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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Obgleich es angenehm gewesen war, die Base in der Nähe zu haben. Sie
hatte ihm zwar sein Zelt weggenommen, und manchmal sah er sie nur selten,
da sie sich sehr für sich hielt; aber er wohnte jetzt ganz gut mit dem Rantzau
zusammen und hatte von ihm gute Unterhaltung.

Er stand jetzt vor dem Zelt, das er einst bewohnt hatte, und hob sacht
den Vorhang.

"Darf ich eintreten, Base Heilwig?"

Niemand aber antwortete ihm, und wie er näher trat, war der kleine Raum
leer. Er mußte lachen, als er sich umsah. Aus dem wenigen Hausrat, der
ihm gehörte und der meistens zerbrochen war, hatte Heilwig eine behagliche
Zusammenstellung gemacht. Auf dem Tisch lag eine bunte Decke, die bei ihm
ein Loch in der Leinwand verstopfte, auf ihr stand eine Schale mit Veilchen,
und über das Lager in der Ecke war eine saubere Decke gebreitet. Das Loch
aber im Zelt, das ihm so oft Beschwerden machte, war so gestopft und geflickt,
daß es kaum mehr zu sehen war.

Josias setzte sich einen Augenblick auf den dreibeintgen Stuhl, der seine
Schadhaftigkeit gleichfalls unter einer bunten Decke verbarg, und dann nahm
er die Schale mit Veilchen in die Hand und atmete ihren Dust ein. Woher
hatte Heilwig sie? Eigentlich war die erste Zeit der Veilchen vorüber, es war
doch Mai, und auf Schierensee in Holstein blühten die Veilchen im April. Aber
hier gab es in den Wäldern wohl kühle Plätzchen, wo die Blumen später
kamen. Manchmal wagten sich die Bauernkinder aus der Umgegend ins Lager,
um ihre wenigen Blumen anzubieten. Meistens wurden sie ihnen allerdings
weggenommen.

Ach ja, das Leben war rauh, und eigentlich war es langweilig, sein Fell
für andere zu Markte zu tragen. Denn was hatte Holstein davon, wenn der
Franzose Prügel kriegte? Josias' Oberherr war der König von Dänemark, und
der war eigentlich gut Freund mit dem Ludwig von Frankreich. Es mußte
jetzt nett auf Schierensee sein. Das Gut lag unweit von Kiel, und in der
Stadt konnte man auch seit einigen Jahren studieren. Josias war nicht für die
Gelehrsamkeit, aber einige Junker seiner Verwandtschaft lernten dort und machten
dabei lustige Streiche.

Die Sehestedts hatten ein Stadthaus in Kiel, und wenn es der Mutter
zu öde wurde auf Schierensee, dann fuhr sie dorthin und ging zu Gesellschaften
aufs Schloß, wo der Gottorper Herzog gelegentlich Hof hielt, wenn er sich nicht
gerade mit seinem königlichen Vetter erzürnte und dann in Hamburg oder
sonstwo schmollte.

Ach, wie blau war die Kieler Föhrde, wie grün waren die Buchenwälder
an ihrem Ufer! Flinte Fischerboote fuhren ans Ufer und brachten Goldbutt
und Dorsch; sie räucherten kleine leckere Fische und verkauften sie weit in die
Ferne. Wenn Josias wollte, konnte er aus Schierensee sein, wo jetzt die Saat
grünte und die Kühe auf die Weide kamen. Seine Mutter würde sich freuen


Die Hexe von Mayen

Obgleich es angenehm gewesen war, die Base in der Nähe zu haben. Sie
hatte ihm zwar sein Zelt weggenommen, und manchmal sah er sie nur selten,
da sie sich sehr für sich hielt; aber er wohnte jetzt ganz gut mit dem Rantzau
zusammen und hatte von ihm gute Unterhaltung.

Er stand jetzt vor dem Zelt, das er einst bewohnt hatte, und hob sacht
den Vorhang.

„Darf ich eintreten, Base Heilwig?"

Niemand aber antwortete ihm, und wie er näher trat, war der kleine Raum
leer. Er mußte lachen, als er sich umsah. Aus dem wenigen Hausrat, der
ihm gehörte und der meistens zerbrochen war, hatte Heilwig eine behagliche
Zusammenstellung gemacht. Auf dem Tisch lag eine bunte Decke, die bei ihm
ein Loch in der Leinwand verstopfte, auf ihr stand eine Schale mit Veilchen,
und über das Lager in der Ecke war eine saubere Decke gebreitet. Das Loch
aber im Zelt, das ihm so oft Beschwerden machte, war so gestopft und geflickt,
daß es kaum mehr zu sehen war.

Josias setzte sich einen Augenblick auf den dreibeintgen Stuhl, der seine
Schadhaftigkeit gleichfalls unter einer bunten Decke verbarg, und dann nahm
er die Schale mit Veilchen in die Hand und atmete ihren Dust ein. Woher
hatte Heilwig sie? Eigentlich war die erste Zeit der Veilchen vorüber, es war
doch Mai, und auf Schierensee in Holstein blühten die Veilchen im April. Aber
hier gab es in den Wäldern wohl kühle Plätzchen, wo die Blumen später
kamen. Manchmal wagten sich die Bauernkinder aus der Umgegend ins Lager,
um ihre wenigen Blumen anzubieten. Meistens wurden sie ihnen allerdings
weggenommen.

Ach ja, das Leben war rauh, und eigentlich war es langweilig, sein Fell
für andere zu Markte zu tragen. Denn was hatte Holstein davon, wenn der
Franzose Prügel kriegte? Josias' Oberherr war der König von Dänemark, und
der war eigentlich gut Freund mit dem Ludwig von Frankreich. Es mußte
jetzt nett auf Schierensee sein. Das Gut lag unweit von Kiel, und in der
Stadt konnte man auch seit einigen Jahren studieren. Josias war nicht für die
Gelehrsamkeit, aber einige Junker seiner Verwandtschaft lernten dort und machten
dabei lustige Streiche.

Die Sehestedts hatten ein Stadthaus in Kiel, und wenn es der Mutter
zu öde wurde auf Schierensee, dann fuhr sie dorthin und ging zu Gesellschaften
aufs Schloß, wo der Gottorper Herzog gelegentlich Hof hielt, wenn er sich nicht
gerade mit seinem königlichen Vetter erzürnte und dann in Hamburg oder
sonstwo schmollte.

Ach, wie blau war die Kieler Föhrde, wie grün waren die Buchenwälder
an ihrem Ufer! Flinte Fischerboote fuhren ans Ufer und brachten Goldbutt
und Dorsch; sie räucherten kleine leckere Fische und verkauften sie weit in die
Ferne. Wenn Josias wollte, konnte er aus Schierensee sein, wo jetzt die Saat
grünte und die Kühe auf die Weide kamen. Seine Mutter würde sich freuen


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[0422] Die Hexe von Mayen Obgleich es angenehm gewesen war, die Base in der Nähe zu haben. Sie hatte ihm zwar sein Zelt weggenommen, und manchmal sah er sie nur selten, da sie sich sehr für sich hielt; aber er wohnte jetzt ganz gut mit dem Rantzau zusammen und hatte von ihm gute Unterhaltung. Er stand jetzt vor dem Zelt, das er einst bewohnt hatte, und hob sacht den Vorhang. „Darf ich eintreten, Base Heilwig?" Niemand aber antwortete ihm, und wie er näher trat, war der kleine Raum leer. Er mußte lachen, als er sich umsah. Aus dem wenigen Hausrat, der ihm gehörte und der meistens zerbrochen war, hatte Heilwig eine behagliche Zusammenstellung gemacht. Auf dem Tisch lag eine bunte Decke, die bei ihm ein Loch in der Leinwand verstopfte, auf ihr stand eine Schale mit Veilchen, und über das Lager in der Ecke war eine saubere Decke gebreitet. Das Loch aber im Zelt, das ihm so oft Beschwerden machte, war so gestopft und geflickt, daß es kaum mehr zu sehen war. Josias setzte sich einen Augenblick auf den dreibeintgen Stuhl, der seine Schadhaftigkeit gleichfalls unter einer bunten Decke verbarg, und dann nahm er die Schale mit Veilchen in die Hand und atmete ihren Dust ein. Woher hatte Heilwig sie? Eigentlich war die erste Zeit der Veilchen vorüber, es war doch Mai, und auf Schierensee in Holstein blühten die Veilchen im April. Aber hier gab es in den Wäldern wohl kühle Plätzchen, wo die Blumen später kamen. Manchmal wagten sich die Bauernkinder aus der Umgegend ins Lager, um ihre wenigen Blumen anzubieten. Meistens wurden sie ihnen allerdings weggenommen. Ach ja, das Leben war rauh, und eigentlich war es langweilig, sein Fell für andere zu Markte zu tragen. Denn was hatte Holstein davon, wenn der Franzose Prügel kriegte? Josias' Oberherr war der König von Dänemark, und der war eigentlich gut Freund mit dem Ludwig von Frankreich. Es mußte jetzt nett auf Schierensee sein. Das Gut lag unweit von Kiel, und in der Stadt konnte man auch seit einigen Jahren studieren. Josias war nicht für die Gelehrsamkeit, aber einige Junker seiner Verwandtschaft lernten dort und machten dabei lustige Streiche. Die Sehestedts hatten ein Stadthaus in Kiel, und wenn es der Mutter zu öde wurde auf Schierensee, dann fuhr sie dorthin und ging zu Gesellschaften aufs Schloß, wo der Gottorper Herzog gelegentlich Hof hielt, wenn er sich nicht gerade mit seinem königlichen Vetter erzürnte und dann in Hamburg oder sonstwo schmollte. Ach, wie blau war die Kieler Föhrde, wie grün waren die Buchenwälder an ihrem Ufer! Flinte Fischerboote fuhren ans Ufer und brachten Goldbutt und Dorsch; sie räucherten kleine leckere Fische und verkauften sie weit in die Ferne. Wenn Josias wollte, konnte er aus Schierensee sein, wo jetzt die Saat grünte und die Kühe auf die Weide kamen. Seine Mutter würde sich freuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/422>, abgerufen am 04.01.2025.