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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

in frechem Übermut daraus trank. Da ist der Becher mitten entzweigesprungen.
Mit silbernen Reifen hat man ihn wieder zusammengesetzt und ihn hierher
gebracht. Ebenso das Schweißtüchlein des Herrn Jesu und ein Stück der Lanze,
die seine Seite durchbohrte."

Der gute Bruder wollte weiter berichten, aber Heilwig machte eine un¬
geduldige Bewegung.

"Ihr traut den Lutherischen viel Schlechtes zu! Wisset, daß auch ich den
lutherischen Glauben bekenne und selig darin zu sterben gedenke! Den Becher
wird wohl jemand zerbrochen und nachher ein Märlein darum geflochten haben!"

Bruder Basilio wurde etwas verlegen.

"Es tut mir leid. Euch die Geschichte mit dem Becher erzählt zu haben,
Jungfrau. Mir ist sie so berichtet worden, und ich muß glauben, was man
mir sagt!"

"Wir brauchen unseren Verstand und lassen uns nichts vorlügen!" rief
Heilwig, und der Bruder sah sie gütig an.

"Ich weiß, Fräulein, Ihr seid vielleicht klüger als wir. Aber wir haben
nun einmal den guten Glauben und er kann uns nicht genommen werden.
Doch", setzte er hinzu, "wir beten auch für die, die noch nicht glauben können!"

Er war gegangen und Heilwig ärgerte sich, unfreundlich mit dem guten
Mann gesprochen zu haben. Ehemals war sie nicht so reizbar. Und wenn der
Mönch an die Echtheit des Bechers glaubte und an die dazu gedichtete Historie,
so tat er eigentlich kein Unrecht.

Sie versuchte, von den leckeren Dingen zu essen, die ihr der Bruder gebracht
hatte, aber es wurde ihr schwer. Sie legte den vergoldeten Löffel zur Seite,
gürtete ihr Kleid und ging an den See.

Er lag ganz still und über ihn glitten große weiße Vögel. Wie die
Möwen des Nordens, die über die Ostsee und die Gewässer des Landes schwebten.
Ein Steg reichte weit in den See hinein und Heilwig trat auf ihn, um dann
zurückzublicken. Im Sonnenglanz lag das Kloster mit seinen schönen Türmen,
und übergössen von dem rötlichen Schein, der seinen Bausteinen anhaftete.
Still lag es und verträumt, aber es wurde von einer Reihe weißer Zelte um¬
geben, und hin und wieder blitzte eine Waffe in der Sonne. Fähnlein flatterten
und Pferde wieherten. Es war gut fo. Wenn jetzt der Feindeslärm in diese
Ruhe fiele, wie entsetzlich würde es sein!

Heilwig hatte schon zerstörte Klöster gesehen, es war ein böser Anblick
gewesen, und sie war dankbar, daß dieser Frieden beschützt wurde von den
Norddeutschen, die wohl lutherisch waren, über doch mehr Ehrfurcht hatten vor
geistlichen Gütern, als Ludwigs Soldaten.

Das Wasser plätscherte und ein Boot strich langsam dem Steg entgegen.
Ein Mann saß darin mit einem Korb voll Fische, die er auf den Steg setzte
und dazu etwas sagte, das Heilwig nicht verstand. Er fuhr dann weiter, und
das junge Mädchen fah die blinkenden Leiber der Fische, wie sie in einem


Die Hexe von Mayen

in frechem Übermut daraus trank. Da ist der Becher mitten entzweigesprungen.
Mit silbernen Reifen hat man ihn wieder zusammengesetzt und ihn hierher
gebracht. Ebenso das Schweißtüchlein des Herrn Jesu und ein Stück der Lanze,
die seine Seite durchbohrte."

Der gute Bruder wollte weiter berichten, aber Heilwig machte eine un¬
geduldige Bewegung.

„Ihr traut den Lutherischen viel Schlechtes zu! Wisset, daß auch ich den
lutherischen Glauben bekenne und selig darin zu sterben gedenke! Den Becher
wird wohl jemand zerbrochen und nachher ein Märlein darum geflochten haben!"

Bruder Basilio wurde etwas verlegen.

„Es tut mir leid. Euch die Geschichte mit dem Becher erzählt zu haben,
Jungfrau. Mir ist sie so berichtet worden, und ich muß glauben, was man
mir sagt!"

„Wir brauchen unseren Verstand und lassen uns nichts vorlügen!" rief
Heilwig, und der Bruder sah sie gütig an.

„Ich weiß, Fräulein, Ihr seid vielleicht klüger als wir. Aber wir haben
nun einmal den guten Glauben und er kann uns nicht genommen werden.
Doch", setzte er hinzu, „wir beten auch für die, die noch nicht glauben können!"

Er war gegangen und Heilwig ärgerte sich, unfreundlich mit dem guten
Mann gesprochen zu haben. Ehemals war sie nicht so reizbar. Und wenn der
Mönch an die Echtheit des Bechers glaubte und an die dazu gedichtete Historie,
so tat er eigentlich kein Unrecht.

Sie versuchte, von den leckeren Dingen zu essen, die ihr der Bruder gebracht
hatte, aber es wurde ihr schwer. Sie legte den vergoldeten Löffel zur Seite,
gürtete ihr Kleid und ging an den See.

Er lag ganz still und über ihn glitten große weiße Vögel. Wie die
Möwen des Nordens, die über die Ostsee und die Gewässer des Landes schwebten.
Ein Steg reichte weit in den See hinein und Heilwig trat auf ihn, um dann
zurückzublicken. Im Sonnenglanz lag das Kloster mit seinen schönen Türmen,
und übergössen von dem rötlichen Schein, der seinen Bausteinen anhaftete.
Still lag es und verträumt, aber es wurde von einer Reihe weißer Zelte um¬
geben, und hin und wieder blitzte eine Waffe in der Sonne. Fähnlein flatterten
und Pferde wieherten. Es war gut fo. Wenn jetzt der Feindeslärm in diese
Ruhe fiele, wie entsetzlich würde es sein!

Heilwig hatte schon zerstörte Klöster gesehen, es war ein böser Anblick
gewesen, und sie war dankbar, daß dieser Frieden beschützt wurde von den
Norddeutschen, die wohl lutherisch waren, über doch mehr Ehrfurcht hatten vor
geistlichen Gütern, als Ludwigs Soldaten.

Das Wasser plätscherte und ein Boot strich langsam dem Steg entgegen.
Ein Mann saß darin mit einem Korb voll Fische, die er auf den Steg setzte
und dazu etwas sagte, das Heilwig nicht verstand. Er fuhr dann weiter, und
das junge Mädchen fah die blinkenden Leiber der Fische, wie sie in einem


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[0472] Die Hexe von Mayen in frechem Übermut daraus trank. Da ist der Becher mitten entzweigesprungen. Mit silbernen Reifen hat man ihn wieder zusammengesetzt und ihn hierher gebracht. Ebenso das Schweißtüchlein des Herrn Jesu und ein Stück der Lanze, die seine Seite durchbohrte." Der gute Bruder wollte weiter berichten, aber Heilwig machte eine un¬ geduldige Bewegung. „Ihr traut den Lutherischen viel Schlechtes zu! Wisset, daß auch ich den lutherischen Glauben bekenne und selig darin zu sterben gedenke! Den Becher wird wohl jemand zerbrochen und nachher ein Märlein darum geflochten haben!" Bruder Basilio wurde etwas verlegen. „Es tut mir leid. Euch die Geschichte mit dem Becher erzählt zu haben, Jungfrau. Mir ist sie so berichtet worden, und ich muß glauben, was man mir sagt!" „Wir brauchen unseren Verstand und lassen uns nichts vorlügen!" rief Heilwig, und der Bruder sah sie gütig an. „Ich weiß, Fräulein, Ihr seid vielleicht klüger als wir. Aber wir haben nun einmal den guten Glauben und er kann uns nicht genommen werden. Doch", setzte er hinzu, „wir beten auch für die, die noch nicht glauben können!" Er war gegangen und Heilwig ärgerte sich, unfreundlich mit dem guten Mann gesprochen zu haben. Ehemals war sie nicht so reizbar. Und wenn der Mönch an die Echtheit des Bechers glaubte und an die dazu gedichtete Historie, so tat er eigentlich kein Unrecht. Sie versuchte, von den leckeren Dingen zu essen, die ihr der Bruder gebracht hatte, aber es wurde ihr schwer. Sie legte den vergoldeten Löffel zur Seite, gürtete ihr Kleid und ging an den See. Er lag ganz still und über ihn glitten große weiße Vögel. Wie die Möwen des Nordens, die über die Ostsee und die Gewässer des Landes schwebten. Ein Steg reichte weit in den See hinein und Heilwig trat auf ihn, um dann zurückzublicken. Im Sonnenglanz lag das Kloster mit seinen schönen Türmen, und übergössen von dem rötlichen Schein, der seinen Bausteinen anhaftete. Still lag es und verträumt, aber es wurde von einer Reihe weißer Zelte um¬ geben, und hin und wieder blitzte eine Waffe in der Sonne. Fähnlein flatterten und Pferde wieherten. Es war gut fo. Wenn jetzt der Feindeslärm in diese Ruhe fiele, wie entsetzlich würde es sein! Heilwig hatte schon zerstörte Klöster gesehen, es war ein böser Anblick gewesen, und sie war dankbar, daß dieser Frieden beschützt wurde von den Norddeutschen, die wohl lutherisch waren, über doch mehr Ehrfurcht hatten vor geistlichen Gütern, als Ludwigs Soldaten. Das Wasser plätscherte und ein Boot strich langsam dem Steg entgegen. Ein Mann saß darin mit einem Korb voll Fische, die er auf den Steg setzte und dazu etwas sagte, das Heilwig nicht verstand. Er fuhr dann weiter, und das junge Mädchen fah die blinkenden Leiber der Fische, wie sie in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/472>, abgerufen am 04.01.2025.