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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Männer, die wir brauchen

braucht nur einen Blick in die Fachzeitschriften, Reichstagspetitionen, Enquete¬
berichte, Konventionsverhandlungen, Gerichtsakten usw. zu werfen, um die
Wahrheit zu erfahren. Das sind ja eben die unseligen Folgen falscher Soli¬
darität: was durch wirtschaftliches Interesse miteinander verbunden ist, das
hängt zusammen wie die Kletten und -- bestreitet alles. Wer sich über den
Magerkäsehandel orientieren will, muß den Vollfettkäsefabrikanten befragen; wer
von vereinzelten Menschlichkeiten in den Konsumvereinen etwas erfahren will,
muß zu den Nabattsparvereinlern gehen, die Sünden der Agrarier stehen im
Berliner Tageblatt und die Sünden des Händlertums in der Deutschen Tages¬
zeitung. Wo aber der Haß den Griffel führt, da gibt es ein verzerrtes Bild,
das viel mühseliger zu berichtigen ist, als wenn man von Anfang an einzelne
Schäden im eigenen Berufsverbande unparteiisch untersuchte und zugäbe. Es
ist eine falsche Ethik, die in: Namen des Gemeinwohls sich über den Schmutz
ini Nachbargehöfte entrüstet. Sittlichkeit fordert Aufrichtigkeit gegen sich selbst
und beginnt zu Hause. Wir wären viel weiter, wenn durch die unendlich
vielen Jnteressenkonstellationen der heutigen Wirtschaft ein einziger großer
Querschnitt gelegt würde, der in allen die gleiche simple Trennungslinie zöge:
die Partei der anständigen Geschäftsleute auf der einen Seite, die der zweifel¬
haften und unzweifelhaften Elemente auf der anderen.

Während die einen, wie gesagt, das Dasein solcher Elemente ganz leugnen,
erhoffen die anderen, welche Übelstände zugeben, ihr Verschwinden durch das
Walten der freien Konkurrenz. Die Wirklichkeit zwar predigt jedem, der hören
will, aufdringlich und unablässig das Gegenteil. Jeder kennt in seinem Berufs¬
zweige Geschäfte, die durch unlautere Praktiken hochgekommen sind und seit
Jahren obenauf schwimmen, kennt Schein- und Schundfabrikate, die sich durch
hartnäckige Reklame fest eingebürgert haben, kennt Mißstünde, die durch be¬
quemes Gewährenlassen heute überall eingewurzelt sind; er weiß aus eigener
bitterer Erfahrung, daß, wenn die eine Schwindelfirma sich überlebt hat, zehn
andere wie die Köpfe der Hydra nachwachsen -- er weiß das alles, aber die
Suggestion des falsch angewandten Freihandelsgedankens wirkt so nachhaltig,
daß man lieber alles an der alten Stelle läßt als Großaufräumen wagt. Man
geniert sich vor dem peinlichen Staub, der dabei aufgewirbelt werden müßte;
man fürchtet einen kostspieligen und lästigen Kontrollapparat; lieber läßt man
die paar Diebe laufen, ehe daß jedem anständigen Menschen die Taschen
visitiert werden. Als ob nicht notwendigerweise aus den paar Dieben eine
stattliche Zunft sich entwickeln muß, sobald die Herrschaften wissen, daß man
ihnen nicht auf die Finger sieht und nicht auf die Finger klopft.

Andere wieder geben zu, daß etwas getan werden muß; sie sagen aber,
daß der Staat mit seinen Gesetzen, Verordnungen. Überwachungen schon so
gründliche Arbeit leiste, in seiner Geschäftsfremdheit und Geschäftsfeindlichkeit
das Erwerbsleben dermaßen schädige, daß der Unternehmerstand schon im Interesse
der Produktivität hier nicht stoßen, sondern bremsen müsse. Als ob das nicht


Männer, die wir brauchen

braucht nur einen Blick in die Fachzeitschriften, Reichstagspetitionen, Enquete¬
berichte, Konventionsverhandlungen, Gerichtsakten usw. zu werfen, um die
Wahrheit zu erfahren. Das sind ja eben die unseligen Folgen falscher Soli¬
darität: was durch wirtschaftliches Interesse miteinander verbunden ist, das
hängt zusammen wie die Kletten und — bestreitet alles. Wer sich über den
Magerkäsehandel orientieren will, muß den Vollfettkäsefabrikanten befragen; wer
von vereinzelten Menschlichkeiten in den Konsumvereinen etwas erfahren will,
muß zu den Nabattsparvereinlern gehen, die Sünden der Agrarier stehen im
Berliner Tageblatt und die Sünden des Händlertums in der Deutschen Tages¬
zeitung. Wo aber der Haß den Griffel führt, da gibt es ein verzerrtes Bild,
das viel mühseliger zu berichtigen ist, als wenn man von Anfang an einzelne
Schäden im eigenen Berufsverbande unparteiisch untersuchte und zugäbe. Es
ist eine falsche Ethik, die in: Namen des Gemeinwohls sich über den Schmutz
ini Nachbargehöfte entrüstet. Sittlichkeit fordert Aufrichtigkeit gegen sich selbst
und beginnt zu Hause. Wir wären viel weiter, wenn durch die unendlich
vielen Jnteressenkonstellationen der heutigen Wirtschaft ein einziger großer
Querschnitt gelegt würde, der in allen die gleiche simple Trennungslinie zöge:
die Partei der anständigen Geschäftsleute auf der einen Seite, die der zweifel¬
haften und unzweifelhaften Elemente auf der anderen.

Während die einen, wie gesagt, das Dasein solcher Elemente ganz leugnen,
erhoffen die anderen, welche Übelstände zugeben, ihr Verschwinden durch das
Walten der freien Konkurrenz. Die Wirklichkeit zwar predigt jedem, der hören
will, aufdringlich und unablässig das Gegenteil. Jeder kennt in seinem Berufs¬
zweige Geschäfte, die durch unlautere Praktiken hochgekommen sind und seit
Jahren obenauf schwimmen, kennt Schein- und Schundfabrikate, die sich durch
hartnäckige Reklame fest eingebürgert haben, kennt Mißstünde, die durch be¬
quemes Gewährenlassen heute überall eingewurzelt sind; er weiß aus eigener
bitterer Erfahrung, daß, wenn die eine Schwindelfirma sich überlebt hat, zehn
andere wie die Köpfe der Hydra nachwachsen — er weiß das alles, aber die
Suggestion des falsch angewandten Freihandelsgedankens wirkt so nachhaltig,
daß man lieber alles an der alten Stelle läßt als Großaufräumen wagt. Man
geniert sich vor dem peinlichen Staub, der dabei aufgewirbelt werden müßte;
man fürchtet einen kostspieligen und lästigen Kontrollapparat; lieber läßt man
die paar Diebe laufen, ehe daß jedem anständigen Menschen die Taschen
visitiert werden. Als ob nicht notwendigerweise aus den paar Dieben eine
stattliche Zunft sich entwickeln muß, sobald die Herrschaften wissen, daß man
ihnen nicht auf die Finger sieht und nicht auf die Finger klopft.

Andere wieder geben zu, daß etwas getan werden muß; sie sagen aber,
daß der Staat mit seinen Gesetzen, Verordnungen. Überwachungen schon so
gründliche Arbeit leiste, in seiner Geschäftsfremdheit und Geschäftsfeindlichkeit
das Erwerbsleben dermaßen schädige, daß der Unternehmerstand schon im Interesse
der Produktivität hier nicht stoßen, sondern bremsen müsse. Als ob das nicht


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[0464] Männer, die wir brauchen braucht nur einen Blick in die Fachzeitschriften, Reichstagspetitionen, Enquete¬ berichte, Konventionsverhandlungen, Gerichtsakten usw. zu werfen, um die Wahrheit zu erfahren. Das sind ja eben die unseligen Folgen falscher Soli¬ darität: was durch wirtschaftliches Interesse miteinander verbunden ist, das hängt zusammen wie die Kletten und — bestreitet alles. Wer sich über den Magerkäsehandel orientieren will, muß den Vollfettkäsefabrikanten befragen; wer von vereinzelten Menschlichkeiten in den Konsumvereinen etwas erfahren will, muß zu den Nabattsparvereinlern gehen, die Sünden der Agrarier stehen im Berliner Tageblatt und die Sünden des Händlertums in der Deutschen Tages¬ zeitung. Wo aber der Haß den Griffel führt, da gibt es ein verzerrtes Bild, das viel mühseliger zu berichtigen ist, als wenn man von Anfang an einzelne Schäden im eigenen Berufsverbande unparteiisch untersuchte und zugäbe. Es ist eine falsche Ethik, die in: Namen des Gemeinwohls sich über den Schmutz ini Nachbargehöfte entrüstet. Sittlichkeit fordert Aufrichtigkeit gegen sich selbst und beginnt zu Hause. Wir wären viel weiter, wenn durch die unendlich vielen Jnteressenkonstellationen der heutigen Wirtschaft ein einziger großer Querschnitt gelegt würde, der in allen die gleiche simple Trennungslinie zöge: die Partei der anständigen Geschäftsleute auf der einen Seite, die der zweifel¬ haften und unzweifelhaften Elemente auf der anderen. Während die einen, wie gesagt, das Dasein solcher Elemente ganz leugnen, erhoffen die anderen, welche Übelstände zugeben, ihr Verschwinden durch das Walten der freien Konkurrenz. Die Wirklichkeit zwar predigt jedem, der hören will, aufdringlich und unablässig das Gegenteil. Jeder kennt in seinem Berufs¬ zweige Geschäfte, die durch unlautere Praktiken hochgekommen sind und seit Jahren obenauf schwimmen, kennt Schein- und Schundfabrikate, die sich durch hartnäckige Reklame fest eingebürgert haben, kennt Mißstünde, die durch be¬ quemes Gewährenlassen heute überall eingewurzelt sind; er weiß aus eigener bitterer Erfahrung, daß, wenn die eine Schwindelfirma sich überlebt hat, zehn andere wie die Köpfe der Hydra nachwachsen — er weiß das alles, aber die Suggestion des falsch angewandten Freihandelsgedankens wirkt so nachhaltig, daß man lieber alles an der alten Stelle läßt als Großaufräumen wagt. Man geniert sich vor dem peinlichen Staub, der dabei aufgewirbelt werden müßte; man fürchtet einen kostspieligen und lästigen Kontrollapparat; lieber läßt man die paar Diebe laufen, ehe daß jedem anständigen Menschen die Taschen visitiert werden. Als ob nicht notwendigerweise aus den paar Dieben eine stattliche Zunft sich entwickeln muß, sobald die Herrschaften wissen, daß man ihnen nicht auf die Finger sieht und nicht auf die Finger klopft. Andere wieder geben zu, daß etwas getan werden muß; sie sagen aber, daß der Staat mit seinen Gesetzen, Verordnungen. Überwachungen schon so gründliche Arbeit leiste, in seiner Geschäftsfremdheit und Geschäftsfeindlichkeit das Erwerbsleben dermaßen schädige, daß der Unternehmerstand schon im Interesse der Produktivität hier nicht stoßen, sondern bremsen müsse. Als ob das nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/464>, abgerufen am 01.01.2025.