtete, erkannt ist, daß im Theater das Streben nach Einheitlichkeit im Spiel Nicht auf diesem Gebiete soll man künftig die Ursache sür die Theater- Und die in Deutschland? Sie überschätzten gerade an Ibsens Werk immer Die französische Techniki Bei uns, die wir der verkalkten französischen Gilt uns der Einwand noch? Weil unser Leben momentan nicht von dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0531" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327997"/> <fw type="header" place="top"> Die Wende des Naturalismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_2494" prev="#ID_2493"> richtete, erkannt ist, daß im Theater das Streben nach Einheitlichkeit im Spiel<lb/> wieder erwacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2495"> Nicht auf diesem Gebiete soll man künftig die Ursache sür die Theater-<lb/> Müdigkeit des Publikums suchen. Ernstere Klage als gegen das Theater ist<lb/> gegen die Technik des Dramas zu führen, wie der Naturalismus sie brachte.<lb/> Die wächst auf deutschem Boden anders, als unter den Händen des großen<lb/> Norwegers. Ibsen stand in seinen frühen Jahren seines Schaffens dem Kampf<lb/> gegen das französische Drama und die Bühnenkunst der Franzosen serner als<lb/> die Deutschen, lernte in den entscheidenden Jahren seiner Entwicklung die<lb/> Perspektive, das Verlangen und Wirken der Bühne aus kürzerer Entfernung<lb/> kennen, und war — gestehen wir es — als Dramatiker im engsten Wortsinne<lb/> der Stärkere, der Mann der härteren Faust, des geschlosseneren Willens, durch<lb/> menschliches Geschehen zu wirken. Wie seine Menschen ein unabänderlicher<lb/> Mechanismus lenkt, so werden seine Dramen modernen, gewaltigen Präzisions¬<lb/> maschinen gleich: kein Ornament in diesen Gefügen, Gestalt und nackte Zweck¬<lb/> mäßigkeit ist alles; kein verweilender, aufhaltender, auf Nebenpfade führender<lb/> Dialog; knapp die Milieuschilderung wie eine militärische Weisung. Die Episode,<lb/> lyrisches Rasten ist nichts, Geschehen, äußeres und inneres, alles. Vergeblich<lb/> sucht man in den Gesellschaftsstützen nach nur einem Wort, das nicht die Massen<lb/> des Geschehens unaufhaltsam vorwärts schiebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2496"> Und die in Deutschland? Sie überschätzten gerade an Ibsens Werk immer<lb/> das vergängliche Problem, rühmen die scheinbare Innerlichkeit seiner dramatischen<lb/> Entwicklungen und gehen achzelzuckend oder gar verächtlich an der unvergänglichen<lb/> Dramenkunst vorbei. Und gerade bei der Erstaufführung der „Gesellschaftsstützen"<lb/> in Berlin bemerkt Brahm tadelnd: „Auch dieses Wer! hängt noch von der über¬<lb/> lieferten dramatischen, das heißt französischen Technik ab."</p><lb/> <p xml:id="ID_2497"> Die französische Techniki Bei uns, die wir der verkalkten französischen<lb/> Komödie mit ihren beschränkten Stoffen, ihren gesuchten konstruierten Problemen<lb/> räumlich näher waren, mußte die Revolution erbittern und mußte, wie jede,<lb/> abermals zur Verwirrung von Grundbegriffen fuhren, zum Zweifel, ob die<lb/> Kunstform des Dramas überhaupt die Notwendigkeit der Handlung in sich berge,<lb/> oder ob wir die Mittel der Bühne, die anspruchsvollsten, kostbarsten, die irgend¬<lb/> eine Kunst verlangt, in Bewegung setzen dürfen, nur um geistreichen Dialogen,<lb/> reiner Lyrik ein prunkvolleres Gewand umzuhängen. Noch bei der heißum¬<lb/> strittenen Uraufführung der „Gespenster" rühmt Brahm die straffe Handlung,<lb/> wenige Jahre darauf ist ihm das Verlangen danach „eine Forderung der heiligen<lb/> Konvention", die das Leben unserer Tage gar nicht erfüllen könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_2498" next="#ID_2499"> Gilt uns der Einwand noch? Weil unser Leben momentan nicht von dem<lb/> Blut Shakespearescher Gewalttaten dampft, ist es arm an Tat und Widerstand,<lb/> setzt es dem, der kühn sein Spiel aufnimmt, nicht den Gegenspieler entgegen?<lb/> Läuft unser Dasein wirklich in beschaulicher Breite dahin? Oder ist es voller<lb/> erbitterter Kämpfe, die am Ende mehr Leben täglich dahinraffen, als des Briten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0531]
Die Wende des Naturalismus
richtete, erkannt ist, daß im Theater das Streben nach Einheitlichkeit im Spiel
wieder erwacht.
Nicht auf diesem Gebiete soll man künftig die Ursache sür die Theater-
Müdigkeit des Publikums suchen. Ernstere Klage als gegen das Theater ist
gegen die Technik des Dramas zu führen, wie der Naturalismus sie brachte.
Die wächst auf deutschem Boden anders, als unter den Händen des großen
Norwegers. Ibsen stand in seinen frühen Jahren seines Schaffens dem Kampf
gegen das französische Drama und die Bühnenkunst der Franzosen serner als
die Deutschen, lernte in den entscheidenden Jahren seiner Entwicklung die
Perspektive, das Verlangen und Wirken der Bühne aus kürzerer Entfernung
kennen, und war — gestehen wir es — als Dramatiker im engsten Wortsinne
der Stärkere, der Mann der härteren Faust, des geschlosseneren Willens, durch
menschliches Geschehen zu wirken. Wie seine Menschen ein unabänderlicher
Mechanismus lenkt, so werden seine Dramen modernen, gewaltigen Präzisions¬
maschinen gleich: kein Ornament in diesen Gefügen, Gestalt und nackte Zweck¬
mäßigkeit ist alles; kein verweilender, aufhaltender, auf Nebenpfade führender
Dialog; knapp die Milieuschilderung wie eine militärische Weisung. Die Episode,
lyrisches Rasten ist nichts, Geschehen, äußeres und inneres, alles. Vergeblich
sucht man in den Gesellschaftsstützen nach nur einem Wort, das nicht die Massen
des Geschehens unaufhaltsam vorwärts schiebt.
Und die in Deutschland? Sie überschätzten gerade an Ibsens Werk immer
das vergängliche Problem, rühmen die scheinbare Innerlichkeit seiner dramatischen
Entwicklungen und gehen achzelzuckend oder gar verächtlich an der unvergänglichen
Dramenkunst vorbei. Und gerade bei der Erstaufführung der „Gesellschaftsstützen"
in Berlin bemerkt Brahm tadelnd: „Auch dieses Wer! hängt noch von der über¬
lieferten dramatischen, das heißt französischen Technik ab."
Die französische Techniki Bei uns, die wir der verkalkten französischen
Komödie mit ihren beschränkten Stoffen, ihren gesuchten konstruierten Problemen
räumlich näher waren, mußte die Revolution erbittern und mußte, wie jede,
abermals zur Verwirrung von Grundbegriffen fuhren, zum Zweifel, ob die
Kunstform des Dramas überhaupt die Notwendigkeit der Handlung in sich berge,
oder ob wir die Mittel der Bühne, die anspruchsvollsten, kostbarsten, die irgend¬
eine Kunst verlangt, in Bewegung setzen dürfen, nur um geistreichen Dialogen,
reiner Lyrik ein prunkvolleres Gewand umzuhängen. Noch bei der heißum¬
strittenen Uraufführung der „Gespenster" rühmt Brahm die straffe Handlung,
wenige Jahre darauf ist ihm das Verlangen danach „eine Forderung der heiligen
Konvention", die das Leben unserer Tage gar nicht erfüllen könne.
Gilt uns der Einwand noch? Weil unser Leben momentan nicht von dem
Blut Shakespearescher Gewalttaten dampft, ist es arm an Tat und Widerstand,
setzt es dem, der kühn sein Spiel aufnimmt, nicht den Gegenspieler entgegen?
Läuft unser Dasein wirklich in beschaulicher Breite dahin? Oder ist es voller
erbitterter Kämpfe, die am Ende mehr Leben täglich dahinraffen, als des Briten
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