Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes Das Ziel dieser Agitationen? Ein näheres: ein Gegengewicht gegen die Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes Das Ziel dieser Agitationen? Ein näheres: ein Gegengewicht gegen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327505"/> <fw type="header" place="top"> Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes</fw><lb/> <p xml:id="ID_81" next="#ID_82"> Das Ziel dieser Agitationen? Ein näheres: ein Gegengewicht gegen die<lb/> ukrainische Bewegung zu schaffen; ein ferneres: die Einnahme Galiziens, um<lb/> den ukrainischen Separatismus ausrotten zu können. Im Jahre 1625 schilderte<lb/> der Luzker Bischof Jssaky dem Zaren Michail Romanow die fürchterlichen Leiden<lb/> des rechtgläubigen ruthenischen Volkes in der Ukraine, in Wolhvnien, in Podolien<lb/> und in Galizien und stellte an ihn die Bitte, der rechtgläubige Zar möge das<lb/> ganze ruthenische Land von dem Karpathengebirge bis zum Donflusse unter sein<lb/> mächtiges Zepter nehmen. „Es wird die Zeit kommen," gab der Zar zur<lb/> Antwort, „und diese ist nicht mehr ferne, wo Moskau sich erheben wird, um<lb/> euch zu befreien; keineswegs wird es euch unter dem Drucke der bösen Katholiken<lb/> und unter der Last des schweren polnischen Joches zugrunde gehen lassen.<lb/> Fasset Mut, habet einige Zeit Geduld und erwartet zuversichtlich unsere Hilfe!"<lb/> Die Methoden der russischen auswärtigen Politik sind sehr alt. Rußland hatte<lb/> in Polen eine Disfidentenfrage geschaffen, die ihm den Vorwand bot, sich in die<lb/> inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen, es wendet nun die alterprobten<lb/> Methoden gegen Österreich an: „Immer deutlicher," schreibt das liberale ruthenische<lb/> Tagblatt Dito. „nachdrücklicher, geradezu demonstrativ und provokatorisch ist<lb/> die Sprache Rußlands und der galizischen Agenten Rußlands, daß dieses sich<lb/> für die Einnahme Galiziens vorbereite. . . . Das Lemberger russenfreundliche<lb/> Tagblatt Prikarpatskaja Nus spricht in der neuesten Nummer von dieser<lb/> Vorbereitung so, als ob schon morgen der Habsburger Monarchie die letzte<lb/> Stunde schlagen sollte und die russische Armee schon an der Grenze auf die Ein¬<lb/> nahme Galiziens wartet. Seit einiger Zeit wird in den Spalten des Tagblattes<lb/> Prikarpatskaja Nus eine Debatte darüber geführt, was die galizischen Russen von<lb/> Rußland zu erwarten haben. Einer von den Teilnehmern an dieser Erörterung,<lb/> der sich ,Argus' unterschreibt, trat gegen Nußland mit dem Vorwurfe auf, daß<lb/> die Nuthenen Galiziens von dem offiziellen Rußland enttäuscht wurden und<lb/> das nationale Nußland noch zu träge sei, um sich für Galizien zu interessieren.<lb/> Auf diesen Vorwurf antwortet in der neuesten Nummer des Tagblattes Pri¬<lb/> karpatskaja Nus ein gewisser A. Woznesenski aus Petersburg, anscheinend eine<lb/> sehr informierte Persönlichkeit: Argus irrt sich. Das offizielle Rußland inter¬<lb/> essiert sich für die galizische Frage mehr, als man in Österreich und sogar in<lb/> Rußland selbst glaubt. Ich habe dafür Beweise, die in der österreichischen<lb/> Presse zu veröffentlichen nicht vorteilhaft ist. jedoch in Rußland vielen bekannt<lb/> sind. Die ganze Sache besteht darin, daß erstens das offizielle Rußland viele<lb/> Pläne zu verheimlichen versteht und zweitens die russische Kultur und Korrekt-<lb/> heit oft nicht erlauben, dasjenige zu sagen, was beabsichtigt wird. Deshalb<lb/> wurden auch in Rußland während der Mobilisierung, die gegen Österreich ge¬<lb/> richtet war, alle antiösterreichischen Demonstrationen verboten. Daraus wird<lb/> gewiß niemand in Österreich schließen, daß die russische Negierung mit der<lb/> österreichischen übereinstimmt. Es ist klar, daß man die Provinzbeamten in die<lb/> Pläne der Zentralregierung nicht einweiht, und deshalb sind sie betreffs der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
Der Angelpunkt des österreichisch-russischen Gegensatzes
Das Ziel dieser Agitationen? Ein näheres: ein Gegengewicht gegen die
ukrainische Bewegung zu schaffen; ein ferneres: die Einnahme Galiziens, um
den ukrainischen Separatismus ausrotten zu können. Im Jahre 1625 schilderte
der Luzker Bischof Jssaky dem Zaren Michail Romanow die fürchterlichen Leiden
des rechtgläubigen ruthenischen Volkes in der Ukraine, in Wolhvnien, in Podolien
und in Galizien und stellte an ihn die Bitte, der rechtgläubige Zar möge das
ganze ruthenische Land von dem Karpathengebirge bis zum Donflusse unter sein
mächtiges Zepter nehmen. „Es wird die Zeit kommen," gab der Zar zur
Antwort, „und diese ist nicht mehr ferne, wo Moskau sich erheben wird, um
euch zu befreien; keineswegs wird es euch unter dem Drucke der bösen Katholiken
und unter der Last des schweren polnischen Joches zugrunde gehen lassen.
Fasset Mut, habet einige Zeit Geduld und erwartet zuversichtlich unsere Hilfe!"
Die Methoden der russischen auswärtigen Politik sind sehr alt. Rußland hatte
in Polen eine Disfidentenfrage geschaffen, die ihm den Vorwand bot, sich in die
inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen, es wendet nun die alterprobten
Methoden gegen Österreich an: „Immer deutlicher," schreibt das liberale ruthenische
Tagblatt Dito. „nachdrücklicher, geradezu demonstrativ und provokatorisch ist
die Sprache Rußlands und der galizischen Agenten Rußlands, daß dieses sich
für die Einnahme Galiziens vorbereite. . . . Das Lemberger russenfreundliche
Tagblatt Prikarpatskaja Nus spricht in der neuesten Nummer von dieser
Vorbereitung so, als ob schon morgen der Habsburger Monarchie die letzte
Stunde schlagen sollte und die russische Armee schon an der Grenze auf die Ein¬
nahme Galiziens wartet. Seit einiger Zeit wird in den Spalten des Tagblattes
Prikarpatskaja Nus eine Debatte darüber geführt, was die galizischen Russen von
Rußland zu erwarten haben. Einer von den Teilnehmern an dieser Erörterung,
der sich ,Argus' unterschreibt, trat gegen Nußland mit dem Vorwurfe auf, daß
die Nuthenen Galiziens von dem offiziellen Rußland enttäuscht wurden und
das nationale Nußland noch zu träge sei, um sich für Galizien zu interessieren.
Auf diesen Vorwurf antwortet in der neuesten Nummer des Tagblattes Pri¬
karpatskaja Nus ein gewisser A. Woznesenski aus Petersburg, anscheinend eine
sehr informierte Persönlichkeit: Argus irrt sich. Das offizielle Rußland inter¬
essiert sich für die galizische Frage mehr, als man in Österreich und sogar in
Rußland selbst glaubt. Ich habe dafür Beweise, die in der österreichischen
Presse zu veröffentlichen nicht vorteilhaft ist. jedoch in Rußland vielen bekannt
sind. Die ganze Sache besteht darin, daß erstens das offizielle Rußland viele
Pläne zu verheimlichen versteht und zweitens die russische Kultur und Korrekt-
heit oft nicht erlauben, dasjenige zu sagen, was beabsichtigt wird. Deshalb
wurden auch in Rußland während der Mobilisierung, die gegen Österreich ge¬
richtet war, alle antiösterreichischen Demonstrationen verboten. Daraus wird
gewiß niemand in Österreich schließen, daß die russische Negierung mit der
österreichischen übereinstimmt. Es ist klar, daß man die Provinzbeamten in die
Pläne der Zentralregierung nicht einweiht, und deshalb sind sie betreffs der
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