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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von INayen

unwillkürlich. Vergaß es aber im nächsten Augenblick, da ihn Herzog Hans
Adolf rufen ließ und ihm mitteilte, daß er sich bereit halten sollte, in wenigen
Stunden mit ihm auf Mayen zu reiten.

Heilwig war allein in ihrem Holzhäuschen. Der Vater hatte sie gleich
verlassen, weil ein Bote mit Briefen aus dem Dänenreich eintraf und er die
Schreiben lesen mußte. Die Politik ging nun einmal über die Familie --
Heilwig wußte es lange und sie war gewöhnt, sich darein zu finden.

Heute aber ging sie unruhig in ihrem kleinen Reich hin und her, das die
Benediktiner mit freundlicher Sorgfalt für sie zurechtgemacht hatten. Von
einfacher Arbeit waren die Stühle und der Tisch, dieser aber trug eine bunt¬
gewirkte Decke und auf den Stühlen lagen Polster. In einem kleinen Neben¬
gemach lagen Felle und Decken, dort sollte sie schlafen, während für ihren Vater
noch ein besonderes Zimmer eingerichtet war. Nun sah sie aus dem Schieb¬
fensterchen. Silbern glänzte das Wasser des Sees, auf den die Mittagssonne
schien, und in den grünen Wipfeln der Buchen gurrten die Wildtauben. Als
Heilwig Buchen und See in Gemeinschaft sah, dachte sie an Holstein, wo sie
so oft durch den Buchenwald geritten war und ihr Pferd aus irgendeinem
blauen See hatte trinken lassen. Wie fröhlich war sie damals gewesen, wie
sorgenlos I Und jetzt klopfte ihr Herz vor Kummer und Trauer.

Ein Laienbruder trat ein und brachte ihr eine Schale mit Suppe, einen
gebratenen Vogel und eine Kanne mit Wein. Es war ein freundlicher, älterer
Mann, mit verarbeiteten Händen und klaren, blauen Augen.

"Möge es der Jungfrau gut munden!" sagte er. "Unser Bruder Küchen¬
meister versteht seine Sach, wenn wir Gäste haben, loben sie ihn immer!"

"Ihr habt oft Gäste?"

"Es geht schon an!" Bruder Basilio lachte ein wenig. "Die Herren
Ritter holen sich oft eine Mahlzeit bei uns, und seine Gnaden der Kurfürst
kommt regelmäßig zweimal im Jahr. Da heißt es, die Reputation zu retten!"

Er stellte einen silbernen Teller, Löffel und Gabel von gleichem Metall
auf den Tisch und Heilwig nahm sich zusammen und bewunderte die feine Arbeit
der Geräte. Bruder Basilio war auch ganz stolz.

"Wir haben diese Sachen einstmals von einer Fürstin erhalten, die unserem
Herrn Abt zu Dank verpflichtet war. Noch mehr haben wir von dieser Art
-- heute wird es gezeigt, wenn die Herren Fürsten bei uns tafeln. Alles Gaben
der Liebe! Und unsere Reliquien solltet Ihr sehen!" fuhr er fort. "Wir haben
ein Marienbild, das noch kürzlich ein Wunder verrichtete, sowie einen Becher,
aus dem unser Herr Jesus selbst trank. Zachäus. der Zöllner, hat ihm den
Becher gereicht und der Gottessohn nahm einen Trunk Wein daraus."

"Wie seid Ihr denn zu einer solchen Reliquie gekommen?" erkundigte sich
Heilwig. Bruder Basilio sprach eifrig weiter.

"Griechische Mönche brachten das Kleinod einst nach Köln, und dort ist es
lange Jahre wie ein Heiligtum bewahrt gewesen. Bis eine lutherische Gräfin


Die Hexe von INayen

unwillkürlich. Vergaß es aber im nächsten Augenblick, da ihn Herzog Hans
Adolf rufen ließ und ihm mitteilte, daß er sich bereit halten sollte, in wenigen
Stunden mit ihm auf Mayen zu reiten.

Heilwig war allein in ihrem Holzhäuschen. Der Vater hatte sie gleich
verlassen, weil ein Bote mit Briefen aus dem Dänenreich eintraf und er die
Schreiben lesen mußte. Die Politik ging nun einmal über die Familie —
Heilwig wußte es lange und sie war gewöhnt, sich darein zu finden.

Heute aber ging sie unruhig in ihrem kleinen Reich hin und her, das die
Benediktiner mit freundlicher Sorgfalt für sie zurechtgemacht hatten. Von
einfacher Arbeit waren die Stühle und der Tisch, dieser aber trug eine bunt¬
gewirkte Decke und auf den Stühlen lagen Polster. In einem kleinen Neben¬
gemach lagen Felle und Decken, dort sollte sie schlafen, während für ihren Vater
noch ein besonderes Zimmer eingerichtet war. Nun sah sie aus dem Schieb¬
fensterchen. Silbern glänzte das Wasser des Sees, auf den die Mittagssonne
schien, und in den grünen Wipfeln der Buchen gurrten die Wildtauben. Als
Heilwig Buchen und See in Gemeinschaft sah, dachte sie an Holstein, wo sie
so oft durch den Buchenwald geritten war und ihr Pferd aus irgendeinem
blauen See hatte trinken lassen. Wie fröhlich war sie damals gewesen, wie
sorgenlos I Und jetzt klopfte ihr Herz vor Kummer und Trauer.

Ein Laienbruder trat ein und brachte ihr eine Schale mit Suppe, einen
gebratenen Vogel und eine Kanne mit Wein. Es war ein freundlicher, älterer
Mann, mit verarbeiteten Händen und klaren, blauen Augen.

„Möge es der Jungfrau gut munden!" sagte er. „Unser Bruder Küchen¬
meister versteht seine Sach, wenn wir Gäste haben, loben sie ihn immer!"

„Ihr habt oft Gäste?"

„Es geht schon an!" Bruder Basilio lachte ein wenig. „Die Herren
Ritter holen sich oft eine Mahlzeit bei uns, und seine Gnaden der Kurfürst
kommt regelmäßig zweimal im Jahr. Da heißt es, die Reputation zu retten!"

Er stellte einen silbernen Teller, Löffel und Gabel von gleichem Metall
auf den Tisch und Heilwig nahm sich zusammen und bewunderte die feine Arbeit
der Geräte. Bruder Basilio war auch ganz stolz.

„Wir haben diese Sachen einstmals von einer Fürstin erhalten, die unserem
Herrn Abt zu Dank verpflichtet war. Noch mehr haben wir von dieser Art
— heute wird es gezeigt, wenn die Herren Fürsten bei uns tafeln. Alles Gaben
der Liebe! Und unsere Reliquien solltet Ihr sehen!" fuhr er fort. „Wir haben
ein Marienbild, das noch kürzlich ein Wunder verrichtete, sowie einen Becher,
aus dem unser Herr Jesus selbst trank. Zachäus. der Zöllner, hat ihm den
Becher gereicht und der Gottessohn nahm einen Trunk Wein daraus."

„Wie seid Ihr denn zu einer solchen Reliquie gekommen?" erkundigte sich
Heilwig. Bruder Basilio sprach eifrig weiter.

„Griechische Mönche brachten das Kleinod einst nach Köln, und dort ist es
lange Jahre wie ein Heiligtum bewahrt gewesen. Bis eine lutherische Gräfin


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[0471] Die Hexe von INayen unwillkürlich. Vergaß es aber im nächsten Augenblick, da ihn Herzog Hans Adolf rufen ließ und ihm mitteilte, daß er sich bereit halten sollte, in wenigen Stunden mit ihm auf Mayen zu reiten. Heilwig war allein in ihrem Holzhäuschen. Der Vater hatte sie gleich verlassen, weil ein Bote mit Briefen aus dem Dänenreich eintraf und er die Schreiben lesen mußte. Die Politik ging nun einmal über die Familie — Heilwig wußte es lange und sie war gewöhnt, sich darein zu finden. Heute aber ging sie unruhig in ihrem kleinen Reich hin und her, das die Benediktiner mit freundlicher Sorgfalt für sie zurechtgemacht hatten. Von einfacher Arbeit waren die Stühle und der Tisch, dieser aber trug eine bunt¬ gewirkte Decke und auf den Stühlen lagen Polster. In einem kleinen Neben¬ gemach lagen Felle und Decken, dort sollte sie schlafen, während für ihren Vater noch ein besonderes Zimmer eingerichtet war. Nun sah sie aus dem Schieb¬ fensterchen. Silbern glänzte das Wasser des Sees, auf den die Mittagssonne schien, und in den grünen Wipfeln der Buchen gurrten die Wildtauben. Als Heilwig Buchen und See in Gemeinschaft sah, dachte sie an Holstein, wo sie so oft durch den Buchenwald geritten war und ihr Pferd aus irgendeinem blauen See hatte trinken lassen. Wie fröhlich war sie damals gewesen, wie sorgenlos I Und jetzt klopfte ihr Herz vor Kummer und Trauer. Ein Laienbruder trat ein und brachte ihr eine Schale mit Suppe, einen gebratenen Vogel und eine Kanne mit Wein. Es war ein freundlicher, älterer Mann, mit verarbeiteten Händen und klaren, blauen Augen. „Möge es der Jungfrau gut munden!" sagte er. „Unser Bruder Küchen¬ meister versteht seine Sach, wenn wir Gäste haben, loben sie ihn immer!" „Ihr habt oft Gäste?" „Es geht schon an!" Bruder Basilio lachte ein wenig. „Die Herren Ritter holen sich oft eine Mahlzeit bei uns, und seine Gnaden der Kurfürst kommt regelmäßig zweimal im Jahr. Da heißt es, die Reputation zu retten!" Er stellte einen silbernen Teller, Löffel und Gabel von gleichem Metall auf den Tisch und Heilwig nahm sich zusammen und bewunderte die feine Arbeit der Geräte. Bruder Basilio war auch ganz stolz. „Wir haben diese Sachen einstmals von einer Fürstin erhalten, die unserem Herrn Abt zu Dank verpflichtet war. Noch mehr haben wir von dieser Art — heute wird es gezeigt, wenn die Herren Fürsten bei uns tafeln. Alles Gaben der Liebe! Und unsere Reliquien solltet Ihr sehen!" fuhr er fort. „Wir haben ein Marienbild, das noch kürzlich ein Wunder verrichtete, sowie einen Becher, aus dem unser Herr Jesus selbst trank. Zachäus. der Zöllner, hat ihm den Becher gereicht und der Gottessohn nahm einen Trunk Wein daraus." „Wie seid Ihr denn zu einer solchen Reliquie gekommen?" erkundigte sich Heilwig. Bruder Basilio sprach eifrig weiter. „Griechische Mönche brachten das Kleinod einst nach Köln, und dort ist es lange Jahre wie ein Heiligtum bewahrt gewesen. Bis eine lutherische Gräfin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/471>, abgerufen am 04.01.2025.