Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Die Hexe von Raym "Aber sie muß uns das Loch in der Mauer weisen!" sagte Josias gut¬ "Sie werden es lange zugeflickt haben!" rief Sehestedt ungeduldig. "Vielleicht nicht, Herr Vater, da ich mich entsinne, daß es hinter einem "Und wer half dir da hinaus?" "Der Junker von Wiltberg." "Der Wiltberg? Derselbe, den die Mayener nun eingekerkert haben und Der Staatsrat fragte, und Heilwig wurde blaß wie der Tod. "Herr Vater, wie wißt Ihr dies und ist es keine Lüge?" "Ich erfuhr es vom Abt, und der Herzog wird es auch wissen. Er ist "Er hat mir das Leben gerettet, mir. die ich als Hexe in Mayers Turm "Welch eine wunderbare Historie!" rief Herr von Sehestedt, während sich "Ich meine, gestrenger Herr Oheim, daß die Jungfrau ganz recht tut, "Weil wir Männer sind und keine Affen!" rief der Staatsrat scharf. Er machte eine so entschiedene Bewegung, daß sich der Junker mit einer Die Hexe von Raym „Aber sie muß uns das Loch in der Mauer weisen!" sagte Josias gut¬ „Sie werden es lange zugeflickt haben!" rief Sehestedt ungeduldig. „Vielleicht nicht, Herr Vater, da ich mich entsinne, daß es hinter einem „Und wer half dir da hinaus?" „Der Junker von Wiltberg." „Der Wiltberg? Derselbe, den die Mayener nun eingekerkert haben und Der Staatsrat fragte, und Heilwig wurde blaß wie der Tod. „Herr Vater, wie wißt Ihr dies und ist es keine Lüge?" „Ich erfuhr es vom Abt, und der Herzog wird es auch wissen. Er ist „Er hat mir das Leben gerettet, mir. die ich als Hexe in Mayers Turm „Welch eine wunderbare Historie!" rief Herr von Sehestedt, während sich „Ich meine, gestrenger Herr Oheim, daß die Jungfrau ganz recht tut, „Weil wir Männer sind und keine Affen!" rief der Staatsrat scharf. 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Und sollte dies Loch noch da sein, könnte es manchem<lb/> braven Soldaten das Leben schenken."</p><lb/> <p xml:id="ID_2174"> „Sie werden es lange zugeflickt haben!" rief Sehestedt ungeduldig.</p><lb/> <p xml:id="ID_2175"> „Vielleicht nicht, Herr Vater, da ich mich entsinne, daß es hinter einem<lb/> Vorsprung war, und dick mit Efeu umsponnen, so daß man es eigentlich nur<lb/> vom Gärtlein aus sehen konnte. Wie ich mich durchgedrängt hatte und das<lb/> Loch noch einmal sehen wollte, konnte ich es nicht mehr erblicken."</p><lb/> <p xml:id="ID_2176"> „Und wer half dir da hinaus?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2177"> „Der Junker von Wiltberg."</p><lb/> <p xml:id="ID_2178"> „Der Wiltberg? 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Die Hexe von Raym
„Aber sie muß uns das Loch in der Mauer weisen!" sagte Josias gut¬
mütig. Er sah einen flehenden Ausdruck in Heilwigs Gesicht, der ihm ans
Herz ging. „Ihr müßt wissen, Herr, daß die Franzosen oft eine Schar von
Damen mit sich nehmen, die die Bataille aus der Ferne betrachten und weidlich
Vergnügen daran finden. Und sollte dies Loch noch da sein, könnte es manchem
braven Soldaten das Leben schenken."
„Sie werden es lange zugeflickt haben!" rief Sehestedt ungeduldig.
„Vielleicht nicht, Herr Vater, da ich mich entsinne, daß es hinter einem
Vorsprung war, und dick mit Efeu umsponnen, so daß man es eigentlich nur
vom Gärtlein aus sehen konnte. Wie ich mich durchgedrängt hatte und das
Loch noch einmal sehen wollte, konnte ich es nicht mehr erblicken."
„Und wer half dir da hinaus?"
„Der Junker von Wiltberg."
„Der Wiltberg? Derselbe, den die Mayener nun eingekerkert haben und
vielleicht verbrennen wollen?"
Der Staatsrat fragte, und Heilwig wurde blaß wie der Tod.
„Herr Vater, wie wißt Ihr dies und ist es keine Lüge?"
„Ich erfuhr es vom Abt, und der Herzog wird es auch wissen. Er ist
der Zauberei beschuldigt, und diese Leute darf man nicht am Leben lassen!"
„Er hat mir das Leben gerettet, mir. die ich als Hexe in Mayers Turm
saß und wohl ein elendes Schicksal erlitten hätte, wenn er nicht Mitleid mit
mir empfunden. Er brachte mich in seinen Garten und half mir hinaus.
Herr Vater, dem Junker darf kein Leid geschehen und Ihr müßt ihm helfen!"
„Welch eine wunderbare Historie!" rief Herr von Sehestedt, während sich
Josias räusperte. Diese Sache gefiel ihm durchaus nicht, und seinetwegen
konnte der rheinische Junker sein Lebenlang im Turm sitzen, aber daß seine
Base weinte und daß ihre feinen Nasenflügel vor Erregung zitterten, fand er
rührend. Er war bereit, alles zu tun. daß sie wieder ruhig wurde.
„Ich meine, gestrenger Herr Oheim, daß die Jungfrau ganz recht tut,
dem Junker zu helfen, wenn es angeht. Die Franzosen, wie ich schon sagte,
nehmen ihre Frauenzimmer mit in den Kampf, warum sollen wir es auch
nicht tun?"
„Weil wir Männer sind und keine Affen!" rief der Staatsrat scharf.
„Laßt die Franzen tun, was sie wollen, Ihr seid Holsteiner und habt andere
Manieren. Meine Tochter wird nicht anreiten, wenn es eine Bataille gibt —
sie bleibt hier und Ihr könnt ihr nachher berichten. Das Loch in der Mauer
müßt Ihr allein finden."
Er machte eine so entschiedene Bewegung, daß sich der Junker mit einer
stummen Verbeugung zurückzog. Im ganzen mußte er dem Oheim recht geben,
daß es Besseres für das Frauenzimmer gab, als sich die Kugeln um die Ohren
fliegen zu lassen. Aber zugleich kam ihm der Gedanke, daß der gestrenge Herr
Oheim wohl kein sehr bequemer Schwiegervater sein würde, und er seufzte
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