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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Männer, die wir brauchen

er habe nie geschwankt. Erst diese rückhaltslose Prüfung des eigenen Gewissens
kann die Gaben auslösen zur Führung anderer Seelen, Gaben, ohne die jede
Organisation ein starres Band bleibt, statt eines festen innerlichen Haltes.

Das führt uns zu den Beziehungen der angedeuteten ethisch orientierten
Wirtschaftsverbände, zu denjenigen Gemeinschaften, denen die sittliche Erziehung
des ganzen Menschen anvertraut ist. Auch hier gilt das vorhin Gesagte. Im
Kampf für geschäftliche Wahrhaftigkeit müssen religiös - dogmatische Gegensätze
ebenso draußen bleiben, wie wirtschaftlich-politische Gegensätze. Von allen
Richtungen, von konfessioneller, freimaurerischer, freireligiöser und neutral-ethischer
Seite, kommt Hilfe und muß Hilfe gesucht werden. Wir haben wahrhaftig
nicht Überschuß an solchen Kräften, die sich für die Veredlung des Geschäfts¬
lebens opferbereit zur Verfügung stellen, und angesichts der sittlich zerstörenden
Mächte, die von allen Seiten anbringen und kein Gesetz anerkennen, weder ein
äußeres noch ein inneres, weder Gott noch Gewissen, kann die Parole gegen¬
über den Institutionen, die ihre versittlichen.de Kraft im Laufe der Jahrhunderte
und Jahrtausende erwiesen haben, nur lauten: Erhalten, erhalten, erhalten!
Ich sage, dogmatische Gesetze müssen draußen bleiben; damit reden wir keiner
Verwischung der Glaübensunterschiede das Wort, noch weniger diskutieren wir
die Bedeutung religiöser Gewißheiten als erprobtes Motiv sittlicher Lebens¬
führung. Vielmehr fordern wir, daß jeder die Kraft seines Ringes erweise
durch die Wirkung im Wirtschaftsleben und weniger durch Apologie und Polemik.
Rufer im Streit der Geister sind gewiß unentbehrlich, aber sie sind nicht die
geeigneten Parlamentäre, und verhandeln müssen wir erst lernen, bevor wir
hoffen können, uns einmal zu vertragen.

Wer unter den führenden Männern der neuen deutschen Wirtschaft wird
seine Verhandlungskunst und sein Organisationsgenie, seine sachlichen Mittel und
seine persönlichen Beziehungen in den Dienst solcher wirtschaftlich-ethischen Be¬
wegung stellen? -- Warum hier bisher die Hauptleute vou Handel und
Industrie versagten, wissen wir alle. Sie waren gebundener als ihr letzter
Schreiber. Nicht sie hatten einen Betrieb, der Betrieb hatte sie. Mit dem
gleichen Recht wie der Dehmelsche Arbeitsmann konnte der Unternehmer
sagen:


Uns fehlt nur eine Kleinigkeit,
Um so frei zu sein, wie die Vögel sind:
Nur ZeitI

Die Werkleute, die dem deutscheu Volke den stolzen Neubau der Wirtschaft auf¬
führten, konnten nicht viel an innere Einrichtung denken. Sie glaubten, daß sie
der Gemeinschaft am besten dienten, indem sie für das Gedeihen der eigenen
Unternehmung sorgten. Als dann das große Wecken die Kaufleute zur Politik
rief, da verstand man unter Politik nicht mehr das, was man in der Paulskirche
und in den ersten Reichstagen darunter verstanden hatte. Da Interesse gegen
Interesse kämpfte, glaubten unsere "politischen" Kaufleute, daß sie der Ge-


Männer, die wir brauchen

er habe nie geschwankt. Erst diese rückhaltslose Prüfung des eigenen Gewissens
kann die Gaben auslösen zur Führung anderer Seelen, Gaben, ohne die jede
Organisation ein starres Band bleibt, statt eines festen innerlichen Haltes.

Das führt uns zu den Beziehungen der angedeuteten ethisch orientierten
Wirtschaftsverbände, zu denjenigen Gemeinschaften, denen die sittliche Erziehung
des ganzen Menschen anvertraut ist. Auch hier gilt das vorhin Gesagte. Im
Kampf für geschäftliche Wahrhaftigkeit müssen religiös - dogmatische Gegensätze
ebenso draußen bleiben, wie wirtschaftlich-politische Gegensätze. Von allen
Richtungen, von konfessioneller, freimaurerischer, freireligiöser und neutral-ethischer
Seite, kommt Hilfe und muß Hilfe gesucht werden. Wir haben wahrhaftig
nicht Überschuß an solchen Kräften, die sich für die Veredlung des Geschäfts¬
lebens opferbereit zur Verfügung stellen, und angesichts der sittlich zerstörenden
Mächte, die von allen Seiten anbringen und kein Gesetz anerkennen, weder ein
äußeres noch ein inneres, weder Gott noch Gewissen, kann die Parole gegen¬
über den Institutionen, die ihre versittlichen.de Kraft im Laufe der Jahrhunderte
und Jahrtausende erwiesen haben, nur lauten: Erhalten, erhalten, erhalten!
Ich sage, dogmatische Gesetze müssen draußen bleiben; damit reden wir keiner
Verwischung der Glaübensunterschiede das Wort, noch weniger diskutieren wir
die Bedeutung religiöser Gewißheiten als erprobtes Motiv sittlicher Lebens¬
führung. Vielmehr fordern wir, daß jeder die Kraft seines Ringes erweise
durch die Wirkung im Wirtschaftsleben und weniger durch Apologie und Polemik.
Rufer im Streit der Geister sind gewiß unentbehrlich, aber sie sind nicht die
geeigneten Parlamentäre, und verhandeln müssen wir erst lernen, bevor wir
hoffen können, uns einmal zu vertragen.

Wer unter den führenden Männern der neuen deutschen Wirtschaft wird
seine Verhandlungskunst und sein Organisationsgenie, seine sachlichen Mittel und
seine persönlichen Beziehungen in den Dienst solcher wirtschaftlich-ethischen Be¬
wegung stellen? — Warum hier bisher die Hauptleute vou Handel und
Industrie versagten, wissen wir alle. Sie waren gebundener als ihr letzter
Schreiber. Nicht sie hatten einen Betrieb, der Betrieb hatte sie. Mit dem
gleichen Recht wie der Dehmelsche Arbeitsmann konnte der Unternehmer
sagen:


Uns fehlt nur eine Kleinigkeit,
Um so frei zu sein, wie die Vögel sind:
Nur ZeitI

Die Werkleute, die dem deutscheu Volke den stolzen Neubau der Wirtschaft auf¬
führten, konnten nicht viel an innere Einrichtung denken. Sie glaubten, daß sie
der Gemeinschaft am besten dienten, indem sie für das Gedeihen der eigenen
Unternehmung sorgten. Als dann das große Wecken die Kaufleute zur Politik
rief, da verstand man unter Politik nicht mehr das, was man in der Paulskirche
und in den ersten Reichstagen darunter verstanden hatte. Da Interesse gegen
Interesse kämpfte, glaubten unsere „politischen" Kaufleute, daß sie der Ge-


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[0466] Männer, die wir brauchen er habe nie geschwankt. Erst diese rückhaltslose Prüfung des eigenen Gewissens kann die Gaben auslösen zur Führung anderer Seelen, Gaben, ohne die jede Organisation ein starres Band bleibt, statt eines festen innerlichen Haltes. Das führt uns zu den Beziehungen der angedeuteten ethisch orientierten Wirtschaftsverbände, zu denjenigen Gemeinschaften, denen die sittliche Erziehung des ganzen Menschen anvertraut ist. Auch hier gilt das vorhin Gesagte. Im Kampf für geschäftliche Wahrhaftigkeit müssen religiös - dogmatische Gegensätze ebenso draußen bleiben, wie wirtschaftlich-politische Gegensätze. Von allen Richtungen, von konfessioneller, freimaurerischer, freireligiöser und neutral-ethischer Seite, kommt Hilfe und muß Hilfe gesucht werden. Wir haben wahrhaftig nicht Überschuß an solchen Kräften, die sich für die Veredlung des Geschäfts¬ lebens opferbereit zur Verfügung stellen, und angesichts der sittlich zerstörenden Mächte, die von allen Seiten anbringen und kein Gesetz anerkennen, weder ein äußeres noch ein inneres, weder Gott noch Gewissen, kann die Parole gegen¬ über den Institutionen, die ihre versittlichen.de Kraft im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende erwiesen haben, nur lauten: Erhalten, erhalten, erhalten! Ich sage, dogmatische Gesetze müssen draußen bleiben; damit reden wir keiner Verwischung der Glaübensunterschiede das Wort, noch weniger diskutieren wir die Bedeutung religiöser Gewißheiten als erprobtes Motiv sittlicher Lebens¬ führung. Vielmehr fordern wir, daß jeder die Kraft seines Ringes erweise durch die Wirkung im Wirtschaftsleben und weniger durch Apologie und Polemik. Rufer im Streit der Geister sind gewiß unentbehrlich, aber sie sind nicht die geeigneten Parlamentäre, und verhandeln müssen wir erst lernen, bevor wir hoffen können, uns einmal zu vertragen. Wer unter den führenden Männern der neuen deutschen Wirtschaft wird seine Verhandlungskunst und sein Organisationsgenie, seine sachlichen Mittel und seine persönlichen Beziehungen in den Dienst solcher wirtschaftlich-ethischen Be¬ wegung stellen? — Warum hier bisher die Hauptleute vou Handel und Industrie versagten, wissen wir alle. Sie waren gebundener als ihr letzter Schreiber. Nicht sie hatten einen Betrieb, der Betrieb hatte sie. Mit dem gleichen Recht wie der Dehmelsche Arbeitsmann konnte der Unternehmer sagen: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, Um so frei zu sein, wie die Vögel sind: Nur ZeitI Die Werkleute, die dem deutscheu Volke den stolzen Neubau der Wirtschaft auf¬ führten, konnten nicht viel an innere Einrichtung denken. Sie glaubten, daß sie der Gemeinschaft am besten dienten, indem sie für das Gedeihen der eigenen Unternehmung sorgten. Als dann das große Wecken die Kaufleute zur Politik rief, da verstand man unter Politik nicht mehr das, was man in der Paulskirche und in den ersten Reichstagen darunter verstanden hatte. Da Interesse gegen Interesse kämpfte, glaubten unsere „politischen" Kaufleute, daß sie der Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/466>, abgerufen am 04.01.2025.