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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

-- sie saß allein in dem weitläufigen Hause und spann mit ihren Mägden.
Wer nicht fleißig war, der kriegte gelegentlich einen kleinen Schlag mit der
Peitsche, die neben der Gutsfrau lag. Lieber Gott, die Mägde lachten über
die sanfte Ermahnung: der Vogt konnte anders hauen. Aber sie schwatzten doch
nicht mehr so viel, wenn die Edelfrau nach dem Strafinstrument griff.

Draußen klang ein Trompetenstoß. Josias fuhr auf und strich sein blondes
Haar zurück, das ihm über die Augen gefallen war. Gottes Tod! Er hatte
gesessen und geträumt, während es draußen was zu reiten und zu erleben gab.
Eilig tiefer aus dem Zelt, und als Heilwig ihm begegnete, lachte er ihr
nur zu.

"Base, Euer Vater ist wohlbehalten in Laach und ich glaub, wir reiten
bald hin, um die Kutten gegen die Franzosen zu bewahren. Wollt Ihr mit,
so müßt Ihr den Welfenherren schöne Augen machen. Sie haben darüber zu
kommandieren I"

Dann kam die Botschaft, daß Mayen in französischen Händen war, und
zwei Tage später ging ein stattlicher Zug vom Rhein über Tönnistein in die
Eifelberge gen Laach. Hans Adolf ritt auf seinem schwarzen Mecklenburger
voran und ließ seine scharfen Augen über Wald und Steinbrüche gleiten. Der
letzteren gab es viele hier, und manchmal wünschte er sich die glatten, grauen
Schiefersteine für feine Haupt- und Residenzstadt Plön, wo seine Frau Ge¬
mahlin anstatt feiner das Regiment führte und manchmal ganz vernünftige Briefe
schrieb, wie man sie einem Frauenzimmer kaum zutrauen sollte. Er ritt nicht
allein. Neben ihm saß Heilwig Sehestedt auf einem zierlichen Fuchs, den der
eine Welfenherzog ihr liebenswürdig zur Verfügung gestellt hatte, und hinter
diesen zweien folgten die Braunschweiger. Reiter- und Fußvolk, lauter Erlesene,
Bauernsöhne aus der Heide und von Friesland, breitknochig und derb, die
Braunschweiger Farben auf der Brust tragend und die Lederhosen mit Gelb und
Blau besetzt.

Es mochten wohl an die zweihundert sein. Sie lachten oder ritten und
gingen bedächtig einher, wie es ihre Art war, spähten mit scharfen Augen um
sich und waren zufrieden, daß es einmal wieder Aussicht auf Kampf gab. Von
den Franzosen sah man die Spuren. Hier und dort stand ein zerstörtes Haus,
und wie es die Berge hinaufging, lag dort auch ein Bauer mit zerschmettertem
Kopf. Daneben ein paar Frauenröcke und nichts weiter.

"Es sind Marodeure gewesen!" sagte Hans Adolf, als er Heilwigs traurigen
Blick sah. "Liebes Fräulein, an dergleichen müßt Ihr Euch gewöhnen, wenn
Ihr anreiten wollt. Zwar hoffe ich, daß der Herr Abt Euch eine freundliche
Unterkunft gewähren möge, wenn auch nicht im Kloster, in das die Frauen
nicht einkehren dürfen, sondern vor demselben. Dies Laach soll ein sehr schöner
Ort sein, ich habe schon davon gehört und freue mich, es kennen zu lernen.
Was die Herren von der Geistlichkeit sind, die suchen sich gute Plätzchen aus.
auch bei uns weiß man davon zu sagen!"


Die Hexe von Mayen

— sie saß allein in dem weitläufigen Hause und spann mit ihren Mägden.
Wer nicht fleißig war, der kriegte gelegentlich einen kleinen Schlag mit der
Peitsche, die neben der Gutsfrau lag. Lieber Gott, die Mägde lachten über
die sanfte Ermahnung: der Vogt konnte anders hauen. Aber sie schwatzten doch
nicht mehr so viel, wenn die Edelfrau nach dem Strafinstrument griff.

Draußen klang ein Trompetenstoß. Josias fuhr auf und strich sein blondes
Haar zurück, das ihm über die Augen gefallen war. Gottes Tod! Er hatte
gesessen und geträumt, während es draußen was zu reiten und zu erleben gab.
Eilig tiefer aus dem Zelt, und als Heilwig ihm begegnete, lachte er ihr
nur zu.

„Base, Euer Vater ist wohlbehalten in Laach und ich glaub, wir reiten
bald hin, um die Kutten gegen die Franzosen zu bewahren. Wollt Ihr mit,
so müßt Ihr den Welfenherren schöne Augen machen. Sie haben darüber zu
kommandieren I"

Dann kam die Botschaft, daß Mayen in französischen Händen war, und
zwei Tage später ging ein stattlicher Zug vom Rhein über Tönnistein in die
Eifelberge gen Laach. Hans Adolf ritt auf seinem schwarzen Mecklenburger
voran und ließ seine scharfen Augen über Wald und Steinbrüche gleiten. Der
letzteren gab es viele hier, und manchmal wünschte er sich die glatten, grauen
Schiefersteine für feine Haupt- und Residenzstadt Plön, wo seine Frau Ge¬
mahlin anstatt feiner das Regiment führte und manchmal ganz vernünftige Briefe
schrieb, wie man sie einem Frauenzimmer kaum zutrauen sollte. Er ritt nicht
allein. Neben ihm saß Heilwig Sehestedt auf einem zierlichen Fuchs, den der
eine Welfenherzog ihr liebenswürdig zur Verfügung gestellt hatte, und hinter
diesen zweien folgten die Braunschweiger. Reiter- und Fußvolk, lauter Erlesene,
Bauernsöhne aus der Heide und von Friesland, breitknochig und derb, die
Braunschweiger Farben auf der Brust tragend und die Lederhosen mit Gelb und
Blau besetzt.

Es mochten wohl an die zweihundert sein. Sie lachten oder ritten und
gingen bedächtig einher, wie es ihre Art war, spähten mit scharfen Augen um
sich und waren zufrieden, daß es einmal wieder Aussicht auf Kampf gab. Von
den Franzosen sah man die Spuren. Hier und dort stand ein zerstörtes Haus,
und wie es die Berge hinaufging, lag dort auch ein Bauer mit zerschmettertem
Kopf. Daneben ein paar Frauenröcke und nichts weiter.

„Es sind Marodeure gewesen!" sagte Hans Adolf, als er Heilwigs traurigen
Blick sah. „Liebes Fräulein, an dergleichen müßt Ihr Euch gewöhnen, wenn
Ihr anreiten wollt. Zwar hoffe ich, daß der Herr Abt Euch eine freundliche
Unterkunft gewähren möge, wenn auch nicht im Kloster, in das die Frauen
nicht einkehren dürfen, sondern vor demselben. Dies Laach soll ein sehr schöner
Ort sein, ich habe schon davon gehört und freue mich, es kennen zu lernen.
Was die Herren von der Geistlichkeit sind, die suchen sich gute Plätzchen aus.
auch bei uns weiß man davon zu sagen!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/423>, abgerufen am 04.01.2025.