Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes

bekannt ist, als Redner auftraten und die einen durchaus agitatorischen
Charakter hatte.

Von einem Chöre wurde das Lied des galizisch-russischen Dichters Wergun,
"Beim Reliquienschein eines heiligen Landsmannes", d. i. des Metropoliten
Peter von Moskau, gesungen. Es ist dies ein Gebet zum heiligen Peter um
Befreiung Galiziens von fremdem Joche. Und Stolypin, der Bruder des ver¬
storbenen Ministerpräsidenten, benutzte die Anwesenheit der österreichischen Ab¬
geordneten in Petersburg dazu, um in der Nowoje Wremja auf eine im
Petersburger Adelskafino veranstaltete Kinovorstellung "Die Leiden der Ruthenen
in Galizien" aufmerksam zu machen, und schrieb: "Wollt ihr hören, wie Recht¬
gläubige gemartert werden, wollt ihr sehen, wie vor Rußland sich tief diejenigen
unserer Brüder neigen, die das wiedererstandene, mächtige Rußland nicht unter
seine Flügel nehmen und mit seinem Schutze schirmen konnte? Geht Sonntag
am Tage in die Adelsversammlung. Was ihr an der Vorstellung nicht ver¬
stehen werdet, das werden euch Bobrinski, Rakowitsch und der Abgeordnete
des österreichischen Parlaments, Markow, in eine zivilisierte Sprache übertragen.
Versäumt nicht das seltene Schauspiel: ein Stiergefecht ist im Vergleich zu ihm
-- nichts, ein Zeitvertreib von Kindern. Hier wird auf der Arena weder
Pferde- noch Stierblut zu sehen sein, dafür aber werdet ihr bis zum Entsetzen
fühlen, wie dort bei den Karpathen Menschen im ungleichen Kampf dahin¬
schwinden und Leben verlöschen in der letzten Hoffnung auf die Gnade Gottes
und den schmerzvollen Trost der Märtyrerkrone im Jenseits." Den Märtyrern
und Bekennern der orthodoxen Kirche in Galizien und Ungarisch-Ruthenier
hatte bereits im Frühjahr eine Versammlung des Galizisch-russischen Vereins
die Gefühle ihrer innigsten Bruderliebe ausgedrückt und in einer Resolution
verlangt, der Heilige spröd in Petersburg möge in allen orthodoxen Kirchen
Rußlands und Amerikas Gebete für den seligen Frieden der in Galizien und
Ungarn zum Tode gemarterten und Erleichterung der Leiden der dortselbst ge¬
quälten und eingekerkerten Bekenner der Orthodoxie anordnen; die gleiche Bitte
sei an alle Patriarchen und Vorstände autokephaler orthodoxer Kirchen zu richten.
Die russische Regierung wurde ferner aufgefordert, sie möge unter Voran¬
haltung der historischen Mission Rußlands Mittel und Wege zur Hintanhaltung
der unmenschlichen Leiden der Bekenner des orthodoxen Glaubens und Her¬
stellung der Glaubensfreiheit für diesen in dem Maße, als sich derselben
die Lateiner im russischen Rußland erfreuen, ausfindig machen. Jetzt hat
der Heilige spröd in allen Kirchen Rußlands Sammlungen für die leidenden
Russen Galiziens angeordnet, und der Rubel wird nun unter der Maske
der Wohltätigkeit offen rollen dürfen und Sympathien für den russischen
Staat unter den Rutheneu werben. Der nämliche Verein gibt eine Zeit¬
schrift Rotrußland heraus, die die "russischen Bewohner der Karpathenländer"
einladet, ihre Beiträge über Angelegenheiten des "unterjochten Rußlands"
einzusenden.


Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes

bekannt ist, als Redner auftraten und die einen durchaus agitatorischen
Charakter hatte.

Von einem Chöre wurde das Lied des galizisch-russischen Dichters Wergun,
„Beim Reliquienschein eines heiligen Landsmannes", d. i. des Metropoliten
Peter von Moskau, gesungen. Es ist dies ein Gebet zum heiligen Peter um
Befreiung Galiziens von fremdem Joche. Und Stolypin, der Bruder des ver¬
storbenen Ministerpräsidenten, benutzte die Anwesenheit der österreichischen Ab¬
geordneten in Petersburg dazu, um in der Nowoje Wremja auf eine im
Petersburger Adelskafino veranstaltete Kinovorstellung „Die Leiden der Ruthenen
in Galizien" aufmerksam zu machen, und schrieb: „Wollt ihr hören, wie Recht¬
gläubige gemartert werden, wollt ihr sehen, wie vor Rußland sich tief diejenigen
unserer Brüder neigen, die das wiedererstandene, mächtige Rußland nicht unter
seine Flügel nehmen und mit seinem Schutze schirmen konnte? Geht Sonntag
am Tage in die Adelsversammlung. Was ihr an der Vorstellung nicht ver¬
stehen werdet, das werden euch Bobrinski, Rakowitsch und der Abgeordnete
des österreichischen Parlaments, Markow, in eine zivilisierte Sprache übertragen.
Versäumt nicht das seltene Schauspiel: ein Stiergefecht ist im Vergleich zu ihm
— nichts, ein Zeitvertreib von Kindern. Hier wird auf der Arena weder
Pferde- noch Stierblut zu sehen sein, dafür aber werdet ihr bis zum Entsetzen
fühlen, wie dort bei den Karpathen Menschen im ungleichen Kampf dahin¬
schwinden und Leben verlöschen in der letzten Hoffnung auf die Gnade Gottes
und den schmerzvollen Trost der Märtyrerkrone im Jenseits." Den Märtyrern
und Bekennern der orthodoxen Kirche in Galizien und Ungarisch-Ruthenier
hatte bereits im Frühjahr eine Versammlung des Galizisch-russischen Vereins
die Gefühle ihrer innigsten Bruderliebe ausgedrückt und in einer Resolution
verlangt, der Heilige spröd in Petersburg möge in allen orthodoxen Kirchen
Rußlands und Amerikas Gebete für den seligen Frieden der in Galizien und
Ungarn zum Tode gemarterten und Erleichterung der Leiden der dortselbst ge¬
quälten und eingekerkerten Bekenner der Orthodoxie anordnen; die gleiche Bitte
sei an alle Patriarchen und Vorstände autokephaler orthodoxer Kirchen zu richten.
Die russische Regierung wurde ferner aufgefordert, sie möge unter Voran¬
haltung der historischen Mission Rußlands Mittel und Wege zur Hintanhaltung
der unmenschlichen Leiden der Bekenner des orthodoxen Glaubens und Her¬
stellung der Glaubensfreiheit für diesen in dem Maße, als sich derselben
die Lateiner im russischen Rußland erfreuen, ausfindig machen. Jetzt hat
der Heilige spröd in allen Kirchen Rußlands Sammlungen für die leidenden
Russen Galiziens angeordnet, und der Rubel wird nun unter der Maske
der Wohltätigkeit offen rollen dürfen und Sympathien für den russischen
Staat unter den Rutheneu werben. Der nämliche Verein gibt eine Zeit¬
schrift Rotrußland heraus, die die „russischen Bewohner der Karpathenländer"
einladet, ihre Beiträge über Angelegenheiten des „unterjochten Rußlands"
einzusenden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327504"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_79" prev="#ID_78"> bekannt ist, als Redner auftraten und die einen durchaus agitatorischen<lb/>
Charakter hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_80"> Von einem Chöre wurde das Lied des galizisch-russischen Dichters Wergun,<lb/>
&#x201E;Beim Reliquienschein eines heiligen Landsmannes", d. i. des Metropoliten<lb/>
Peter von Moskau, gesungen. Es ist dies ein Gebet zum heiligen Peter um<lb/>
Befreiung Galiziens von fremdem Joche. Und Stolypin, der Bruder des ver¬<lb/>
storbenen Ministerpräsidenten, benutzte die Anwesenheit der österreichischen Ab¬<lb/>
geordneten in Petersburg dazu, um in der Nowoje Wremja auf eine im<lb/>
Petersburger Adelskafino veranstaltete Kinovorstellung &#x201E;Die Leiden der Ruthenen<lb/>
in Galizien" aufmerksam zu machen, und schrieb: &#x201E;Wollt ihr hören, wie Recht¬<lb/>
gläubige gemartert werden, wollt ihr sehen, wie vor Rußland sich tief diejenigen<lb/>
unserer Brüder neigen, die das wiedererstandene, mächtige Rußland nicht unter<lb/>
seine Flügel nehmen und mit seinem Schutze schirmen konnte? Geht Sonntag<lb/>
am Tage in die Adelsversammlung. Was ihr an der Vorstellung nicht ver¬<lb/>
stehen werdet, das werden euch Bobrinski, Rakowitsch und der Abgeordnete<lb/>
des österreichischen Parlaments, Markow, in eine zivilisierte Sprache übertragen.<lb/>
Versäumt nicht das seltene Schauspiel: ein Stiergefecht ist im Vergleich zu ihm<lb/>
&#x2014; nichts, ein Zeitvertreib von Kindern. Hier wird auf der Arena weder<lb/>
Pferde- noch Stierblut zu sehen sein, dafür aber werdet ihr bis zum Entsetzen<lb/>
fühlen, wie dort bei den Karpathen Menschen im ungleichen Kampf dahin¬<lb/>
schwinden und Leben verlöschen in der letzten Hoffnung auf die Gnade Gottes<lb/>
und den schmerzvollen Trost der Märtyrerkrone im Jenseits." Den Märtyrern<lb/>
und Bekennern der orthodoxen Kirche in Galizien und Ungarisch-Ruthenier<lb/>
hatte bereits im Frühjahr eine Versammlung des Galizisch-russischen Vereins<lb/>
die Gefühle ihrer innigsten Bruderliebe ausgedrückt und in einer Resolution<lb/>
verlangt, der Heilige spröd in Petersburg möge in allen orthodoxen Kirchen<lb/>
Rußlands und Amerikas Gebete für den seligen Frieden der in Galizien und<lb/>
Ungarn zum Tode gemarterten und Erleichterung der Leiden der dortselbst ge¬<lb/>
quälten und eingekerkerten Bekenner der Orthodoxie anordnen; die gleiche Bitte<lb/>
sei an alle Patriarchen und Vorstände autokephaler orthodoxer Kirchen zu richten.<lb/>
Die russische Regierung wurde ferner aufgefordert, sie möge unter Voran¬<lb/>
haltung der historischen Mission Rußlands Mittel und Wege zur Hintanhaltung<lb/>
der unmenschlichen Leiden der Bekenner des orthodoxen Glaubens und Her¬<lb/>
stellung der Glaubensfreiheit für diesen in dem Maße, als sich derselben<lb/>
die Lateiner im russischen Rußland erfreuen, ausfindig machen. Jetzt hat<lb/>
der Heilige spröd in allen Kirchen Rußlands Sammlungen für die leidenden<lb/>
Russen Galiziens angeordnet, und der Rubel wird nun unter der Maske<lb/>
der Wohltätigkeit offen rollen dürfen und Sympathien für den russischen<lb/>
Staat unter den Rutheneu werben. Der nämliche Verein gibt eine Zeit¬<lb/>
schrift Rotrußland heraus, die die &#x201E;russischen Bewohner der Karpathenländer"<lb/>
einladet, ihre Beiträge über Angelegenheiten des &#x201E;unterjochten Rußlands"<lb/>
einzusenden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes bekannt ist, als Redner auftraten und die einen durchaus agitatorischen Charakter hatte. Von einem Chöre wurde das Lied des galizisch-russischen Dichters Wergun, „Beim Reliquienschein eines heiligen Landsmannes", d. i. des Metropoliten Peter von Moskau, gesungen. Es ist dies ein Gebet zum heiligen Peter um Befreiung Galiziens von fremdem Joche. Und Stolypin, der Bruder des ver¬ storbenen Ministerpräsidenten, benutzte die Anwesenheit der österreichischen Ab¬ geordneten in Petersburg dazu, um in der Nowoje Wremja auf eine im Petersburger Adelskafino veranstaltete Kinovorstellung „Die Leiden der Ruthenen in Galizien" aufmerksam zu machen, und schrieb: „Wollt ihr hören, wie Recht¬ gläubige gemartert werden, wollt ihr sehen, wie vor Rußland sich tief diejenigen unserer Brüder neigen, die das wiedererstandene, mächtige Rußland nicht unter seine Flügel nehmen und mit seinem Schutze schirmen konnte? Geht Sonntag am Tage in die Adelsversammlung. Was ihr an der Vorstellung nicht ver¬ stehen werdet, das werden euch Bobrinski, Rakowitsch und der Abgeordnete des österreichischen Parlaments, Markow, in eine zivilisierte Sprache übertragen. Versäumt nicht das seltene Schauspiel: ein Stiergefecht ist im Vergleich zu ihm — nichts, ein Zeitvertreib von Kindern. Hier wird auf der Arena weder Pferde- noch Stierblut zu sehen sein, dafür aber werdet ihr bis zum Entsetzen fühlen, wie dort bei den Karpathen Menschen im ungleichen Kampf dahin¬ schwinden und Leben verlöschen in der letzten Hoffnung auf die Gnade Gottes und den schmerzvollen Trost der Märtyrerkrone im Jenseits." Den Märtyrern und Bekennern der orthodoxen Kirche in Galizien und Ungarisch-Ruthenier hatte bereits im Frühjahr eine Versammlung des Galizisch-russischen Vereins die Gefühle ihrer innigsten Bruderliebe ausgedrückt und in einer Resolution verlangt, der Heilige spröd in Petersburg möge in allen orthodoxen Kirchen Rußlands und Amerikas Gebete für den seligen Frieden der in Galizien und Ungarn zum Tode gemarterten und Erleichterung der Leiden der dortselbst ge¬ quälten und eingekerkerten Bekenner der Orthodoxie anordnen; die gleiche Bitte sei an alle Patriarchen und Vorstände autokephaler orthodoxer Kirchen zu richten. Die russische Regierung wurde ferner aufgefordert, sie möge unter Voran¬ haltung der historischen Mission Rußlands Mittel und Wege zur Hintanhaltung der unmenschlichen Leiden der Bekenner des orthodoxen Glaubens und Her¬ stellung der Glaubensfreiheit für diesen in dem Maße, als sich derselben die Lateiner im russischen Rußland erfreuen, ausfindig machen. Jetzt hat der Heilige spröd in allen Kirchen Rußlands Sammlungen für die leidenden Russen Galiziens angeordnet, und der Rubel wird nun unter der Maske der Wohltätigkeit offen rollen dürfen und Sympathien für den russischen Staat unter den Rutheneu werben. Der nämliche Verein gibt eine Zeit¬ schrift Rotrußland heraus, die die „russischen Bewohner der Karpathenländer" einladet, ihre Beiträge über Angelegenheiten des „unterjochten Rußlands" einzusenden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/38>, abgerufen am 29.12.2024.