Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Lin Streifzug durch die neueste philosophische Literatur kritisiert. Sein Versuch, nachzuweisen, daß das, was Verworn konditionale Welt¬ Die Annahme, daß alles was ist oder geschieht, eine Ursache seines Seins Nach alledem wird es nicht als kleinlich erscheinen, sondern als eine berechtigte Die Philosophie unserer Zeit ist durch eine gewisse Gegensätzlichkeit ihrer Be¬ Lin Streifzug durch die neueste philosophische Literatur kritisiert. Sein Versuch, nachzuweisen, daß das, was Verworn konditionale Welt¬ Die Annahme, daß alles was ist oder geschieht, eine Ursache seines Seins Nach alledem wird es nicht als kleinlich erscheinen, sondern als eine berechtigte Die Philosophie unserer Zeit ist durch eine gewisse Gegensätzlichkeit ihrer Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327921"/> <fw type="header" place="top"> Lin Streifzug durch die neueste philosophische Literatur</fw><lb/> <p xml:id="ID_2111" prev="#ID_2110"> kritisiert. Sein Versuch, nachzuweisen, daß das, was Verworn konditionale Welt¬<lb/> anschauung nennt, in Wahrheit — d. h. wenn man es von den Fehlern, die Ver¬<lb/> worn macht, befreit — mit der kausalen Weltanschauung identisch sei, muß als<lb/> mißglückt angesehen werden. Roux' Definitionen von Ursache, Kausalität, Wirken<lb/> usw. sind Zirkeldefinitionen. Durch Ableitung synthetischer Folgesätze aus dem<lb/> Kausalgesetz (siehe insbesondere S. 39 ff.) löst man nicht das Kausalproblem. Wenn<lb/> endlich dem Umstand, daß aus unsichtbaren Ursachen sichtbare Wirkungen folgen<lb/> können, eine Bedeutung für die sachlichen Grundlagen unseres kausalen Erkennens<lb/> beigelegt wird, so ist das eine verhängnisvolle Verschlingung der Probleme cula<lb/> tanti? und quick juris?</p><lb/> <p xml:id="ID_2112"> Die Annahme, daß alles was ist oder geschieht, eine Ursache seines Seins<lb/> oder Geschehens habe, gehört zu den allen Einzelwissenschaften gemeinsamen Vor¬<lb/> aussetzungen über die sachlichen Grundlagen unseres Erkennens, deren Berechtigung<lb/> die Erkenntnistheorie nachprüft. Für diese erkenntnistheoretischen Rechtsfragen sind<lb/> aber Tatsachenfragen, wie die nach Sichtbarkeit oder Unsichtbarreit, niemals ent-<lb/> scheidend. Der Umstand, daß eine unsichtbare Ursache eine sichtbare Wirkung haben<lb/> kann, ist für die Lösung des allgemeinen Kausalproblems ebenso bedeutungslos,<lb/> wie etwa die Frage, ob eine grüne Ursache eine gelbe Wirkung, oder ob eine<lb/> kalte Ursache eine warme Wirkung haben könne usw.</p><lb/> <p xml:id="ID_2113"> Nach alledem wird es nicht als kleinlich erscheinen, sondern als eine berechtigte<lb/> und notwendige Kritik der ungenügenden logischen Sorgfalt des Verfassers, wenn<lb/> ich darauf hinweise, daß seine Schrift mit einem logischen Schnitzer schließt. „Die<lb/> Weltanschauung M. Verworns würde, wenn sie richtig wäre, statt Licht Dunkel<lb/> verbreiten" — so lauten Roux' Schlußworte. Wende ich auf dieses Urteil den<lb/> „moäuZ ponenZ" der Logiker an, so ergibt sich: „Die Weltanschauung Verworns<lb/> ist richtig. Also verbreitet sie statt Licht Dunkel." Nun entspricht aber gerade das<lb/> kontradiktvrische Gegenteil des ersten dieser beiden Sätze Roux' wirklicher An¬<lb/> sicht! Er ist überzeugt, daß die Weltanschauung Verworns nicht richtig ist. Dem¬<lb/> nach müßte Roux, nach seinen eigenen Voraussetzungen, im zweiten Satze schließen:<lb/> Also verbreitet sie nicht statt Licht Dunkel, sondern tatsächlich Licht. Roux sagt<lb/> also das Gegenteil von dem, was er sagen Willi „Zwar ist es mit der Gedanken¬<lb/> fabrik, wie mit einem Webermeisterstück I . .</p><lb/> <p xml:id="ID_2114" next="#ID_2115"> Die Philosophie unserer Zeit ist durch eine gewisse Gegensätzlichkeit ihrer Be¬<lb/> strebungen gekennzeichnet. Das zeigten wir, indem wir auf die verschiedene Deutung<lb/> des Begriffes der philosophischen Erfahrung durch die philosophierenden Naturwissen-<lb/> schafter einerseits und die „Jntuitionisten" (Bergson) anderseits hinwiesen. Gegen¬<lb/> sätzlichkeit zeigt sich aber auch im einzelnen, sogar in den Sonderfragen philosophie¬<lb/> geschichtlicher Interpretation. „Was ist uns heute Kant?" ist nach wie vor eine<lb/> Lieblingsfrage dieser Cinzelforschung. Zu diesem Thema liegen uns zwei Ver¬<lb/> öffentlichungen vor, wie sie gegensätzlicher nicht gedacht werden können. Georg<lb/> Simmels bekannte, geistreiche Vorlesungen über Kant liegen nunmehr bereits<lb/> in dritter, erweiterter Auflage vor (München 1913, Duncker u. Humblot). Simmels<lb/> Ziel ist ein positives: er will aufbauen. Er will die „Kerngedanken, mit denen<lb/> Kant ein neues Weltbild gegründet hat, in das zeitlose Inventar des philosophischen<lb/> Besitzes einstellen." Er glaubt, damit eine allgemeine Einleitung in das philosophische<lb/> Denken verbinden zu können. Das Ziel der zweiten Kant-Publikation ist ein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
Lin Streifzug durch die neueste philosophische Literatur
kritisiert. Sein Versuch, nachzuweisen, daß das, was Verworn konditionale Welt¬
anschauung nennt, in Wahrheit — d. h. wenn man es von den Fehlern, die Ver¬
worn macht, befreit — mit der kausalen Weltanschauung identisch sei, muß als
mißglückt angesehen werden. Roux' Definitionen von Ursache, Kausalität, Wirken
usw. sind Zirkeldefinitionen. Durch Ableitung synthetischer Folgesätze aus dem
Kausalgesetz (siehe insbesondere S. 39 ff.) löst man nicht das Kausalproblem. Wenn
endlich dem Umstand, daß aus unsichtbaren Ursachen sichtbare Wirkungen folgen
können, eine Bedeutung für die sachlichen Grundlagen unseres kausalen Erkennens
beigelegt wird, so ist das eine verhängnisvolle Verschlingung der Probleme cula
tanti? und quick juris?
Die Annahme, daß alles was ist oder geschieht, eine Ursache seines Seins
oder Geschehens habe, gehört zu den allen Einzelwissenschaften gemeinsamen Vor¬
aussetzungen über die sachlichen Grundlagen unseres Erkennens, deren Berechtigung
die Erkenntnistheorie nachprüft. Für diese erkenntnistheoretischen Rechtsfragen sind
aber Tatsachenfragen, wie die nach Sichtbarkeit oder Unsichtbarreit, niemals ent-
scheidend. Der Umstand, daß eine unsichtbare Ursache eine sichtbare Wirkung haben
kann, ist für die Lösung des allgemeinen Kausalproblems ebenso bedeutungslos,
wie etwa die Frage, ob eine grüne Ursache eine gelbe Wirkung, oder ob eine
kalte Ursache eine warme Wirkung haben könne usw.
Nach alledem wird es nicht als kleinlich erscheinen, sondern als eine berechtigte
und notwendige Kritik der ungenügenden logischen Sorgfalt des Verfassers, wenn
ich darauf hinweise, daß seine Schrift mit einem logischen Schnitzer schließt. „Die
Weltanschauung M. Verworns würde, wenn sie richtig wäre, statt Licht Dunkel
verbreiten" — so lauten Roux' Schlußworte. Wende ich auf dieses Urteil den
„moäuZ ponenZ" der Logiker an, so ergibt sich: „Die Weltanschauung Verworns
ist richtig. Also verbreitet sie statt Licht Dunkel." Nun entspricht aber gerade das
kontradiktvrische Gegenteil des ersten dieser beiden Sätze Roux' wirklicher An¬
sicht! Er ist überzeugt, daß die Weltanschauung Verworns nicht richtig ist. Dem¬
nach müßte Roux, nach seinen eigenen Voraussetzungen, im zweiten Satze schließen:
Also verbreitet sie nicht statt Licht Dunkel, sondern tatsächlich Licht. Roux sagt
also das Gegenteil von dem, was er sagen Willi „Zwar ist es mit der Gedanken¬
fabrik, wie mit einem Webermeisterstück I . .
Die Philosophie unserer Zeit ist durch eine gewisse Gegensätzlichkeit ihrer Be¬
strebungen gekennzeichnet. Das zeigten wir, indem wir auf die verschiedene Deutung
des Begriffes der philosophischen Erfahrung durch die philosophierenden Naturwissen-
schafter einerseits und die „Jntuitionisten" (Bergson) anderseits hinwiesen. Gegen¬
sätzlichkeit zeigt sich aber auch im einzelnen, sogar in den Sonderfragen philosophie¬
geschichtlicher Interpretation. „Was ist uns heute Kant?" ist nach wie vor eine
Lieblingsfrage dieser Cinzelforschung. Zu diesem Thema liegen uns zwei Ver¬
öffentlichungen vor, wie sie gegensätzlicher nicht gedacht werden können. Georg
Simmels bekannte, geistreiche Vorlesungen über Kant liegen nunmehr bereits
in dritter, erweiterter Auflage vor (München 1913, Duncker u. Humblot). Simmels
Ziel ist ein positives: er will aufbauen. Er will die „Kerngedanken, mit denen
Kant ein neues Weltbild gegründet hat, in das zeitlose Inventar des philosophischen
Besitzes einstellen." Er glaubt, damit eine allgemeine Einleitung in das philosophische
Denken verbinden zu können. Das Ziel der zweiten Kant-Publikation ist ein
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |