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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

metzarbeit die Kapitale bedeckte. Hier Rosen und Lilien, Engel und heilige
Geräte, dort ein Teufelsfrätzchen, das höhnisch grinste.

"Wir sollen lernen, daß der Böse immer noch regiert und nur durch
Fasten und Beten ausgetrieben werden kannt" sagte der Mönch und Heilwig
neigte zustimmend das Haupt.

Dann, als sie gerade wieder ins Freie trat, kam der Bote angesprengt
mit einem Zettel an den Abt. Der wurde ihm rasch abgenommen und dann
mußte er erzählen. Aber es war ein wortkarger Friese, dem man alles ab¬
fragen mußte. Den rechten Arm trug er in der Binde und am Kopf hatte
er eine Wunde, aus der Blut floß. Aber er wies knurrend die angebotene
Hilfe der Mönche zurück und sagte, es wäre nicht der Mühe wert. Erst als
der Staatsrat erschien und ihn auf friesisch anredete, bequemte er sich zu sagen,
daß die Franzen aus Mayen gejagt wären. In einem Ort, wo zwei Burgen
wären, hätten sie Rast machen wollen, aber der Herzog Hans Adolf war hinter
ihnen hergewesen und würde sie wohl wieder der Mosel zutreiben. Und alles
andere stünde ja auf dem Zettel, den Junker Sehestedt geschrieben habe.

Der Abt war schon da und zeigte den Brief, dessen Inhalt kurz genug
lautete. Aber er sagte dasselbe, was der Bote schon meldete und bat nur, ob
vielleicht der Herr Oheim und seine Jungfrau Tochter sich einmal die ein¬
genommene Stadt betrachten wollten.

Heilwig empfand ein Gefühl der Dankbarkeit gegen den Vetter, und der
Staatsrat lächelte kühl.

"Ein wunderlicher Gedanke, sich Graus und Zerstörung ansehen zu sollen.
Dies gibt mir stets ein unangenehmes Gefühl, und ich werde diese Jnvitation
ablehnen."

"Ich aber nicht!" rief Heilwig, denn es überkam sie eine Ahnung, daß
etwas von ihr gewünscht würde.

Ihr Vater warf ihr einen erstaunten Blick zu, er war es nicht gewohnt,
daß seine Tochter einen eigenen Willen hatte, aber dann hob er die Schultern.

"So wollen wir also morgen hinreiten I"

"Heute Abend!" wollte die Tochter bitten, aber davon konnte keine Rede
sein. Nach dem Boten kamen mehrere Verwundete in einem Bauernwagen
und dazu Reiter aus dem Lager zu Andernach. Die Nachricht von der Ver¬
treibung der Franzosen war schnell gegangen und die Verfolger mußten eine
Nachhut haben. Um das Kloster wurde es lebendig, die Weiber des Lagers
verbanden und pflegten die Verwundeten, und Heilwig mußte einem hol¬
steinischen Junker beistehen, dem der linke Arm zerschossen war und den der
Feldscher absägte.

Es war grauslich, und sie vergaß ihre eigenen Sorgen über das toten¬
blasse Gesicht des Ahlefeldt, der sich die Lippen blutig biß, um nicht zu
schreien. Bis eine barmherzige Ohnmacht ihn eine Zeitlang von den Schmerzen
befreite.


Die Hexe von Mayen

metzarbeit die Kapitale bedeckte. Hier Rosen und Lilien, Engel und heilige
Geräte, dort ein Teufelsfrätzchen, das höhnisch grinste.

„Wir sollen lernen, daß der Böse immer noch regiert und nur durch
Fasten und Beten ausgetrieben werden kannt" sagte der Mönch und Heilwig
neigte zustimmend das Haupt.

Dann, als sie gerade wieder ins Freie trat, kam der Bote angesprengt
mit einem Zettel an den Abt. Der wurde ihm rasch abgenommen und dann
mußte er erzählen. Aber es war ein wortkarger Friese, dem man alles ab¬
fragen mußte. Den rechten Arm trug er in der Binde und am Kopf hatte
er eine Wunde, aus der Blut floß. Aber er wies knurrend die angebotene
Hilfe der Mönche zurück und sagte, es wäre nicht der Mühe wert. Erst als
der Staatsrat erschien und ihn auf friesisch anredete, bequemte er sich zu sagen,
daß die Franzen aus Mayen gejagt wären. In einem Ort, wo zwei Burgen
wären, hätten sie Rast machen wollen, aber der Herzog Hans Adolf war hinter
ihnen hergewesen und würde sie wohl wieder der Mosel zutreiben. Und alles
andere stünde ja auf dem Zettel, den Junker Sehestedt geschrieben habe.

Der Abt war schon da und zeigte den Brief, dessen Inhalt kurz genug
lautete. Aber er sagte dasselbe, was der Bote schon meldete und bat nur, ob
vielleicht der Herr Oheim und seine Jungfrau Tochter sich einmal die ein¬
genommene Stadt betrachten wollten.

Heilwig empfand ein Gefühl der Dankbarkeit gegen den Vetter, und der
Staatsrat lächelte kühl.

„Ein wunderlicher Gedanke, sich Graus und Zerstörung ansehen zu sollen.
Dies gibt mir stets ein unangenehmes Gefühl, und ich werde diese Jnvitation
ablehnen."

„Ich aber nicht!" rief Heilwig, denn es überkam sie eine Ahnung, daß
etwas von ihr gewünscht würde.

Ihr Vater warf ihr einen erstaunten Blick zu, er war es nicht gewohnt,
daß seine Tochter einen eigenen Willen hatte, aber dann hob er die Schultern.

„So wollen wir also morgen hinreiten I"

„Heute Abend!" wollte die Tochter bitten, aber davon konnte keine Rede
sein. Nach dem Boten kamen mehrere Verwundete in einem Bauernwagen
und dazu Reiter aus dem Lager zu Andernach. Die Nachricht von der Ver¬
treibung der Franzosen war schnell gegangen und die Verfolger mußten eine
Nachhut haben. Um das Kloster wurde es lebendig, die Weiber des Lagers
verbanden und pflegten die Verwundeten, und Heilwig mußte einem hol¬
steinischen Junker beistehen, dem der linke Arm zerschossen war und den der
Feldscher absägte.

Es war grauslich, und sie vergaß ihre eigenen Sorgen über das toten¬
blasse Gesicht des Ahlefeldt, der sich die Lippen blutig biß, um nicht zu
schreien. Bis eine barmherzige Ohnmacht ihn eine Zeitlang von den Schmerzen
befreite.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/524>, abgerufen am 01.01.2025.