Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Rcichsspiegel Mitleide seine Entstehung verdankt, oder ob sie endlich trotz des gegenteiligen Wer so ganz wird man bei diesem und ähnlichen vorausgegangenen Ist diese Betrachtung allgemeiner Natur, so knüpft sich an die Persönlichkeit Zuletzt noch eine zivilrechtliche Glosse zu dieseni Prozeß. Die erschossene Rcichsspiegel Mitleide seine Entstehung verdankt, oder ob sie endlich trotz des gegenteiligen Wer so ganz wird man bei diesem und ähnlichen vorausgegangenen Ist diese Betrachtung allgemeiner Natur, so knüpft sich an die Persönlichkeit Zuletzt noch eine zivilrechtliche Glosse zu dieseni Prozeß. Die erschossene <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327901"/> <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2029" prev="#ID_2028"> Mitleide seine Entstehung verdankt, oder ob sie endlich trotz des gegenteiligen<lb/> Gutachtens des Geheimrath Leppmann den Täter im Augenblicke der Tat für<lb/> unzurechnungsfähig gehalten haben, wer kann dies sagen. Die Geschworenen<lb/> brauchen ja leider für ihren Spruch keine Gründe anzugeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2030"> Wer so ganz wird man bei diesem und ähnlichen vorausgegangenen<lb/> Urteilen die Empfindung nicht los, daß wir doch leider langsam in französische<lb/> Zustände hineinsteuern, nach welchen der Totschläger im Ehedrama die<lb/> Sympathie der Geschworenen für sich und damit recht große Chancen auf<lb/> Freisprechung hat. Die strafrechtliche Lehre dieses und ähnlicher Urteile ist<lb/> jedenfalls die: Wenn du deine Frau beim Ehebruch ertappst, lasse dich ja<lb/> nicht dazu hinreißen, sie oder ihren Verehrer mit der Reitpeitsche, oder in den<lb/> unteren Ständen mit Stock oder Axt zu bearbeiten; denn dann kommst du<lb/> wegen gefährlicher Körperverletzung vor das Schöffengericht oder die Straf¬<lb/> kammer. Die dort amtierenden Berufsrichter haben wenig Verständnis für<lb/> das Ritterliche deiner Gewalttätigkeit und stecken dich aller Wahrscheinlichkeit<lb/> nach wegen gefährlicher Körperverletzung ins Gefängnis. Geräthe du also in<lb/> die vorgeschilderte Situation, dann schieße oder schlage deine Frau und ihren<lb/> Verehrer bald ganz tot; denn dann kommst du vor die Geschworenen, und dann<lb/> hast du 50 Prozent Chancen auf Freisprechung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2031"> Ist diese Betrachtung allgemeiner Natur, so knüpft sich an die Persönlichkeit<lb/> des Grafen Mielczynski in Verbindung mit diesem Freispruch auch eine<lb/> spezielle Betrachtung und zwar politischer Art. Sieht man sich die Namen der<lb/> tätig gewesenen Geschworenen an, so sind es fast durchweg deutsche Namen<lb/> und ihre Träger dürften auch nach ihren Berufen zum Deutschtum in Posen<lb/> gehören. Die Nationen stehen sich in Posen feindselig gegenüber. Graf<lb/> Mielczynski war polnischer Abgeordneter und ein anerkannter Führer der<lb/> Nationalpolen. In anerkennenswerter richterlicher Objektivität hat dieser Ge¬<lb/> sichtspunkt die Geschworenen keinen Augenblick abgehalten, ihren Wahrspruch<lb/> auf nichtschuldig abzugeben, nachdem sie sich einmal von der Schuldlosigkeit de<lb/> Grafen überzeugt hatten. Es sollte dies stets selbstverständlich sein und deshalb<lb/> keiner Erwähnung bedürfen, aber die polnische Presse gefällt sich jahraus jahr¬<lb/> ein darin, die deutschen Richter des Hakatismus zu verdächtigen und ihnen<lb/> Mangel an Objektivität vorzuwerfen. Auch die polnischen Abgeordneten ver¬<lb/> absäumen nie, bei der Diskussion des Justizetats in die gleiche Klage ein¬<lb/> zustimmen. Jetzt haben sie selbst an einem ihrer Parlamentarier die<lb/> Objektivität deutscher Richter wohl in einer Weise kennen gelernt, daß sie künftig<lb/> zu schweigen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2032" next="#ID_2033"> Zuletzt noch eine zivilrechtliche Glosse zu dieseni Prozeß. Die erschossene<lb/> Gräfin war jung und lebenslustig. Sie hat wohl kaum mit der Möglichkeit<lb/> eines nahen Endes gerechnet und dürfte kein Testament hinterlassen haben. So<lb/> tritt die gesetzliche Erbfolge ein, und danach wird Erbe neben ihren Kindern<lb/> eben dieser Ehegatte, der sie erschossen hat. Das Rechtsempfinden sträubt sich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
Rcichsspiegel
Mitleide seine Entstehung verdankt, oder ob sie endlich trotz des gegenteiligen
Gutachtens des Geheimrath Leppmann den Täter im Augenblicke der Tat für
unzurechnungsfähig gehalten haben, wer kann dies sagen. Die Geschworenen
brauchen ja leider für ihren Spruch keine Gründe anzugeben.
Wer so ganz wird man bei diesem und ähnlichen vorausgegangenen
Urteilen die Empfindung nicht los, daß wir doch leider langsam in französische
Zustände hineinsteuern, nach welchen der Totschläger im Ehedrama die
Sympathie der Geschworenen für sich und damit recht große Chancen auf
Freisprechung hat. Die strafrechtliche Lehre dieses und ähnlicher Urteile ist
jedenfalls die: Wenn du deine Frau beim Ehebruch ertappst, lasse dich ja
nicht dazu hinreißen, sie oder ihren Verehrer mit der Reitpeitsche, oder in den
unteren Ständen mit Stock oder Axt zu bearbeiten; denn dann kommst du
wegen gefährlicher Körperverletzung vor das Schöffengericht oder die Straf¬
kammer. Die dort amtierenden Berufsrichter haben wenig Verständnis für
das Ritterliche deiner Gewalttätigkeit und stecken dich aller Wahrscheinlichkeit
nach wegen gefährlicher Körperverletzung ins Gefängnis. Geräthe du also in
die vorgeschilderte Situation, dann schieße oder schlage deine Frau und ihren
Verehrer bald ganz tot; denn dann kommst du vor die Geschworenen, und dann
hast du 50 Prozent Chancen auf Freisprechung.
Ist diese Betrachtung allgemeiner Natur, so knüpft sich an die Persönlichkeit
des Grafen Mielczynski in Verbindung mit diesem Freispruch auch eine
spezielle Betrachtung und zwar politischer Art. Sieht man sich die Namen der
tätig gewesenen Geschworenen an, so sind es fast durchweg deutsche Namen
und ihre Träger dürften auch nach ihren Berufen zum Deutschtum in Posen
gehören. Die Nationen stehen sich in Posen feindselig gegenüber. Graf
Mielczynski war polnischer Abgeordneter und ein anerkannter Führer der
Nationalpolen. In anerkennenswerter richterlicher Objektivität hat dieser Ge¬
sichtspunkt die Geschworenen keinen Augenblick abgehalten, ihren Wahrspruch
auf nichtschuldig abzugeben, nachdem sie sich einmal von der Schuldlosigkeit de
Grafen überzeugt hatten. Es sollte dies stets selbstverständlich sein und deshalb
keiner Erwähnung bedürfen, aber die polnische Presse gefällt sich jahraus jahr¬
ein darin, die deutschen Richter des Hakatismus zu verdächtigen und ihnen
Mangel an Objektivität vorzuwerfen. Auch die polnischen Abgeordneten ver¬
absäumen nie, bei der Diskussion des Justizetats in die gleiche Klage ein¬
zustimmen. Jetzt haben sie selbst an einem ihrer Parlamentarier die
Objektivität deutscher Richter wohl in einer Weise kennen gelernt, daß sie künftig
zu schweigen haben.
Zuletzt noch eine zivilrechtliche Glosse zu dieseni Prozeß. Die erschossene
Gräfin war jung und lebenslustig. Sie hat wohl kaum mit der Möglichkeit
eines nahen Endes gerechnet und dürfte kein Testament hinterlassen haben. So
tritt die gesetzliche Erbfolge ein, und danach wird Erbe neben ihren Kindern
eben dieser Ehegatte, der sie erschossen hat. Das Rechtsempfinden sträubt sich
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