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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Ein Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic

jedes der beiden zusammengesetzten Wortgebilde zum Scheltworte umzustempeln.
Für den täglichen Sprachbrauch war die Kenntnis abhanden gekommen, daß
aper und off in Verbindung mit einen: Hauptwort ein diesem Hauptwort nach¬
gesetztes Eigenschaftswort bedeute, und daß es verfehlt sei, aus diesem Eigen¬
schaftswort einen Affen oder gar einen Lassen herauszuinterpretieren, wenn man
nicht Scherz oder Spott treiben wollte. Der erste Maul- wie Hornaffe, der
je aufgetaucht ist, gehört deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach einer späteren
Zeitperiode an als der erste Mut- oder Hornoff.

Das Wort Mulapen (Maulaffen) bedeutete hiernach überall Offenmanl,
und man wendete es an auf offenmäulige Menschen, Tonöfchen, Pferdeköpfe,
wie Ringgebäcke.

Nach dem deutschen Wörterbuche sahen wir das Wort Maulaffe seit dem
fünfzehnten Jahrhundert in Gebrauch. Lexer in seinem mittelhochdeutschen Hand¬
wörterbuch zitiert aus einem Fastnachtsspiel jener Zeit die Scheltworte: "ir
kelber, tortschen und mundaffen." Man wird aber bei jedem dieser Scheltworte
immerhin ein höheres Alter vermuten dürfen. Wenigstens läßt sich dartun, daß
man bereits weit früher als im fünfzehnten Jahrhundert den Hornoff in einen
Hornaff umgestaltete. Plastisch geschah dies in Paris bereits am Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts, wenn bei damaliger Vollendung des Baues von
Notre-Dame deren Balustrade die analogen Chimären zierten, wie heute,
sprachlich geschah es sicher 1357 in der damals hohenloheschen, jetzt württem¬
bergischen Stadt Crailsheim. Dort findet sich das älteste Beispiel der Wort¬
bildungen Hornaff und Hornaffer, das sich beibringen ließ. Es stimmt zum
Hornaff als Zwickel zwischen den Butzenscheiben des vierzehnten Jahrhunderts
(s. Seite 60 Heft 2), und es hat sich, wie wohl sonst nirgends, durch den Eingriff
eines besonderen lokalgeschichtlichen Ereignisses in seiner ureigensten Gestalt, aber
doch in einer Gewandung erhalten, die seine eigentliche Bedeutung und^Ent-
stehung bis in die Gegenwart hinein zu verhüllen geeignet war. So hat Crails¬
heim dem Hornaff eine dauernde Heimat geboten. Wie aber vollzog sich das?

(Fortsetzung folgt)




Ein Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic

jedes der beiden zusammengesetzten Wortgebilde zum Scheltworte umzustempeln.
Für den täglichen Sprachbrauch war die Kenntnis abhanden gekommen, daß
aper und off in Verbindung mit einen: Hauptwort ein diesem Hauptwort nach¬
gesetztes Eigenschaftswort bedeute, und daß es verfehlt sei, aus diesem Eigen¬
schaftswort einen Affen oder gar einen Lassen herauszuinterpretieren, wenn man
nicht Scherz oder Spott treiben wollte. Der erste Maul- wie Hornaffe, der
je aufgetaucht ist, gehört deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach einer späteren
Zeitperiode an als der erste Mut- oder Hornoff.

Das Wort Mulapen (Maulaffen) bedeutete hiernach überall Offenmanl,
und man wendete es an auf offenmäulige Menschen, Tonöfchen, Pferdeköpfe,
wie Ringgebäcke.

Nach dem deutschen Wörterbuche sahen wir das Wort Maulaffe seit dem
fünfzehnten Jahrhundert in Gebrauch. Lexer in seinem mittelhochdeutschen Hand¬
wörterbuch zitiert aus einem Fastnachtsspiel jener Zeit die Scheltworte: „ir
kelber, tortschen und mundaffen." Man wird aber bei jedem dieser Scheltworte
immerhin ein höheres Alter vermuten dürfen. Wenigstens läßt sich dartun, daß
man bereits weit früher als im fünfzehnten Jahrhundert den Hornoff in einen
Hornaff umgestaltete. Plastisch geschah dies in Paris bereits am Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts, wenn bei damaliger Vollendung des Baues von
Notre-Dame deren Balustrade die analogen Chimären zierten, wie heute,
sprachlich geschah es sicher 1357 in der damals hohenloheschen, jetzt württem¬
bergischen Stadt Crailsheim. Dort findet sich das älteste Beispiel der Wort¬
bildungen Hornaff und Hornaffer, das sich beibringen ließ. Es stimmt zum
Hornaff als Zwickel zwischen den Butzenscheiben des vierzehnten Jahrhunderts
(s. Seite 60 Heft 2), und es hat sich, wie wohl sonst nirgends, durch den Eingriff
eines besonderen lokalgeschichtlichen Ereignisses in seiner ureigensten Gestalt, aber
doch in einer Gewandung erhalten, die seine eigentliche Bedeutung und^Ent-
stehung bis in die Gegenwart hinein zu verhüllen geeignet war. So hat Crails¬
heim dem Hornaff eine dauernde Heimat geboten. Wie aber vollzog sich das?

(Fortsetzung folgt)




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[0377] Ein Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic jedes der beiden zusammengesetzten Wortgebilde zum Scheltworte umzustempeln. Für den täglichen Sprachbrauch war die Kenntnis abhanden gekommen, daß aper und off in Verbindung mit einen: Hauptwort ein diesem Hauptwort nach¬ gesetztes Eigenschaftswort bedeute, und daß es verfehlt sei, aus diesem Eigen¬ schaftswort einen Affen oder gar einen Lassen herauszuinterpretieren, wenn man nicht Scherz oder Spott treiben wollte. Der erste Maul- wie Hornaffe, der je aufgetaucht ist, gehört deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach einer späteren Zeitperiode an als der erste Mut- oder Hornoff. Das Wort Mulapen (Maulaffen) bedeutete hiernach überall Offenmanl, und man wendete es an auf offenmäulige Menschen, Tonöfchen, Pferdeköpfe, wie Ringgebäcke. Nach dem deutschen Wörterbuche sahen wir das Wort Maulaffe seit dem fünfzehnten Jahrhundert in Gebrauch. Lexer in seinem mittelhochdeutschen Hand¬ wörterbuch zitiert aus einem Fastnachtsspiel jener Zeit die Scheltworte: „ir kelber, tortschen und mundaffen." Man wird aber bei jedem dieser Scheltworte immerhin ein höheres Alter vermuten dürfen. Wenigstens läßt sich dartun, daß man bereits weit früher als im fünfzehnten Jahrhundert den Hornoff in einen Hornaff umgestaltete. Plastisch geschah dies in Paris bereits am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts, wenn bei damaliger Vollendung des Baues von Notre-Dame deren Balustrade die analogen Chimären zierten, wie heute, sprachlich geschah es sicher 1357 in der damals hohenloheschen, jetzt württem¬ bergischen Stadt Crailsheim. Dort findet sich das älteste Beispiel der Wort¬ bildungen Hornaff und Hornaffer, das sich beibringen ließ. Es stimmt zum Hornaff als Zwickel zwischen den Butzenscheiben des vierzehnten Jahrhunderts (s. Seite 60 Heft 2), und es hat sich, wie wohl sonst nirgends, durch den Eingriff eines besonderen lokalgeschichtlichen Ereignisses in seiner ureigensten Gestalt, aber doch in einer Gewandung erhalten, die seine eigentliche Bedeutung und^Ent- stehung bis in die Gegenwart hinein zu verhüllen geeignet war. So hat Crails¬ heim dem Hornaff eine dauernde Heimat geboten. Wie aber vollzog sich das? (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/377>, abgerufen am 04.01.2025.