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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Es ist nicht seinetwegen, daß ich bangeI" Heilweig sah ihren Vater
flehend an. "Er hat mir das Leben gerettet und soll nun irgendwo im Kerker
schmachten. Wenn die Reiter ihn nur finden!"

Der Staatsrat verstand sie nicht gleich, dann lächelte er begütigend, als
wäre seine Tochter noch ein Kind.

"Wir werden den kleinen Junker, der dir so brav beistand, schon finden.
Darum darfst du keine Sorge haben, und ich werde mich alsdann dankbar
bezeigen, wie es sich gebührt. Im Lager war übrigens heut Nacht ein arger
Lärm und mich wundert, daß du ihn verschliefest. Die Frau, die gestern ein¬
gebracht wurde und heute hängen sollte, ist plötzlich verschwunden, obgleich sie
gut bewacht wurde. Sie muß Helfershelfer gehabt haben und man denkt, daß
das nächste Dorf diese beherbergt. Es ist Niedermendig, und es sind viele
Steinbrüche dort. In ihnen kann sie verschwunden sein und es ist töricht, lange
nach ihr zu suchen. Das ist meine Ansicht und ich hab' sie dem Herzog unter¬
breitet, der allerdings kaum darauf hörte. Wenn es ein Gefecht gibt, dann ist
er nicht zu halten. Und die Kugeln schwirren an ihm vorüber!"

Es war ein banger Tag. Auf den grünen Kuppen der Berge lag die
Sonne und weiße Wolken durchsegelten spielerisch die blaue Ferne. Der See
lag ganz still und man konnte denken, daß er hinausblickte in den Himmel,
dessen Farbe er trug. Im Kloster läuteten die Glocken zu den verschiedenen
Stunden, und gegen Abend kam Bruder Basilio, um Heilwig zu fragen, ob sie
nicht die Kirche von innen sehen wollte. Dies durste sie trotz ihres Geschlechts,
denn beten durften die Frauen wie die Männer, und es war auch sicher, daß
die Frauen im ganzen frommer waren als die Männer.

Bruder Basilio hielt in seiner kindlichen Art einen Vortrag darüber, während
er mit Stolz die schweren Türen des Gotteshauses öffnete, und auf die Bilder,
die goldenen Leuchter, die ganze Pracht wies, die hier entfaltet war. Der
dämmrige Raum war voll von mildem Licht, die gemalten Fenster schienen in
sanften Farben und auf der Orgel wurde leise gespielt. Heilwig war eine
bekenntnistreue Lutherische: wie sie aber vor einem Bilde der gnadenreichen
Mutter stand, das mit traurig ernsten Augen auf sie hinabblickte, da überkam
sie das Verlangen, niederzuknien und zu beten. Für den, der ihr zur Freiheit
verhalf und nun vielleicht sein Leben darum lassen mußte. Sie sah seine dunklen
Augen und hörte die ernste Stimme. Zuerst hatte er sie hart angelassen, nachher
war er sehr sanft geworden.

Bruder Basilio zeigte ihr den Becher aus Jerusalem, das Schweißtuch,
das Stück von der Lanze. Bei jedem Stück machte er erst eine Reverenz und
sprach ein kurzes Gebet. Und dann berichtete er einige Geschichten von wunder¬
baren Heilungen, von Gebetserhörungen, von einem Mönche, der noch heute
hier ruhelos wanderte, weil er einmal nicht hatte glauben wollen. Dann führte
er Heilwig durch den Kreuzgang, der an die Kirche stieß, wo kunstvolle Stein-


Die Hexe von Mayen

„Es ist nicht seinetwegen, daß ich bangeI" Heilweig sah ihren Vater
flehend an. „Er hat mir das Leben gerettet und soll nun irgendwo im Kerker
schmachten. Wenn die Reiter ihn nur finden!"

Der Staatsrat verstand sie nicht gleich, dann lächelte er begütigend, als
wäre seine Tochter noch ein Kind.

„Wir werden den kleinen Junker, der dir so brav beistand, schon finden.
Darum darfst du keine Sorge haben, und ich werde mich alsdann dankbar
bezeigen, wie es sich gebührt. Im Lager war übrigens heut Nacht ein arger
Lärm und mich wundert, daß du ihn verschliefest. Die Frau, die gestern ein¬
gebracht wurde und heute hängen sollte, ist plötzlich verschwunden, obgleich sie
gut bewacht wurde. Sie muß Helfershelfer gehabt haben und man denkt, daß
das nächste Dorf diese beherbergt. Es ist Niedermendig, und es sind viele
Steinbrüche dort. In ihnen kann sie verschwunden sein und es ist töricht, lange
nach ihr zu suchen. Das ist meine Ansicht und ich hab' sie dem Herzog unter¬
breitet, der allerdings kaum darauf hörte. Wenn es ein Gefecht gibt, dann ist
er nicht zu halten. Und die Kugeln schwirren an ihm vorüber!"

Es war ein banger Tag. Auf den grünen Kuppen der Berge lag die
Sonne und weiße Wolken durchsegelten spielerisch die blaue Ferne. Der See
lag ganz still und man konnte denken, daß er hinausblickte in den Himmel,
dessen Farbe er trug. Im Kloster läuteten die Glocken zu den verschiedenen
Stunden, und gegen Abend kam Bruder Basilio, um Heilwig zu fragen, ob sie
nicht die Kirche von innen sehen wollte. Dies durste sie trotz ihres Geschlechts,
denn beten durften die Frauen wie die Männer, und es war auch sicher, daß
die Frauen im ganzen frommer waren als die Männer.

Bruder Basilio hielt in seiner kindlichen Art einen Vortrag darüber, während
er mit Stolz die schweren Türen des Gotteshauses öffnete, und auf die Bilder,
die goldenen Leuchter, die ganze Pracht wies, die hier entfaltet war. Der
dämmrige Raum war voll von mildem Licht, die gemalten Fenster schienen in
sanften Farben und auf der Orgel wurde leise gespielt. Heilwig war eine
bekenntnistreue Lutherische: wie sie aber vor einem Bilde der gnadenreichen
Mutter stand, das mit traurig ernsten Augen auf sie hinabblickte, da überkam
sie das Verlangen, niederzuknien und zu beten. Für den, der ihr zur Freiheit
verhalf und nun vielleicht sein Leben darum lassen mußte. Sie sah seine dunklen
Augen und hörte die ernste Stimme. Zuerst hatte er sie hart angelassen, nachher
war er sehr sanft geworden.

Bruder Basilio zeigte ihr den Becher aus Jerusalem, das Schweißtuch,
das Stück von der Lanze. Bei jedem Stück machte er erst eine Reverenz und
sprach ein kurzes Gebet. Und dann berichtete er einige Geschichten von wunder¬
baren Heilungen, von Gebetserhörungen, von einem Mönche, der noch heute
hier ruhelos wanderte, weil er einmal nicht hatte glauben wollen. Dann führte
er Heilwig durch den Kreuzgang, der an die Kirche stieß, wo kunstvolle Stein-


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[0523] Die Hexe von Mayen „Es ist nicht seinetwegen, daß ich bangeI" Heilweig sah ihren Vater flehend an. „Er hat mir das Leben gerettet und soll nun irgendwo im Kerker schmachten. Wenn die Reiter ihn nur finden!" Der Staatsrat verstand sie nicht gleich, dann lächelte er begütigend, als wäre seine Tochter noch ein Kind. „Wir werden den kleinen Junker, der dir so brav beistand, schon finden. Darum darfst du keine Sorge haben, und ich werde mich alsdann dankbar bezeigen, wie es sich gebührt. Im Lager war übrigens heut Nacht ein arger Lärm und mich wundert, daß du ihn verschliefest. Die Frau, die gestern ein¬ gebracht wurde und heute hängen sollte, ist plötzlich verschwunden, obgleich sie gut bewacht wurde. Sie muß Helfershelfer gehabt haben und man denkt, daß das nächste Dorf diese beherbergt. Es ist Niedermendig, und es sind viele Steinbrüche dort. In ihnen kann sie verschwunden sein und es ist töricht, lange nach ihr zu suchen. Das ist meine Ansicht und ich hab' sie dem Herzog unter¬ breitet, der allerdings kaum darauf hörte. Wenn es ein Gefecht gibt, dann ist er nicht zu halten. Und die Kugeln schwirren an ihm vorüber!" Es war ein banger Tag. Auf den grünen Kuppen der Berge lag die Sonne und weiße Wolken durchsegelten spielerisch die blaue Ferne. Der See lag ganz still und man konnte denken, daß er hinausblickte in den Himmel, dessen Farbe er trug. Im Kloster läuteten die Glocken zu den verschiedenen Stunden, und gegen Abend kam Bruder Basilio, um Heilwig zu fragen, ob sie nicht die Kirche von innen sehen wollte. Dies durste sie trotz ihres Geschlechts, denn beten durften die Frauen wie die Männer, und es war auch sicher, daß die Frauen im ganzen frommer waren als die Männer. Bruder Basilio hielt in seiner kindlichen Art einen Vortrag darüber, während er mit Stolz die schweren Türen des Gotteshauses öffnete, und auf die Bilder, die goldenen Leuchter, die ganze Pracht wies, die hier entfaltet war. Der dämmrige Raum war voll von mildem Licht, die gemalten Fenster schienen in sanften Farben und auf der Orgel wurde leise gespielt. Heilwig war eine bekenntnistreue Lutherische: wie sie aber vor einem Bilde der gnadenreichen Mutter stand, das mit traurig ernsten Augen auf sie hinabblickte, da überkam sie das Verlangen, niederzuknien und zu beten. Für den, der ihr zur Freiheit verhalf und nun vielleicht sein Leben darum lassen mußte. Sie sah seine dunklen Augen und hörte die ernste Stimme. Zuerst hatte er sie hart angelassen, nachher war er sehr sanft geworden. Bruder Basilio zeigte ihr den Becher aus Jerusalem, das Schweißtuch, das Stück von der Lanze. Bei jedem Stück machte er erst eine Reverenz und sprach ein kurzes Gebet. Und dann berichtete er einige Geschichten von wunder¬ baren Heilungen, von Gebetserhörungen, von einem Mönche, der noch heute hier ruhelos wanderte, weil er einmal nicht hatte glauben wollen. Dann führte er Heilwig durch den Kreuzgang, der an die Kirche stieß, wo kunstvolle Stein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/523>, abgerufen am 29.12.2024.