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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Männer, die wir brauchen

gerade ein Grund dafür wäre, daß die Erwerbsstände aus eigener Initiative,
ohne erst einen Druck von außen abzuwarten, für Reinigung und Ordnung im
Hause sorgen. Wo ein Geschäftszweig sich selbst strenge Bindungen und Normen
auferlegt, da bedarf es keiner polizeilichen Regelung.

Mit Recht weisen andere auf die zahlreichen schon bestehenden freien
Organisationen hin. die den Feldzug gegen Unredlichkeit im Geschäft in ihr
Programm aufgenommen haben. Diese Bestrebungen bekunden allerdings den
Durchbruch starker sittlicher Strömungen in den breitesten Schichten unserer
schaffenden Stände, Strömungen, die lange genug zurückgestaut waren, weil man
hinter den zeitlosen Forderungen der Geschäftsethik nur einen zuweilen damit
verquickten Kampf für vermeintlich überlebte technische und wirtschaftliche Me¬
thoden vermutete. Jene auf den verschiedensten Gebieten unternommenen
Versuche verbürgen uns die Unerloschenheit sittlicher Kräfte im Wirtschaftsleben.
Ohne den Glauben an sie. ohne den Glauben an ihre machtvolle Entwicklung
wäre ja der Gedanke einer Organisation der geschäftlichen Standespflicht von
vorne herein müßig und verloren. Was zu fordern ist, wäre, daß man nicht
bloß dann und da bessert, wo man die Schädigung am eigenen Leibe spürt,
nicht bloß Listen von schlechten Lieferanten und böswilligen Zahlern anlegt,
sondern -- vor der eigenen Tür kehrt und über die eigenen Berufsgenossen
Gericht hält. Zu fordern wäre ferner, daß alle Vereine, die den Kampf gegen
geschäftliche Unredlichkeit auf ihre Fahne geschrieben haben, für einen allgemeinen
Zusammenschluß der anständigen Geschäftsleute eintreten. In diesem großen
Verbände würden freilich alle Interessen- und sonstigen Gegensätze zu schweigen
haben. Sie sollen ausgekämpft werden, aber nicht hier auf dein gemeinsamen
Boden. So lange noch der Konsumvereinler jeden Kaufmann, der einem Rabatt-
sparverein angehört, für unmoralisch erklärt, so lange der Detaillist in jedem
Beamten eines gemeinwirtschaftlichen Unternehmens einen Menschen zweiter Klasse
erblickt, so lange jeder Großunternehmer von vorne herein der kapitalistische
Ausbeuter und Volksverderber ist. so lange jeder Agrarier als ein Brotwucherer
und jeder Fabrikant als ein Leuteschinder gilt, so lange wird auch das Verständnis
fehlen für die Notwendigkeit jener Formation, die nur eine Front hat: gegen
Unsachlichkeit und Unwahrhaftigkeit in Handel und Wandel.

Vor allem aber muß vor dem Irrglauben gewarnt werden, daß unmoralische
Gesinnung durch Schutz- und Trutzverbände allein unterdrückt wird. Man kann
jahrelang seine Aufträge durch Bestechungsgelder hereinbekommen haben und
doch seine Beiträge an den Verein gegen das Bestechungsunwesen gezahlt haben.
Es muß vor dem Pharisäerhochmut gewarnt werden, der sich brüstet: Hier
stehen wir. die Anständigen, und drüben die anderen, die skrupelloser. Sittliche
Arbeit beginnt zu Hause, beginnt im eigenen Herzen und ist nicht denkbar ohne
strenge Selbstprüfung. Wir müssen uns klar werden, daß die Trennungslinie
Zwischen Gut und Böse durch unser eigenes Herz geht. Der Verlockungen und
Nöte im freien Geschäfte sind so viele, daß keiner unter uns ist, der sagen kann,


Männer, die wir brauchen

gerade ein Grund dafür wäre, daß die Erwerbsstände aus eigener Initiative,
ohne erst einen Druck von außen abzuwarten, für Reinigung und Ordnung im
Hause sorgen. Wo ein Geschäftszweig sich selbst strenge Bindungen und Normen
auferlegt, da bedarf es keiner polizeilichen Regelung.

Mit Recht weisen andere auf die zahlreichen schon bestehenden freien
Organisationen hin. die den Feldzug gegen Unredlichkeit im Geschäft in ihr
Programm aufgenommen haben. Diese Bestrebungen bekunden allerdings den
Durchbruch starker sittlicher Strömungen in den breitesten Schichten unserer
schaffenden Stände, Strömungen, die lange genug zurückgestaut waren, weil man
hinter den zeitlosen Forderungen der Geschäftsethik nur einen zuweilen damit
verquickten Kampf für vermeintlich überlebte technische und wirtschaftliche Me¬
thoden vermutete. Jene auf den verschiedensten Gebieten unternommenen
Versuche verbürgen uns die Unerloschenheit sittlicher Kräfte im Wirtschaftsleben.
Ohne den Glauben an sie. ohne den Glauben an ihre machtvolle Entwicklung
wäre ja der Gedanke einer Organisation der geschäftlichen Standespflicht von
vorne herein müßig und verloren. Was zu fordern ist, wäre, daß man nicht
bloß dann und da bessert, wo man die Schädigung am eigenen Leibe spürt,
nicht bloß Listen von schlechten Lieferanten und böswilligen Zahlern anlegt,
sondern — vor der eigenen Tür kehrt und über die eigenen Berufsgenossen
Gericht hält. Zu fordern wäre ferner, daß alle Vereine, die den Kampf gegen
geschäftliche Unredlichkeit auf ihre Fahne geschrieben haben, für einen allgemeinen
Zusammenschluß der anständigen Geschäftsleute eintreten. In diesem großen
Verbände würden freilich alle Interessen- und sonstigen Gegensätze zu schweigen
haben. Sie sollen ausgekämpft werden, aber nicht hier auf dein gemeinsamen
Boden. So lange noch der Konsumvereinler jeden Kaufmann, der einem Rabatt-
sparverein angehört, für unmoralisch erklärt, so lange der Detaillist in jedem
Beamten eines gemeinwirtschaftlichen Unternehmens einen Menschen zweiter Klasse
erblickt, so lange jeder Großunternehmer von vorne herein der kapitalistische
Ausbeuter und Volksverderber ist. so lange jeder Agrarier als ein Brotwucherer
und jeder Fabrikant als ein Leuteschinder gilt, so lange wird auch das Verständnis
fehlen für die Notwendigkeit jener Formation, die nur eine Front hat: gegen
Unsachlichkeit und Unwahrhaftigkeit in Handel und Wandel.

Vor allem aber muß vor dem Irrglauben gewarnt werden, daß unmoralische
Gesinnung durch Schutz- und Trutzverbände allein unterdrückt wird. Man kann
jahrelang seine Aufträge durch Bestechungsgelder hereinbekommen haben und
doch seine Beiträge an den Verein gegen das Bestechungsunwesen gezahlt haben.
Es muß vor dem Pharisäerhochmut gewarnt werden, der sich brüstet: Hier
stehen wir. die Anständigen, und drüben die anderen, die skrupelloser. Sittliche
Arbeit beginnt zu Hause, beginnt im eigenen Herzen und ist nicht denkbar ohne
strenge Selbstprüfung. Wir müssen uns klar werden, daß die Trennungslinie
Zwischen Gut und Böse durch unser eigenes Herz geht. Der Verlockungen und
Nöte im freien Geschäfte sind so viele, daß keiner unter uns ist, der sagen kann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/465>, abgerufen am 04.01.2025.