Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie 9. Legt man zwei Crailsheimer Hornaffen so, daß die drei vorragenden Teile Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie 9. Legt man zwei Crailsheimer Hornaffen so, daß die drei vorragenden Teile <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327875"/> <fw type="header" place="top"> Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> 9.</head><lb/> <p xml:id="ID_1891" next="#ID_1892"> Legt man zwei Crailsheimer Hornaffen so, daß die drei vorragenden Teile<lb/> des einen an die drei vorragenden Teile des anderen stoßen, so bildet sich aus<lb/> der Horn-Drei eineHorn-Achte; jeder Hornaffe ist gewissermaßen eine senkrecht durch-<lb/> geschnitteneHorn-Achte, also eine halbeHorn-Achte. DerBäcker löst darum von einer<lb/> Horn-Achte doppelt soviel als von einer Horn-Drei. Natürlicherweise verkauft er<lb/> darum lieber Hornachten als Horndreien. Da jeder Bäcker früherer Jahrhunderte nur<lb/> zu einer besonderen Art von Gebäck konzessioniert war, so durfte der Horn»<lb/> affenbäcker wohl offene Hörner, nicht aber geschlossene Hörner oder Ringe, selbst¬<lb/> verständlich auch nicht Hornachten (d. h. Doppelringe) backen; er war kein<lb/> „Rinkenbäcker", sondern eben nur „Hornaffenbäcker". Hornachten waren nichts<lb/> anderes als zwei zusammenstoßende Ringe. Zeitweilig ergingen sogar Verbote<lb/> gegen das Hornaffenbacken überhaupt, und zwar aus kirchlichen Rücksichten.<lb/> Das Luthertum wollte nichts wissen von Festen der katholischen Kirche zur Feier<lb/> der Reinigung der Jungfrau Maria oder des heiligen Martin. Das Interim<lb/> des Jahres 1641 milderte diese Auffassung. Daraus erklärt sich ein Eintrag<lb/> im Ratsprotokoll von schwäbisch-Hall vom Juli 1646. Er lautet: „Se.s<lb/> Wittib bitt, weil das Handwerk gar schlecht und die Kontribution hoch, das<lb/> Hornaffenbacken, so eine Zeitlang verboten, ihr allein zu verwilligen. Ein ehr¬<lb/> barer Rat verwilligts nicht allein ihr, sondern allen, die sich darauf verstehen."<lb/> Wir lernen daraus, daß in Hall, wo 1380 wie gegenwärtig Hornaffen nicht<lb/> üblich sind, zwischen 1380 und der Reformationseinführung Hornaffen gebacken,<lb/> dann aber — wahrscheinlich infolge der eingeführten Reformation — verboten<lb/> waren und verboten blieben, bis im Jahre 1646 der Stadtrat das Verbot<lb/> zwar aufhob, aber von Privilegierung einzelner Bäcker mit dem Hornaffen¬<lb/> backen absah und so liberal war, alle Bäcker, die Hornaffen zu backen „ver¬<lb/> stehen", dazu für berechtigt zu erklären. Danach scheint das Ende des Dreißig¬<lb/> jährigen Krieges auch das Ende derjenigen Zeit gewesen zu sein, welche zunft¬<lb/> gemäß den einzelnen Bäcker auf ein bestimmtes Gebäck beschränkte. Wenn daher<lb/> von Falkenstein in seiner thüringischen Chronik 1711 von einem Bäcker in Erfurt<lb/> erzählt, der vorlängst dort einmal (wie wir das eben von? Haller Bäcker des<lb/> Jahres 1646 sahen) den Antrag gestellt habe, ihm das Backen von „Horn¬<lb/> achten" zu gestatten, damit er dadurch aus seiner bedrängten Vermögenslage sich<lb/> aufhelfen könne, so wird dieser Vorgang wohl in die Zeit zu setzen sein, die<lb/> vor dem westfälischen Frieden liegt. Der Antrag bedeutet dann, daß jener<lb/> Bäcker ein Hornaffenbäcker war, aber bat, seine Backbesugnis auf Hornachten<lb/> ausdehnen zu dürfen, um sein Gewerbe zu heben. Das wurde ihm nach<lb/> Falkenstein gestattet. Daran schließt derselbe Chronikenschreiber die Be¬<lb/> merkung, daß seitdem in Erfurt die „Hornachten" besonders beliebt gewesen<lb/> seien. Er verbindet damit die Vermutung, daß die seinerzeit dort bekannten<lb/> „Hornaffen" nichts anderes seien, als jene damals eingeführten „Hornachten";<lb/> der Hornaffe sei eine sprachliche Mißgestaltung der Hornachte. Hier irrt aber</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie
9.
Legt man zwei Crailsheimer Hornaffen so, daß die drei vorragenden Teile
des einen an die drei vorragenden Teile des anderen stoßen, so bildet sich aus
der Horn-Drei eineHorn-Achte; jeder Hornaffe ist gewissermaßen eine senkrecht durch-
geschnitteneHorn-Achte, also eine halbeHorn-Achte. DerBäcker löst darum von einer
Horn-Achte doppelt soviel als von einer Horn-Drei. Natürlicherweise verkauft er
darum lieber Hornachten als Horndreien. Da jeder Bäcker früherer Jahrhunderte nur
zu einer besonderen Art von Gebäck konzessioniert war, so durfte der Horn»
affenbäcker wohl offene Hörner, nicht aber geschlossene Hörner oder Ringe, selbst¬
verständlich auch nicht Hornachten (d. h. Doppelringe) backen; er war kein
„Rinkenbäcker", sondern eben nur „Hornaffenbäcker". Hornachten waren nichts
anderes als zwei zusammenstoßende Ringe. Zeitweilig ergingen sogar Verbote
gegen das Hornaffenbacken überhaupt, und zwar aus kirchlichen Rücksichten.
Das Luthertum wollte nichts wissen von Festen der katholischen Kirche zur Feier
der Reinigung der Jungfrau Maria oder des heiligen Martin. Das Interim
des Jahres 1641 milderte diese Auffassung. Daraus erklärt sich ein Eintrag
im Ratsprotokoll von schwäbisch-Hall vom Juli 1646. Er lautet: „Se.s
Wittib bitt, weil das Handwerk gar schlecht und die Kontribution hoch, das
Hornaffenbacken, so eine Zeitlang verboten, ihr allein zu verwilligen. Ein ehr¬
barer Rat verwilligts nicht allein ihr, sondern allen, die sich darauf verstehen."
Wir lernen daraus, daß in Hall, wo 1380 wie gegenwärtig Hornaffen nicht
üblich sind, zwischen 1380 und der Reformationseinführung Hornaffen gebacken,
dann aber — wahrscheinlich infolge der eingeführten Reformation — verboten
waren und verboten blieben, bis im Jahre 1646 der Stadtrat das Verbot
zwar aufhob, aber von Privilegierung einzelner Bäcker mit dem Hornaffen¬
backen absah und so liberal war, alle Bäcker, die Hornaffen zu backen „ver¬
stehen", dazu für berechtigt zu erklären. Danach scheint das Ende des Dreißig¬
jährigen Krieges auch das Ende derjenigen Zeit gewesen zu sein, welche zunft¬
gemäß den einzelnen Bäcker auf ein bestimmtes Gebäck beschränkte. Wenn daher
von Falkenstein in seiner thüringischen Chronik 1711 von einem Bäcker in Erfurt
erzählt, der vorlängst dort einmal (wie wir das eben von? Haller Bäcker des
Jahres 1646 sahen) den Antrag gestellt habe, ihm das Backen von „Horn¬
achten" zu gestatten, damit er dadurch aus seiner bedrängten Vermögenslage sich
aufhelfen könne, so wird dieser Vorgang wohl in die Zeit zu setzen sein, die
vor dem westfälischen Frieden liegt. Der Antrag bedeutet dann, daß jener
Bäcker ein Hornaffenbäcker war, aber bat, seine Backbesugnis auf Hornachten
ausdehnen zu dürfen, um sein Gewerbe zu heben. Das wurde ihm nach
Falkenstein gestattet. Daran schließt derselbe Chronikenschreiber die Be¬
merkung, daß seitdem in Erfurt die „Hornachten" besonders beliebt gewesen
seien. Er verbindet damit die Vermutung, daß die seinerzeit dort bekannten
„Hornaffen" nichts anderes seien, als jene damals eingeführten „Hornachten";
der Hornaffe sei eine sprachliche Mißgestaltung der Hornachte. Hier irrt aber
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