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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

der Oberbürgermeister von Hall, und die unter ihm kämpfenden Bürger der
drei Reichsstädte nicht starkbärtige Leute gewesen? Nur wer das voraussetzt,
kann es für möglich halten, daß die Reichsstädter den Crailsheimern ihre
Starkbärtigkeit spottweise vorgeworfen hätten.

Diese ihre vermeintliche Sondereigenschast gab dann aber offenbar den
Grund ab, die Horaffen, die man bereits angefangen hatte, in Karaffen zu
verhochdeutschen, noch weiter sogar in "Haaraffen" umzumodeln.

Daß die Reichsstädter die Wortform Horaffen 1380 anwendeten und nicht
Hornaffen, darf nicht auffallen. Wir haben bereits (S.350 Heft47 von 1913) das
Wort Hör als einfache Nachbildung von Horn bezeugt gefunden. Außerdem wird
in der Crailsheimer Gegend noch heute sprachlich der Endbuchstabe in Wörtern
wie Dorn und Horn abgeschliffen. Wenn auch jetzt ein solches Abschleifen bei
zusammengesetzten Worten, wie Dornbusch, Hornvieh nicht mehr vorkommt, so
schließt das nicht aus, daß man 1380 im Württembergischen Horaff statt Horn¬
affe sprach, wie solche Abschleifung des n im heutigen schlesischen Mohhorn als
Tatsache jedermann vor Augen liegt. Es fehlt auch jeder vernünftige Grund,
gelegentlich der aufgegebenen Belagerung die Sieger mit einem Schmutznamen
zu bewerfen. Wahrscheinlich ist, um dies als möglich erscheinen zu lassen,
überhaupt erst in neuerer Zeit die der Bürgermeisterin nachgesagte Heldentat --
frei, aber jedenfalls recht geschmacklos erfunden. Wer der Erfinder war, ist
nicht sicher festzustellen. Im Jahre 1853 lieferte aber der jetzt verschollene
Bautechniker Back dem Crailsheimer Rathaus einen Ofenschirm, auf welchem im
Bilde die Belagerung von 1380 dargestellt war. Man sah die Feinde Crailsheims
von der starken Mauer des hübschen Städtchens herabstürzen. Der Ofenschirm
ist verschwunden, diente aber im Jahre 1900 dem Maler Horlacher in Crailsheim
als Motiv für ein noch dort befindliches etwa einen Quadratmeter großes Ge¬
mälde, dem 1903 die in Crailsheim jetzt gebräuchliche Postansichtskarte nach¬
gebildet ist*). Sie wiederholt das Bild im Kleinen, fügt aber zugleich, indem
sie den früheren Horaffe zu einem Haaraffe umformt, dem beigedrucktem Stadt¬
wappen oben, unten, wie an jeder Seite ein mit "Haaraffe" überschriebenes
(s. Abbildung) Konterfei des in Crailsheim noch üblichen Festgebäckes und drei




-) Beruht auf dankenswerter Mitteilung deS Herrn Dekan I^le. Hummel in Crailsheim
und ans Angaben der Karte.
Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

der Oberbürgermeister von Hall, und die unter ihm kämpfenden Bürger der
drei Reichsstädte nicht starkbärtige Leute gewesen? Nur wer das voraussetzt,
kann es für möglich halten, daß die Reichsstädter den Crailsheimern ihre
Starkbärtigkeit spottweise vorgeworfen hätten.

Diese ihre vermeintliche Sondereigenschast gab dann aber offenbar den
Grund ab, die Horaffen, die man bereits angefangen hatte, in Karaffen zu
verhochdeutschen, noch weiter sogar in „Haaraffen" umzumodeln.

Daß die Reichsstädter die Wortform Horaffen 1380 anwendeten und nicht
Hornaffen, darf nicht auffallen. Wir haben bereits (S.350 Heft47 von 1913) das
Wort Hör als einfache Nachbildung von Horn bezeugt gefunden. Außerdem wird
in der Crailsheimer Gegend noch heute sprachlich der Endbuchstabe in Wörtern
wie Dorn und Horn abgeschliffen. Wenn auch jetzt ein solches Abschleifen bei
zusammengesetzten Worten, wie Dornbusch, Hornvieh nicht mehr vorkommt, so
schließt das nicht aus, daß man 1380 im Württembergischen Horaff statt Horn¬
affe sprach, wie solche Abschleifung des n im heutigen schlesischen Mohhorn als
Tatsache jedermann vor Augen liegt. Es fehlt auch jeder vernünftige Grund,
gelegentlich der aufgegebenen Belagerung die Sieger mit einem Schmutznamen
zu bewerfen. Wahrscheinlich ist, um dies als möglich erscheinen zu lassen,
überhaupt erst in neuerer Zeit die der Bürgermeisterin nachgesagte Heldentat —
frei, aber jedenfalls recht geschmacklos erfunden. Wer der Erfinder war, ist
nicht sicher festzustellen. Im Jahre 1853 lieferte aber der jetzt verschollene
Bautechniker Back dem Crailsheimer Rathaus einen Ofenschirm, auf welchem im
Bilde die Belagerung von 1380 dargestellt war. Man sah die Feinde Crailsheims
von der starken Mauer des hübschen Städtchens herabstürzen. Der Ofenschirm
ist verschwunden, diente aber im Jahre 1900 dem Maler Horlacher in Crailsheim
als Motiv für ein noch dort befindliches etwa einen Quadratmeter großes Ge¬
mälde, dem 1903 die in Crailsheim jetzt gebräuchliche Postansichtskarte nach¬
gebildet ist*). Sie wiederholt das Bild im Kleinen, fügt aber zugleich, indem
sie den früheren Horaffe zu einem Haaraffe umformt, dem beigedrucktem Stadt¬
wappen oben, unten, wie an jeder Seite ein mit „Haaraffe" überschriebenes
(s. Abbildung) Konterfei des in Crailsheim noch üblichen Festgebäckes und drei




-) Beruht auf dankenswerter Mitteilung deS Herrn Dekan I^le. Hummel in Crailsheim
und ans Angaben der Karte.
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[0407] Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie der Oberbürgermeister von Hall, und die unter ihm kämpfenden Bürger der drei Reichsstädte nicht starkbärtige Leute gewesen? Nur wer das voraussetzt, kann es für möglich halten, daß die Reichsstädter den Crailsheimern ihre Starkbärtigkeit spottweise vorgeworfen hätten. Diese ihre vermeintliche Sondereigenschast gab dann aber offenbar den Grund ab, die Horaffen, die man bereits angefangen hatte, in Karaffen zu verhochdeutschen, noch weiter sogar in „Haaraffen" umzumodeln. Daß die Reichsstädter die Wortform Horaffen 1380 anwendeten und nicht Hornaffen, darf nicht auffallen. Wir haben bereits (S.350 Heft47 von 1913) das Wort Hör als einfache Nachbildung von Horn bezeugt gefunden. Außerdem wird in der Crailsheimer Gegend noch heute sprachlich der Endbuchstabe in Wörtern wie Dorn und Horn abgeschliffen. Wenn auch jetzt ein solches Abschleifen bei zusammengesetzten Worten, wie Dornbusch, Hornvieh nicht mehr vorkommt, so schließt das nicht aus, daß man 1380 im Württembergischen Horaff statt Horn¬ affe sprach, wie solche Abschleifung des n im heutigen schlesischen Mohhorn als Tatsache jedermann vor Augen liegt. Es fehlt auch jeder vernünftige Grund, gelegentlich der aufgegebenen Belagerung die Sieger mit einem Schmutznamen zu bewerfen. Wahrscheinlich ist, um dies als möglich erscheinen zu lassen, überhaupt erst in neuerer Zeit die der Bürgermeisterin nachgesagte Heldentat — frei, aber jedenfalls recht geschmacklos erfunden. Wer der Erfinder war, ist nicht sicher festzustellen. Im Jahre 1853 lieferte aber der jetzt verschollene Bautechniker Back dem Crailsheimer Rathaus einen Ofenschirm, auf welchem im Bilde die Belagerung von 1380 dargestellt war. Man sah die Feinde Crailsheims von der starken Mauer des hübschen Städtchens herabstürzen. Der Ofenschirm ist verschwunden, diente aber im Jahre 1900 dem Maler Horlacher in Crailsheim als Motiv für ein noch dort befindliches etwa einen Quadratmeter großes Ge¬ mälde, dem 1903 die in Crailsheim jetzt gebräuchliche Postansichtskarte nach¬ gebildet ist*). Sie wiederholt das Bild im Kleinen, fügt aber zugleich, indem sie den früheren Horaffe zu einem Haaraffe umformt, dem beigedrucktem Stadt¬ wappen oben, unten, wie an jeder Seite ein mit „Haaraffe" überschriebenes (s. Abbildung) Konterfei des in Crailsheim noch üblichen Festgebäckes und drei [Abbildung] -) Beruht auf dankenswerter Mitteilung deS Herrn Dekan I^le. Hummel in Crailsheim und ans Angaben der Karte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/407>, abgerufen am 04.01.2025.